Zusammenwachsen statt Kampf der Kulturen

Als Antwort auf die historische Rede von US-Präsident Obama an die muslimische Welt in Kairo führt der indonesische Präsident Susilo Bambang Yudhoyono in seinem Essay neun Imperative für ein friedliches Zusammenleben der Kulturen auf.

Indonesiens Präsident Susilo Bambang Yudhoyono; Foto: AP
Susilo Bambang Yudhoyono: "Wir müssen die Qualität der Dialoginitiativen verbessern, damit Schritte folgen können, die über den bloßen Gedankenaustausch gleichgesinnter Kräfte hinausgehen."

​​ Vor sechzehn Jahren veröffentlichte Samuel Huntington ein Essay, in dem er argumentierte, dass nun, nach dem Ende des Kalten Krieges, die internationalen Beziehungen zunehmend von den unterschiedlichen Zivilisationen, Religionen und Kulturen bestimmt würden, die deshalb auch die Hauptursache für Konflikte zwischen und innerhalb der Nationen darstellen würden.

Für mich ist schon der Begriff "Kampf der Kulturen" kontraproduktiv. Ich glaube nicht, dass die verschiedenen Zivilisationen per se unvereinbar und Konflikte daher vorgezeichnet sind, wenn sie interagieren. Doch Huntingtons Warnung vor den "Verwerfungszonen" der Zeit nach dem Kalten Krieg sollte nicht auf die leichte Schulter genommen werden.

Streitfragen, welche die unterschiedlichen Zivilisationen betreffen, nehmen in der modernen Weltpolitik zweifelsohne zu. Und Huntingtons Warnungen betreffen tatsächlich auch Indonesien.

In den turbulenten Jahren nach der Unabhängigkeit wurde Indonesien von Separatisten bedroht, litt unter ethnischen und religiösen Konflikten genauso wie unter islamischen Aufständen. All diese Herausforderungen haben wir gemeistert. Wir haben uns ihnen gestellt. Und wir sind nicht gescheitert, sondern hatten Erfolg.

Eine pragmatische Vision

Ich bin davon überzeugt, dass wir die Art, wie Zivilisationen, Religionen und Kulturen miteinander umgehen, grundlegend ändern und weiterentwickeln können. Dies ist keine Utopie; es ist eine pragmatische Vision. Ich habe gesehen, wie sie verwirklicht werden kann. Die Frage ist nur: Können wir es schaffen, dass sie auch auf globaler Ebene Realität wird?

Symboldbild interreligiöser Dialog; Foto: dpa
Plädoyer für ein friedliches Miteinander der verschiedenen Religionen und Kulturen im 21. Jahrhundert: Yudhoyono führt neun Imperative an, um eine Harmonie zwischen den Zivilisationen herzustellen.

​​Lassen Sie mich neun Imperative nennen, um eine Harmonie zwischen den Zivilisationen herzustellen:

Das erste Gebot besteht darin, aus dem 21. Jahrhundert ein Jahrhundert der "sanften Macht" zu gestalten. Im 20. Jahrhundert wurden wir Zeugen der "harten Macht" in Form zweier Weltkriege und eines langen Kalten Krieges, der das Risiko eines nuklearen Holocausts heraufbeschwor. Man schätzt, dass in den Kriegen des letzten Jahrhunderts rund 180 Millionen den Tod fanden.

Doch es gibt ein großes Defizit "sanfter Macht", das die Weltzivilisationen ausfüllen müssen. Im 13. Jahrhundert war die islamische Zivilisation die am höchsten entwickelte der Welt, weil sie damals den größten Durst nach Wissen hatte. Dieser Schatz an Wissen wurde später in der Renaissance in Europa aufgenommen. Zivilisationen haben das Wissen anderer genutzt und dadurch eine Bereicherung erfahren.

Notwendigkeit des globalen Dialogs

Der zweite Imperativ besteht darin, den globalen Dialog zu intensivieren und auszuweiten. Wir haben bereits viele positive Initiativen dazu gesehen. 2001 machten die Vereinten Nationen den Anfang, als sie es zum "Jahr des Dialogs der Zivilisationen" machten. Spanien und die Türkei initiierten später die "Allianz der Zivilisationen". Und erst im letzten Jahr lud Saudi-Arabien zur "Interfaith Conference".

Nun müssen wir die Qualität dieser Dialoginitiativen verbessern, damit konkrete Schritte folgen können, die über den bloßen Gedankenaustausch gleichgesinnter, moderater Kräfte hinausgehen.

US-Präsident Obamas historische Rede am 4. Juni 2009 an der Kairo-Universität; Foto: AP
Wille zur Versöhnung mit der islamischen Welt: US-Präsident Obamas historische Rede am 4. Juni 2009 an der Kairo-Universität.

​​Der dritte Imperativ ist das Gebot, eine Lösung für die politischen Konflikte zu finden, die den Graben zwischen der westlichen und der islamischen Welt aufreißen. Heute noch befinden sich fast zwei von drei islamischen Ländern in Konflikten oder laufen Gefahr, in eine solche Auseinandersetzung zu geraten.

Demgegenüber ist es in den nicht-islamischen Ländern nur eines von vier, das dieser Gefahr ausgesetzt ist. Doch trotz dieser sehr komplexen Konfliktsituationen müssen Muslime lernen, zwischen Konflikten zu unterscheiden, in die Muslime verwickelt sind und einem "Krieg gegen den Islam".

Der vierte Imperativ besteht in der Stärkung der moderaten Stimmen in unseren Gemeinschaften. Wir müssen den moderaten Kräften mehr Macht geben. Sie müssen ihre Stimmen erheben und ihre Werte gegenüber den Extremisten verteidigen.

Multikulturalismus und Toleranz

Der fünfte Imperativ lautet: Multikulturalismus und Toleranz. Wir alle müssen zusammen daran arbeiten, dass diese beiden Werte zur globalen Norm werden. Toleranz meint vollen Respekt gegenüber der Meinung anderer, aufrichtige Akzeptanz bestehender Unterschiede sowie die Vielfalt als Chance zu begreifen und seinen Nutzen daraus zu ziehen. Nur diese Art von Toleranz ermöglicht es, tief sitzenden Hass und Vorbehalte zu überwinden.

Der sechste Imperativ besteht darin, die Globalisierung so zu gestalten, dass alle Seiten davon profitieren. Solange sich die Mehrheit der 1,3 Milliarden Muslime an den Rand gedrängt und unsicher fühlt, wird es keine wahre Harmonie zwischen den Zivilisationen geben.

Der siebte Imperativ besteht in einer Reform der Weltregierung. Während die Gruppe der G-20 die heutige globale Dynamik bereits besser repräsentiert, spiegelt der UN-Sicherheitsrat noch immer die Machtverhältnisse von 1945 als die des Jahres 2009 wider. Der Sicherheitsrat muss restrukturiert werden, um mit den weltpolitischen Realitäten Schritt zu halten.

Der achte Imperativ lautet Bildung: Politiker übersehen oft die Chancen der Bildung – sowohl in unseren Familien wie auch in unseren Schulen. Doch die Antworten liegen genau hier, wo sich die wahren Felder der Auseinandersetzung um die Herzen und Köpfe der zukünftigen Generationen befinden. Und genau hier müssen wir Ignoranz in Leidenschaft und Intoleranz in Respekt verwandeln.

Globales Gewissen und Humanität

Der neunte Imperativ schließlich ist das globale Gewissen. Dies war es, was ich in Aceh nach der Tragödie von 2004 miterleben durfte, als ein gigantischer Tsunami in einer halben Stunde 200.000 Menschen tötete. Die ganze Nation hat getrauert.

Doch inmitten dieser Tragödie ließ sich auch Humanität finden: Die Welt weinte mit uns und reichte uns die Hand, um uns zu helfen. Freiwillige aus aller Welt arbeiteten Hand in Hand, um den Menschen in Aceh beizustehen. Damals wurde mir klar, dass es tatsächlich so etwas wie ein globales Gewissen existiert.

Präsident Obama sprach in Kairo von einem "neuen Anfang" in den Beziehungen zwischen den USA und der muslimischen Welt. Heute kann ich sagen, dass sich diese neue Welt nicht auf Eroberungen gründen lässt, sondern nur auf Verbundenheit.

Es wird eine Welt sein, die sich nicht durch den "Kampf der Kulturen" auszeichnen wird, sondern durch ihr Zusammenwachsen. Es wird eine Welt sein, die sich durch Wohlstand auszeichnet und nicht durch Armut. Es wird ein großes Reich global denkender Köpfe sein, denen es gelingt, Jahrhunderte voller Widerstreit und Feindschaft hinter sich zu lassen.

Susilo Bambang Yudhoyono

© The Jakarta Globe / Qantara.de 2009

Übersetzung aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Qantara.de

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