Mubaraksystem ohne Mubarak?
In Ägypten hat das Militär die Macht übernommen. Mubarak hat alle präsidialen Kompetenzen auf den höchsten Militärrat unter der Führung von Verteidigungsminister Tantawi übertragen.
Zwar verspricht das Militär, einen demokratischen Umbruch in die Wege zu leiten, und hat mit der Auflösung des Parlaments, der Ankündigung von Neuwahlen sowie der Etablierung einer Kommission zur Reformierung der Verfassung zentrale Forderungen der Protestbewegung erfüllt. Es bleibt jedoch offen, ob das Militär tatsächlich Interesse an einer Demokratisierung hat oder ob nicht vielmehr die Sicherung ihrer eigenen Wirtschafts- und Machtinteressen ihr Handeln bestimmt?
Das Militär als neutrale Instanz?
In den 18 Tagen des Protests wurde das ägyptische Militär, nachdem der Polizeiapparat die öffentliche Ordnung nicht wiederherstellen konnte, zunehmend zum Dreh- und Angelpunkt in Politik und Medien. Die Protestbewegung der ägyptischen Straße sah im Militär einen Partner in ihrer Forderung nach Veränderung und dem Ende der Präsidentschaft Mubaraks.
Der Glaube der Demonstranten an eine neutrale Instanz im ägyptischen Machtgefüge im Vergleich zum verhassten Polizei- und Sicherheitsapparat lässt sich bei einem näheren Blick auf die ägyptische Geschichte allerdings nur ansatzweise verstehen.
Das Militär ist die zentrale Quelle der Macht. Es stürzte 1952 die von den Briten installierte Monarchie und stellte mit dem 'freien Offizier' Gamal Abdel Nasser den ersten gewählten Staatspräsidenten des Landes. Auch die Nachfolger Sadat und Mubarak leiteten große Teile ihrer Legitimation aus militärischen Meriten ab.
Elitenwandel am Nil
Das Militär ist in der sehr ausdifferenzierten ägyptischen Herrschaftselite einer der zentralen Eckpfeiler von Macht und Legitimation. Dennoch hat sich die Rolle des ägyptischen Militärs in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt.
Während noch zu Zeiten Nassers das Militär eine sehr prominente Rolle in der Tagespolitik einnahm, war diese seit den 1970er Jahren doch eher begrenzt. Insbesondere Mubarak war in seiner Amtszeit bemüht, zivile Elemente im Herrschaftsgefüge zu stärken und mögliche Gefahren für seine Herrschaft zu eliminieren, indem er etwa den populären Verteidigungsminister Abu Ghazala 1989 entließ. Im Gegenzug blieben umfassende Privilegien des Militärs bzw. vornehmlich der Generalität und des Offizierskorps unangetastet.
Als Ausgleich für die geringere Präsenz in der Tagespolitik förderte das Mubarak-Regime umfassende privatwirtschaftliche Tätigkeiten hoher Militärs. So ist das ägyptische Militär seit den 1980er Jahren ein wichtiger Wirtschaftsfaktor sei es im Immobiliensektor, in der Herstellung von Haushaltsgeräten, in der Produktion von subventioniertem Brot oder in der Erschließung neuer Tourismusgebiete am Roten Meer. Schätzungen zufolge trägt die Wirtschaftsleistung des Militärs bis zu 20 Prozent zur jährlichen Wirtschaftsleistung des Landes bei.
Gegenwärtig wird das Militär im Verlauf des geordneten Übergangs letztlich die entscheidende Instanz sein. Diese 'Wiederauferstehung' des Militärs überrascht, insbesondere nach zwei Jahrzehnten der wirtschaftlichen Liberalisierung, in der private Großunternehmer eine immer prominentere Rolle in der ägyptischen Herrschaftselite einnahmen.
Durch ihre guten Zugänge zum Kern des Mubarak-Regimes schafften es einige Großunternehmer, marktbeherrschende Wirtschaftsimperien aufzubauen und über politische Mandate und Ämter auch direkten Einfluss auf die Politikformulierung zu nehmen. Es schien nur eine Frage der Zeit, dass diese Wirtschaftsoligarchie auch das Militär in der ägyptischen Herrschaftspyramide verdrängen würde.
Ende der Oligarchen
Die Wirtschaftselite war zu keinem Zeitpunkt eine homogene Gruppe, zu viele Streitigkeiten gab es zwischen Unternehmerfamilien um Einfluss, Marktsegmente und Zugänge. Aber das gemeinsame Interesse an einer kontrollierten Liberalisierung der ägyptischen Ökonomie, von der insbesondere das private Großunternehmertum profitierte, einte sie.
Das Mubarak-Regime versuchte sich in den vergangenen Jahren noch in einer Schiedsrichterfunktion, indem es einzelnen Fällen von Korruption nachging. So konnte das Regime über Mechanismen der selektiven Rechtsstaatlichkeit seinen Machtanspruch unter Beweis stellen und gegenüber dem Ausland ein Bild unabhängiger Gerichtsbarkeit zeichnen.
Der sanfte Militärputsch 2011 impliziert nur vordergründig einen radikalen Elitenwandel. Unternehmer wie der frühere Stahlbaron und NDP-Funktionär Ahmed Ezz, der es aufgrund seines politischen Kapitals schaffte, durch undurchsichtige Geschäfte und Kreditbetrug insbesondere gegenüber staatlichen Banken, einerseits den ägyptischen Stahlmarkt zu kontrollieren und andererseits ein Milliardenvermögen anzuhäufen, wird zukünftig keine Rolle mehr spielen – zu viele Feinde innerhalb der Herrschaftselite hat er sich in den vergangenen Jahren gemacht.
Andere Unternehmer verhielten sich in dieser Phase des Umbruchs sehr viel geschickter: Die milliardenschwere koptische Unternehmensfamilie Sawiris stellte sich sehr früh auf die Seite des Umbruchs. Das war auch die logische Konsequenz einer Familienstrategie, mit welcher sich die drei Sawiris-Söhne schon in den letzten Jahren durch Investitionen im Medienbereich - etwa in die regimekritische Tageszeitung al-Masri al-Youm - als Kraft des Wandels präsentierten und sich durch Kapitalabzug aus dem Land und internationale Investitionsgeschäfte für alle Eventualitäten vorbereiteten.
Die offenkundige Verquickung von Privatwirtschaft und politischer Macht durch Übernahme von Mandaten und Ministerposten seit 2004, die auch mit der prominenten Rolle von Mubaraks Sohns Gamal einherging, ist zwar bis auf weiteres Geschichte. Dennoch wird es – schon alleine aus makroökonomischen Gründen – keine Verdrängung der marktbeherrschenden Unternehmensfamilien geben.
Klientelsystem nach Mubarak
Der Umbruch in Ägypten führt damit zu einer Neupositionierung einzelner Elitengruppen aber nicht zu einer völligen Marginalisierung einzelner Sektoreliten. Die Lücke in der Politikgestaltung wird bis auf weiteres durch hohe Militärs und aus dem Militär hervorgehende Politiker gefüllt, die letztlich ganz ähnliche wirtschaftliche Motive verfolgen.
Was bleibt, ist das Leitmotiv des ägyptischen Militärs, die Erhaltung ihrer herausgehobenen Rolle im Land zu gewährleisten. Dazu zählt erstens der künftige Bezug von Militärhilfen aus den USA, die fast die Hälfte des ägyptischen Militärhaushalts ausmachen, zweitens der Erhalt der profitablen Rolle in der ägyptischen Wirtschaft, aber auch drittens die schnelle Übertragung der Regierungsverantwortung auf zivile Akteure. Es bleibt die Frage nach der Ausprägung dieses zivilen Herrschaftsgefüges. Die Person Mubarak war austauschbar, aber es ist noch nicht klar, was sein Abgang für das Klientelsystem bedeutet, an dessen Spitze er stand.
Das paradoxe am Mubarak-Regime ist die Erkenntnis, dass es auch ohne Mubarak noch umfassend mit dem politischen System Ägyptens verwoben bleibt. Der Herbst der greisen Diktatoren des Nahen Ostens ist zwar gekommen. Allerdings werden die verbliebenen autoritären Systemeliten mittelfristig das strukturelle und herrschaftspolitische Erbe für sich zu nutzen wissen, sodass Ägyptens Weg in die Demokratie ein schwieriger und ergebnisoffener sein wird.
Thomas Demmelhuber
© Qantara.de 2011
Dr. Thomas Demmelhuber ist wissenschaftlicher Angestellter am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg.
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de
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