Tod des Ost-West-Dialogs?
„Ich gehe davon aus, dass der Dialog der Kulturen tot ist“, sagte Udo Steinbach, der Direktor des Hamburger Orient-Instituts, in seinem Vortrag auf der deutsch-iranischen Tagung, die vom 14. – 15.5. am Teheraner „Zentrum für den Dialog der Zivilisationen“ stattfand. Udo Steinbach kleidete damit einen Eindruck in Worte, dem man sich als neutraler Beobachter kaum entziehen konnte: Ein ernsthafter Dialog fand auf dieser Tagung nicht einmal ansatzweise statt. Zwar gaben sich alle Beteiligten redliche Mühe, aber die bleierne, lähmende Atmosphäre, die über der Tagung lag, ließ sich zu keinem Moment wirklich verscheuchen.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Udo Steinbach macht vor allem die unilaterale amerikanische Politik und die Unfähigkeit der Europäer, ein eigenes außenpolitisches Gewicht zu erlangen, dafür verantwortlich. Diese Entwicklung habe sich schon lange angedeutet und wurde dann von den Ereignissen des 11. September auf den Punkt gebracht. Aber auch in der islamischen Welt habe sich die Aufbruchsstimmung nach dem 11.9. verflüchtigt, es herrsche jetzt Stagnation. Diese Stagnation zeige sich auch an den Veranstaltungen des iranischen Zentrums für den Dialog der Zivilisationen, die, so Steinbach, vor 10 Jahren noch eine wesentlich größere Dynamik hatten und brisantere Themen behandelten, wie zum Beispiel die Frage der Menschenrechte.
Doch indem Steinbach den Tod des Kulturdialogs mit weltpolitischen Faktoren begründete, wich er dem Kern der Problematik – und den Möglichkeiten, etwas zu verbessern – ebenso aus wie seine Vorredner. Diese freilich, anders als Steinbach, taten so, als wäre der Dialog noch lebendig. Ein Beispiel: Mehrere Vertreter der deutschen und der iranischen Universitäten sprachen über die Bedeutung des Studentenaustauschs und darüber, wie wichtig dieser für den „Dialog“ sei. Dabei wurde verschwiegen, dass es zwischen Iran und Deutschland nie um einen echten „Austausch“ von Studenten geht. Für keinen deutschen Studenten – abgesehen von einigen Orientalisten vielleicht – ist es interessant, in Iran zu studieren. Für die Iraner ist ein Studium in Deutschland jedoch sehr attraktiv. Diese einfache Wahrheit wurde jedoch nicht ausgesprochen. Daher wurde auch mit keinem Wort darüber diskutiert, was die deutschen Universitäten von iranischen Studenten, die in Deutschland studieren wollen, erwarten, und welche Standards die iranischen Universitäten erfüllen müssen, um ihren Studenten auf ein Auslandsstudium vorzubereiten. Fazit: Man kam nicht einmal dem einseitigen Austausch von Studenten auf der Veranstaltung einen Schritt näher, man verhindert ihn vielmehr, weil man das, was dazu nötig ist, nicht besprechen wollte.
Selbst wenn, wie Steinbach behauptete, die Diskussionen früher fruchtbarer waren, so muss man sich angesichts dessen, was aus der Vision eines „Dialogs der Zivilisationen“ heute geworden ist, fragen, ob diese Vision nicht immer schon eine Illusion gewesen ist. Der Dialog der Zivilisationen – der vor allem von Iran als Teil seiner Öffnungspolitik Anfang der neunziger Jahre propagiert wurde – hat eine Symmetrie, eine Gleichrangigkeit der Gesprächspartner zur Voraussetzung, die de facto nie bestanden hat. Die wirtschaftliche und wissenschaftliche Überlegenheit des Westens war immer schon zu erdrückend. Hinzu kamen politische Faktoren, die auch auf kulturellem Gebiet jegliche Symmetrie von vorneherein zunichte machten. Dies betrifft vor allem die Meinungsfreiheit und damit die Existenz eines freien Zeitungswesens und Literaturschaffens. Ohne diese Freiheiten ist aber ein offener Dialog unmöglich. In der Hoffnung, dass es diese Freiheiten dank des Reformprozesses in Iran bald geben würde, konnte man Mitte der neunziger Jahre für eine gewisse Zeit davon absehen, diese Freiheiten zur Voraussetzung für den Beginn eines Dialogs zu machen. Mittlerweile sind diese Hoffnungen jedoch enttäuscht worden. Der Reformprozess in Iran stagniert, ja er wird teilweise sogar revidiert. Wenn aber nur einer der Partner offen sprechen kann – nämlich der Westen – ist kein Dialog möglich. Es scheint daher unsinnig, so lautet die traurige Erkenntnis aus der Konferenz in Teheran, weiterhin an einem emphatischen Begriff des kulturellen Dialogs mit Iran festzuhalten. Man sollte bescheidener sein und sich damit zufrieden geben, auf einigen konkreten Gebieten, wie etwa dem Studentenaustausch, Kooperationen in die Wege zu leiten. Den kulturellen Dialog hingegen sollten wir solange aufschieben, bis die Iraner frei und auf gleicher Augenhöhe sich mit uns über ihre Vorstellungen des Dialogs (und nicht die ihres Regimes) unterhalten können.
Stefan Weidner, © 2003 Qantara.de