Fiktion nahe an der Realität
Es ist gespenstisch. Im Thriller "Bastille Day" explodiert eine Bombe in Paris. Mehrere Menschen werden getötet. Es ist der 13. Juli, der Tag vor dem französischen Nationalfeiertag. Paris gleicht einer Sicherheitsfestung. Für den 14. Juli ist ein weiterer Anschlag geplant. Diesen gilt es zu verhindern. Das ist der dramaturgische Hintergrund des französisch-britisch-amerikanischen Spielfilms "Bastille Day", der seit April in verschiedenen europäischen Ländern in den Kinos läuft.
In Deutschland startete der Film am 23. Juni in den Lichtspielhäusern. In Frankreich an eben jenem Tag, an dem der im Film inszenierte Anschlag passiert - nachdem ein früherer Starttermin wegen der Anschläge von Paris verschoben wurde. Angesichts der Schrecken von Nizza hat der französische Verleih wahrscheinlich inzwischen bereut, "Bastille Day" jetzt in die Kinos gebracht zu haben. Jüngst wurde bekannt, dass der Film in Frankreich nun abgesetzt worden sei.
Austauschbare Schauplätze des Terrors
Die Art der Terroranschläge und Schauplätze scheinen dabei austauschbar: Im Januar vergangenen Jahres stürmten Attentäter die Redaktion des Satiremagazins "Charlie Hebdo", im November folgten die Anschläge von Paris, die 130 Todesopfer forderten. Weitere Attentate ereigneten sich in der Zeit dazwischen und danach.
Im Nachbarland Belgien erschütterten islamistische Attentäter im März die Nation. In "Bastille Day" richtet sich der Verdacht des CIA-Ermittlers in Paris schnell auf radikale Islamisten. Im Verlaufe der Handlung stellt sich dann allerdings heraus, dass eine Verschwörung aus einer ganz anderen Richtung für die Explosion verantwortlich ist.
Das Thema des actionbetonten und reißerischen Films ist aber natürlich der Terror und die Jagd nach den Terroristen. Und da im Film anfangs alle glauben, Islamisten steckten hinter dem Anschlag, bestimmt dieses Thema zum Teil auch "Bastille Day". Auch im französischen Film "Made in France" sind es pauschal nicht die Muslime, die an den Pranger gestellt werden. Im Film des Regisseurs Nicolas Boukhrief ist es ein muslimischer Journalist, der zum Helden wird.
Dieser Journalist recherchiert in Sachen Extremismus in den Vororten der Hauptstadt Paris, schleicht sich in eine vierköpfige Dschihadisten-Zelle ein, um einen geplanten Anschlag zu verhindern. Man kann diesen Filmen also nicht vorwerfen, dass sie hetzerisch Vorurteile verbreiten und einen harten antiislamischen Kurs einschlagen.
Terror zur Unterhaltung - ein zweifelhaftes Konzept
Eine andere Frage ist, welche Folgen solche Filme in den Köpfen der meist jungen männlichen Zuschauer auslösen. Das ist eine alte, seit Jahrzehnten geführte Debatte der Medien-Pädagogik. Die Frage, die sich aufdrängt: Beeinflussen solche Filme mit ihrer actionbetonten Machart junge Männer negativ, setzen sie Hemmschwellen herunter oder dienen sie eher zur Abkühlung der Gemüter, üben eine Art Katharsis-Funktion aus? "Bastille Day"-Regisseur James Watkins sagt über seinen Film: "Ein Film sollte die Gesellschaft zeigen, in der wir leben." Er solle aber auch unterhalten und Spaß bringen. Die Frage bleibt: Geht beides zusammen?
Ist "Made in France" noch ein Film, dem man das ernsthafte Bemühen, hinter das Phänomen Terror zu blicken, nicht absprechen kann, so setzt "Bastille Day" voll und ganz auf die Zutaten Action und Überwältigung. Werden junge Männer nicht gerade von den martialischen Gesten angesprochen, die ihre Helden (und auch so manche Antihelden) im Kino vollführen?
Hemmungsloser Kult um Waffen
Und unterstützen Marketingexperten und Werbeprofis, die diese Filme in die Kinos bringen, nicht auch den hemmungslosen Kult um Waffen und anderes Kriegsgerät? "Made in France" wurde in den französischen Großstädten mit Plakaten beworben, auf denen eine stehende Kalaschnikow mit dem Eiffelturm kombiniert dargestellt wird.
"Made in France" sollte eigentlich zu Beginn des Jahres 2015 in die Kinos kommen. Nach den Anschlägen auf "Charlie Hebdo" bekam der Verleih kalte Füße, die Plakate wurden abgehängt oder überklebt, der Starttermin verschoben. Auch der zweite anvisierte Termin wurde kurzfristig abgesagt - wegen der Anschläge von Paris im November.
"Made in France" lief bisher nur auf Filmfestivals in Südkorea oder Estland - in Deutschland zuletzt auf dem in München. In Frankreich selbst wurde der Film nach einer Premiere im Oktober 2015 im Frühjahr 2016 in einigen Kinos gezeigt. In Deutschland verzichtete man auf einen regulären Kinostart. Der Film kommt im August lediglich auf DVD raus.
Offenbar haben auch Produzenten und Filmverleiher kein gutes Gefühl, wenn die Fiktion zu nahe an der Realität liegt. Ob solche Filmstartverschiebungen aus Pietätsgründen sinnvoll sind, darüber kann man streiten. Schließlich wurden die Filme geplant und finanziert, gedreht und fertiggestellt. Auch liegen die Planungsprozesse bei aufwendigen Spielfilmen lange zurück. Die Dreharbeiten von "Made in France" und "Bastille Day" fanden schon 2014 statt.
Terror als Spielwiese kommerzieller Interessen
Man kennt das Phänomen auch aus den USA. Dort wurden nach den Anschlägen auf das World Trade Center im September 2001 einige Filme gestoppt oder verändert, Starttermine wurden verschoben oder gar ganz gecancelt.
Ist diese Film-Politik - einerseits solche Werke zu drehen, sie aber dann aus dem Verkehr zu ziehen, wenn gerade mal etwas passiert - nicht heuchlerisch? Vielleicht sollten sich Drehbuchautoren, Regisseure und Produzenten eher überlegen, ob es richtig ist, Terror und Krieg, Waffengewalt und Zerstörungsorgien aus kommerziellen und Unterhaltungs-Gründen ins Kino zu bringen.
In "Bastille Day" sagt der von Idris Elba gespielte CIA-Ermittler in Paris über die Terroristen: "Sie benutzen die Stadt als Spielstätte." Irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass so mancher Film-Produzent den Terror als Spielwiese für kommerzielle Interessen nutzt.
Jochen Kürten
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