Dynastie der Extreme

Der zweifache Pulitzer-Preisträger Steve Coll schildert in seiner detailreichen und präzisen Studie über die Bin Laden-Familie die Entwicklung von einem ärmlichen Clan aus dem jemenitischen Hadramaut zu einer der mächtigsten und reichsten Familien in Saudi-Arabien. Sebastian Sons hat das Buch gelesen.

​​ Während sich die meisten Studien der letzten Jahre zumeist ausschließlich auf Osama bin Laden konzentrieren, versucht der amerikanische Journalist und Pulitzerpreisgewinner Steve Coll, ein Porträt der gesamten Familie zu liefern. Mit Hilfe von über 150 Interviews, die in Saudi-Arabien, im Jemen, Großbritannien, der Schweiz, Deutschland, Israel oder Ägypten geführt wurden, Einsichten in Gerichts- und Verwaltungsakten sowie in Originalkorrespondenz und Aktendokumente beschreibt Coll die engen Verbindungen der Bin Ladens zum saudischen Königshaus und später dann zu den Vereinigten Staaten.

Daher erscheint der Titel der Originalausgabe "The Bin Ladens. An Arabian Family in the American Century" etwas passender.

Denn obwohl es Coll natürlich um die Dynastie der Bin Ladens, ihre Geschäftstüchtigkeit, Familienbeziehungen und -fehden geht, stellt er in erster Linie die Bin Ladens als prominente Familie im Mikrokosmos der saudischen Königsfamilie und dem Makrokosmos der amerikanisch-arabischen Beziehungen vor und nach dem 11. September 2001 dar.

Osamas Großvater wie Sindbad der Seefahrer

Beginnend mit der Auswanderung des Großvaters Osamas, Awad bin Laden, aus den ärmlichen Verhältnissen der jemenitischen Region Hadramaut erzählt Coll mit publizistischer Detailverliebtheit und Hang zu kleinen, nicht immer relevanten Anekdoten die Entwicklung unter Muhammad bin Laden, den Vater Osamas, von einem Kleinstunternehmer hin zum wichtigsten Bauherren des saudischen Königreiches.

Muhammads Aufstieg schildert Coll hier wie die Odyssee von Sindbad dem Seefahrer: Muhammad verließ seine Heimat, begab sich auf ein Schiff in Richtung Afrika, fand in Äthiopien Arbeit, um dann über Umwege den Weg nach Djidda einzuschlagen.

Osama Bin Laden, Kopf der Terrororganisation Al-Qaida; Foto: AP
Auch wenn Osama Bin Laden traurige Berühmtheit erlangt hat, sind auch andere Familienmitglieder fernab des Rampenlichts ausgesprochen einflussreich.

​​ Hier begann sein Aufstieg: Erst Träger in einem Pilgergeschäft, eröffnete er danach einen kleinen Imbiss und gründete um 1931 sein eigenes Bauunternehmen. Bald arbeitete er für die Reichen Djiddas, bevor er den Kontakt zum saudischen König Abdulaziz suchte.

Zuerst baute Mohammed bin Laden einige Wohnhäuser für Mitglieder der Königsfamilie, später folgten größere Bauprojekte und schon bald war er für das saudische Königshaus unverzichtbar geworden. So baute er unter anderem eine Wasser-Pipeline nach Medina, errichte dort Stromgeneratoren und einen neuen Amtssitz für das Außenministerium und betrieb eine Marmorfabrik. Als wichtigstes Projekt galt allerdings die Renovierung der Moschee in Mekka, die auf Jahre die exponierte Stellung der Bin Ladens ins Saudi-Arabien konsolidieren sollte.

Kampf um gesellschaftlichen Einfluss

So ist der Aufstieg der Bin Ladens auch ein Kampf um gesellschaftlichen Einfluss. Coll konzentriert sich eher auf den ausschweifenden Lebensstil einiger Bin Ladens, beschreibt minutiös die verschiedenen Frauengeschichten und Ehen, ebenso wie die teilweise starken religiösen Bezüge der Bin Ladens, die trotz ihrer polyglotten und globalisierten Lebensweise Mitglieder einer stark traditionellen Gesellschaft blieben.

Colls Ziel ist es, diesen immer wieder aufbrechenden Widerspruch des Wandelns zwischen den Welten anhand unzähliger Beispiele zu beschreiben.

Insbesondere Salim, das Familienoberhaupt nach Muhammads Tod, wird dafür als Beispiel herangezogen und gilt Coll quasi als Gegenentwurf zu dem frommen, in sich gekehrten Osama: Coll schildert Salim bin Laden als charismatischen Proleten, der mit derben Witzen und trotz seines unhöfischen Verhaltens das Vertrauen des saudischen Königs gewinnen konnte.

Unter Salim entwickelten sich auch die Verbindungen zu den Vereinigten Staaten, wo dieser seinem ausschweifendem Lebensstil frönen konnte.

Osama als Gegenbild seiner "westlichen" Brüder

Autor Steve Coll; Foto: privat
Der Journalist Steve Coll erhielt 2005 den Pulitzerpreis für "Ghost Wars: The Secret History of the CIA, Afghanistan and Bin Laden".

​​ So zeichnet Coll ein Kaleidoskop der Bin Laden-Dynastie, die mit Muhammad begann und bei Osama bin Laden endet, dem er sich hauptsächlich im letzten Teil des Buches zuwendet.

Anhand vieler detaillierter Beispiele erläutert er teilweise sehr plastisch die Wandlung des seinen Vater bewundernden Sohnes zum ausgestoßenen Terroristen, versucht, Ansätze bereits in der frühen Jugend Osamas zu finden, in der er Kontakt zu islamistischen Lehrern und Ideologen hatte und setzt Osama stets in Gegensatz zu seinen westlich orientierten Brüdern, die ihre Geschäfte zusehends nach Europa und in die Vereinigten Staaten ausweiteten, während Osama mehr und mehr in die Rolle des innersaudischen Kritiker des Königshauses hineinwächst.

Coll gelingt es zum einen auf eindrucksvolle Art und Weise, ein schillerndes Bild einer schillernden Familie zu zeichnen und gleichzeitig die gesellschaftlich-historischen Hintergründe zu beleuchten. Seine Ausführungen warten mit vielen oft amüsanten und ungewöhnlichen Familiengeschichten auf, die bisweilen aber eindimensional gestrickt sind und auch vor dem ein oder anderen Klischee nicht zurückschrecken.

So ist Colls "Die Bin Ladens" zwar unterhaltsam und abwechslungsreich geschrieben und auch eindrucksvoll recherchiert, enthält aber auch Belanglosigkeiten und rudimentäre Details. Eines bleibt noch zu kritisieren: Obwohl sich der Autor auf 150 Interviews stützt, ist es ihm nicht gelungen, aussagekräftige Gespräche mit Mitgliedern des Bin Laden-Clans zu führen.

Sebastian Sons

© Qantara.de 2008

Sebastian Sons ist Leiter der wissenschaftlichen Abteilung des Deutschen Orient-Instituts (DOI). Eine Langfassung dieser Rezension finden Sie auf den Seiten des Deutschen Orient-Instituts.

Coll, Steve: Die Bin Ladens. Eine arabische Familie, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008, 736 S., ISBN: 978-3-421-04354-2.

Qantara.de

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