Rendez-vous im Café Ali Baba
Gottfried Bermann-Fischer berichtet, er habe vor manchem Treffen mit Thomas Mann zum Baldrianfläschchen gegriffen, weil da die Zukunft des Verlags auf dem Spiel stand. In Kairo, im Januar 1989, hätte der Jungverleger auch gern ein solches Fläschchen dabeigehabt.
Im Oktober zuvor hatte Nagib Machfus den Nobelpreis für Literatur erhalten. Der kleine, junge, grüne Unionsverlag hatte schon im September von der lieben Agentur auf dem Zürichberg eine mündliche Generaloption auf alle Werke von Machfus erbeten und erhalten.
Trotz dem stürmischen Interesse aller Großverlage nach der Nachricht vom Nobelpreis hatte dieses Ehrenwort Bestand gehabt. Doch nun ging es darum, in Kairo die Verträge festzumachen und das letzte Wort des Nobelpreisträgers einzuholen. Von ihm hing alles ab. Rendez-vous also mit Nagib Machfus: 7:30 Uhr im Café Ali Baba am Tahrir-Platz.
Wer den Lebenskreis von Machfus kannte, wusste: Seine intimsten Freunde empfängt er zuhause. Mit seinem literarischen Freundeskreis feiert er jeden Freitag im Casino am Nil. Die formellen Begegnungen absolviert er in seinem Büro in der Redaktion von Al-Ahram. Und die intensiveren Arbeitsgespräche immer frühmorgens im Café Ali Baba.
Also ein gutes Omen. Seine Pünktlichkeit und Regelmäßigkeit sind legendär, die Straßenhändler an der Nilbrücke stellen ihre Uhr nach ihm. Pünktlichkeit ist nicht des Jungverlegers Stärke, der frühe Morgen nicht seine aktivste Tageszeit. Also ist viel zu bedenken und vorzukehren. Im Kairoer Trubel brummt ihm der Kopf, also übt er am Vorabend sicherheitshalber schon mal den Weg vom Hotel zum Café. Man kann sich so leicht verlaufen in dieser Stadt, die ein Kontinent ist.
Er setzt sich mutig in den Rauch und das Gemurmel des Cafés und ist sicher, dass ihm jeder sein Lampenfieber ansieht. Als sei sie eine dieser tragisch-frivolen Figuren aus den Romanen des umkämpften Autors, lässt eine Schöne am Nebentisch ihre flammend roten Fingernägel spielen und blinzelt zum Jungverleger herüber. Dem aber fällt siedend ein, der mitgebrachte Wecker könnte versagen, auf dem Markt kauft er, idiotisch teuer, einen zweiten, Vertrauen erweckenden: ein wuchtiges Ungetüm mit zwei riesengroßen Schellen, das so unerschütterlich tickt wie ein Metronom. Dann nochmals die Unterlagen sortiert, und ganz früh ins Bett.
Um halb sechs dröhnt der neue Wecker, schellt der mitgebrachte und der Hotelboy poltert an die Tür. Der Morgen ist glasklar und frisch, Kairo glänzt, kaum ein Auto auf der Strasse. Eine Stunde zu früh am Tahrir-Platz. Also Runden drehen, in einer Seitengasse Tee trinken.
7:21 Uhr. Der Jungverleger tritt ins leere Café. Der Kellner weiß schon Bescheid und führt ihn über ein Treppchen in den ersten Stock. Dort sitzt Nagib Machfus am Fenster, ein Schattenriss im Gegenlicht, gebeugt über die Zeitung.
Kurz und wortlos winkt er von weitem dem Gast zu, sich am Eingang an ein Tischchen zu setzen, dann liest er unbewegt weiter, blättert, zieht an der Zigarette, liest ... Endlose, bleierne Minuten. Tausend schwarze Gedanken. Herzklopfen. Er redet nicht mal mit mir. Warum bloß.
Sicher war Unseld schon letzte Woche da. Oder er hat sich für das Projekt des Professors entschieden, der mit seinen arabischen Germanistik-Studenten 20 Romane in fünf Jahren übersetzen will. Alles ist gescheitert. O Elend, o Schande. Warum bist du nicht früher gekommen. Alles falsch gemacht. Aus der Traum.
7:30 Uhr. Nagib Machfus faltet die Zeitung zusammen. Schiebt sein Päckchen "Kent"-Zigaretten so zurecht, dass es genau rechtwinklig zum Streifenmuster des Tischtuchs liegt. Erhebt sich schwungvoll, kommt auf mich zu, sein abgewetzter schwarzer Mantel schimmert im Morgenlicht. Ein herzerquickendes, strahlendes, riesenhaftes Lächeln. "Welcome Mr. Leitess! So pleased to meet you! I have been waiting for you!"
Lucien Leitess
© Lucien Leitess 2003
Nagib Machfus starb am 30. August 2006 mit 94 Jahren in Kairo. Er schrieb mehr als vierzig Romane, über hundert Kurzgeschichten sowie Theaterstücke und Essays. Im Jahr 1988 erhielt er als erster arabischer Schrifststeller den Nobelpreis für Literatur. Lucien Leitess ist Leiter des Unionsverlags. Im Jahr 2003 schrieb er seine Erinnerungen an seine erste Begegnung mit Nagib Machfus nieder, die Qantara.de anlässlich des Todes des ägyptischen Nobelpreisträgers veröffentlicht.