'Arabîzî: Lost in Arabic

Leicht war Arabisch nie. Aber wenn die von rund 240 Millionen Menschen gesprochene Sprache mit ihren verschachtelten Verbformen und ihrer kehligen Phonologie plötzlich in lateinischer Schrift daherkommt, wird es richtig kompliziert. Und zugleich sehr simpel. Von Mona Sarkis

By Mona Sarkis

Da prangt es. Mitten in Beirut. Das Werbeplakat, auf dem sich eine Zigarettenmarke mit der Aufschrift anpreist: "Betchouf 7alak fiya." Daneben ist eine junge Frau abgebildet, die sich in einer riesigen Zigarettenschachtel spiegelt. Was den Schriftzug angeht, könnte freilich die Absurdität nicht größer sein, denn "Betchouf 7alak fiya" bedeutet: "Du erkennst dich selbst darin." Allerdings fällt die Absurdität wohl nur Außenstehenden auf - die Araber selbst scheinen sich in dieser latinisierten Variante ihrer Sprache durchaus wiederzuerkennen.

Zahlen statt Buchstaben

"Arabizi" heißt das neue Zauberwort, eine Kreation aus "Arab" und "easy". Die buchstäblich unerträgliche Leichtigkeit dieses Arabischen besteht darin, dass an die Stelle des arabischen Alphabets das lateinische tritt. Ein Vorgehen, das bei "Inschallah" ("so Gott will") oder "Salamat" ("Grüsse") noch funktioniert. Komplizierter wird es, wenn die entsprechenden Buchstaben fehlen - im konsonantischen Bereich ist das Arabische teilweise stark ausdifferenziert, so dass sich längst nicht für jeden Buchstaben ein lateinisches Äquivalent findet. Doch auch hier schufen findige Köpfe Abhilfe: Das kehlige "ain" wird mit der Zahl 3 wiedergegeben, da sie seiner arabischen Schreibweise ähnelt - nur spiegelverkehrt.

Die 5 ersetzt das "khâ"; es kann aber auch eine 7 sein, wobei diese zugleich für das ähnlich, aber doch anders klingende "hâ" stehen kann. Für alle, die angesichts dieser Fussangeln den Überblick verlieren, hält Wikipedia bereits detaillierte Konversions-Tabellen bereit. Überhaupt sei diese Welle mit dem Internet richtig losgebrochen, sagt die 22jährige Syrerin Jamila, die sich nicht erinnern kann, wann sie zuletzt ihre arabische Tastatur zum "Skypen", "Twittern" oder für ein SMS eingesetzt hat. Arabizi sei einfach "schicker". Dabei wisse sie kaum recht, was "easy" heiße: Weder ihr Englisch noch das ihrer Chat-Freunde reiche weit. Ihre Begeisterung, munter "auf Englisch" in die Tasten zu hauen, schmälert dies indes kein bisschen.

Handy-Displays; Foto: AP
Als Multimedia-Sprache ist 'Arabîzî längst gang und gäbe: "Viele Jugendliche sind es nicht mehr gewohnt, arabische Tastaturen zu bedienen, und wenn, benötigen sie eine halbe Ewigkeit, um die Buchstaben zu finden"

​​Das lässt so manchen wehmütig nach jenen Zeiten schielen, als das arabische Alphabet auf andere Sprachen expandierte, etwa auf das Persische, Kurdische, Turkmenische, Somali, Suaheli, bestimmte kaukasische und berberische Sprachen. Ein erster und massiver Einbruch kam mit Kemal Atatürk, der die arabische Schrift abschaffte und fortan Türkisch mit lateinischen Buchstaben schreiben ließ.

Auch der arabische Sprachraum blieb nicht unberührt; mit den Kolonialmächten und der Globalisierung zogen vor allem das Englische und das Französische ein. Die Konsequenzen: Kaum ein Libanese vermag einen arabischen Satz ohne Einsprengsel dieser beiden Sprachen zu Ende zu bringen, und während auf Syriens Milchtüten "Milk Man" steht - allerdings noch in arabischen Lettern -, rangiert in den Emiraten das Arabische auf Platz drei hinter Englisch und Urdu. Islamisten und Nationalisten runzeln hier natürlich die Stirn, und auch der von beiden Strömungen unbeeindruckte libanesische Linguist Nader Srage findet es wenig erfreulich, dass die Jugend das Arabische nur mehr als "Examensstoff" betrachte.

"Sie lernen es wie Chemie: um es bei den Prüfungen zu beherrschen und dann wieder zu vergessen."

Hocharabisch auf dem Rückzug?

Um die Gleichsetzung der eigenen Muttersprache ausgerechnet mit Chemie zu verstehen, bedarf es eines Blicks auf die arabischen Sprachebenen. Das klassische Arabisch, dessen komplexe Grammatik im achten Jahrhundert auf der Basis des Korantextes entstand, ist heute ungebräuchlich. Statt seiner setzte sich das entschlackte moderne Hocharabisch durch, das als Bindeglied zwischen allen Arabern fungiert - nur nicht im Alltag, den der regionale Dialekt bestimmt. Dieser kann von Land zu Land stark variieren, so dass ohne die Lingua franca des Hocharabischen etwa ein Iraker Mühe hätte, sich mit einem Marokkaner zu verständigen.

Mann trägt Google-Shirt mit arabischem Schriftzug; Foto: AP
Entwöhnung von der Muttersprache: Transliterationsprogramme, wie "Ta3reeb", das Google lancierte, sind gegenwärtig auf dem Vormarsch.

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Die regionalen Varianten haben mit dem Hocharabischen teilweise nur noch wenig gemein und verfügen über keine kodifizierte Schriftsprache. Das hält indes niemanden davon ab, seinen Dialekt auch schriftlich zu fixieren. Das ergibt laut Srage eine ernüchternde Bilanz für die reiche arabische Hochsprache: zunehmende Unkenntnis der klassischen Grammatik, Fokussierung auf regionale Dialekte, genereller Niveauschwund. Diese Entwöhnung von der Muttersprache dokumentieren auch die Transliterationsprogramme, die in lateinischer Schrift eingegebene arabische Worte ins arabische Alphabet zurück übersetzen: etwa "Ta3reeb", das Google 2008 lancierte, "Maren", das Microsoft Egypt im vergangenen Juni vorstellte, oder "Yamli", das der Libanese Habib Haddad 2007 auf den Markt brachte und das laut dem Serverdienst Alexa immerhin auf Platz 37.981 der weltweit 100.000 meistbesuchten Webseiten rangiert - mit Benützern aus Marokko (10,2%), Tunesien und Algerien (je 9,4%), aber auch aus Deutschland (6,4%) und den USA (5,7%). Die meisten sind zwischen 18 und 24 Jahre alt, männlich und gebildet.

Letzteres ist für Srage genau der Punkt: Immer mehr Araber würden im Ausland studieren oder bereits im eigenen Land mit Unterrichtsfächern in englischer oder französischer Sprache konfrontiert. "Sie sind es gar nicht mehr gewohnt, arabische Tastaturen zu bedienen, und wenn, benötigen sie eine halbe Ewigkeit, um die Buchstaben zu finden."

Entfremdung oder Erhalt?

Dem Untergang geweiht sieht der Linguist das Arabische aber nicht. Es sei doch immerhin bemerkenswert, dass die von Bachelor-, Master- und PHD-Lehrgängen Geschliffenen sich nicht mit "How do you do?" begrüßten, sondern am arabischen "Kifak?" festhielten: "So gesehen bewahren sie gerade mit Hilfe ausländischer Alphabete ihre Sprache." Und zwar vor einer regelrechten Totenstarre, glaubt Jamila in Damaskus. "Schließlich", fügt sie - die wie fast alle jungen Syrerinnen ein Kopftuch trägt - kampflustig an, "wird die arabische Welt doch stets wegen ihrer Rückkehr zum Islam beargwöhnt.

Zugleich aber sollen wir auf ewig die Sprache des Korans sprechen?" Das klingt gut. Aber es hieße, dass der auf vielerlei kulturellen Ebenen prägende, an volkstümlichen Erzählungen und sprichwörtlichen Wendungen überreiche Koran immer weniger verstanden - und immer mehr den Islamisten überlassen - würde. Das wäre ein hoher Preis für "Arabizi".

Mona Sarkis

© Qantara.de 2010