Merz, Netanjahu und die Staatsräson

Friedrich Merz (CDU), damals Unionsfraktions- und CDU-Chef, trifft während seiner Israel-Reise Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel, Dezember 2024. Merz und Netanjahu im Dezember 2024 (Foto: picture alliance/dpa/GPO | K. Gideon)
Merz bei Netanjahu, hier im Dezember in Israel. Später folgte eine Gegeneinladung nach Deutschland (Foto: Picture Alliance/dpa/GPO | K. Gideon)

Unter Kanzler Merz dürfte Deutschlands Unterstützung für Israels Rechtsregierung weiter zunehmen – auf Kosten des Völkerrechts. Zugleich wird sich innenpolitisch ein Trend verschärfen, der schon seit längerem zu beobachten ist.

Von Daniel Bax

Wo Friedrich Merz steht, das hat der neue Bundeskanzler schon kurz nach seinem Wahlsieg im Februar klargemacht. Noch am Wahlabend telefonierte der CDU-Chef mit Israels Premierminister und sagte ihm zu, er werde „Mittel und Wege“ finden, dass Netanjahu Deutschland besuchen könne – ohne verhaftet zu werden. 

Gegen Netanjahu und Israels Ex-Verteidigungsminister Joav Gallant hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) im November Haftbefehle erlassen. Merz stellte die Haftbefehle damit infrage.  

Die neue Regierung aus Konservativen (CDU/CSU) und Sozialdemokraten (SPD) bekennt sich in ihrem Koalitionsvertrag zwar ausdrücklich zur „Bewahrung und Weiterentwicklung der regelbasierten internationalen Ordnung auf der Basis des Völkerrechts, der universellen Geltung der Menschenrechte und der Charta der Vereinten Nationen“, wie es darin heißt. Als größte Gefahr für diese Ordnung macht sie aber vor allem das Machtstreben von Putins Russland aus.  

Das Machtstreben einer in Teilen rechtsradikalen israelischen Regierung, die im Gazastreifen einen brutalen Krieg gegen die Bevölkerung führt und den Küstenstreifen erklärtermaßen auf Dauer militärisch besetzen will, ist ihr keine Silbe wert.  

Zwar bekennt sich auch die neue Bundesregierung pflichtschuldig zu einer „zu verhandelnden Zweistaatenlösung“. Allerdings ist es wohl vor allem der SPD zu verdanken, dass diese Formulierung es überhaupt in den Koalitionsvertrag geschafft hat. Aussagen zur israelischen Siedlungspolitik und zur möglichen Annexion palästinensischer Gebiete fehlen hingegen – es war die Union aus CDU und CSU, die sie aus dem Entwurf streichen ließ

Staatsräson auch innenpolitisch relevant

Die neue Regierung hat in ihrem Koalitionsvertrag unmissverständlich klargestellt: „Das Existenzrecht und die Sicherheit Israels sind und bleiben Teil der deutschen Staatsräson.“ Die Formulierung von der Staatsräson ist in den vergangenen Jahren immer mehr zu einem Synonym für eine bedingungslose Unterstützung Israels geworden.  

Dabei sind die Rechte und die Sicherheit der Palästinenser*innen aus dem Blick geraten; auch im Koalitionsvertrag finden sie keinerlei Erwähnung. Den Umfang der weiteren deutschen Unterstützung für das UN-Hilfswerk UNRWA möchte die neue Regierung sogar „von umfassenden Reformen abhängig“ machen.  

Erstmals seit fast 60 Jahren stellt die CDU mit Johann Wadephul neben dem Kanzler auch den Außenminister. Wadephul ist ganz auf einer Linie mit seinem Parteichef Friedrich Merz. Bereits im November nannte er es „unvorstellbar, dass ein demokratisch gewählter Regierungschef von Israel auf deutschem Boden festgenommen wird“.  

Diese Haltung teilen auch andere Mitglieder des neuen Kabinetts, darunter Alexander Dobrindt von der bayrischen Schwesterpartei der CDU, der Christlich Sozialen Union (CSU). Dobrindt wird neuer Innenminister. In einer Rede im Bundestag sagte er im November: „In der Frage Israels sind wir nicht Vermittler, sondern immer Partei.“  

In seinem neuen Amt dürfte er die „Staatsräson“ auch innenpolitisch noch stärker durchsetzen als bisher. So forderte er etwa, Antisemitismus als „besonders schweren Fall der Volksverhetzung“ einzustufen und gegen Menschen, „die gegen Israel hetzen“, eine Haftstrafe von mindestens sechs Monaten zu verhängen.  

Auch forderte Dobrindt, wer „antisemitische Straftaten“ begehe, müsse als Ausländer automatisch abgeschoben werden und als Deutscher mit einer weiteren Staatsbürgerschaft automatisch seinen deutschen Pass verlieren. Wo für Dobrindt legitime Kritik an Israel endet und Hetze und Antisemitismus beginnen, bleibt dabei gefährlich unklar. 

Dobrindts scharfer Ton fügt sich ein in einen harten Kurs gegenüber Einwanderer*innen und Flüchtlingen, den CDU und CSU unter Merz insgesamt verfolgen. Dieser wird die gesamte neue Regierung prägen. 

Verzahnung von Erinnerungspolitik und Israel 

Die deutsche Staatsräson in Bezug auf Israel dürfte auch in der Bildungspolitik künftig eine noch größere Rolle spielen als bislang. Die neue Bildungs- und Familienministerin Karin Prien (CDU) – die erste jüdische Ministerin in Deutschland – hatte nach dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023 den Slogan „Free Palestine“ als „Schlachtruf einer international tätigen Terrorbande“ bezeichnet. Sie sprach sich dafür aus, die Finanzhilfen an die Palästinenser*innen im Westjordanland und im Gazastreifen einzufrieren

Als Bildungsministerin wird Prien auch daran mitwirken, in Deutschland „das erste Yad Vashem-Bildungszentrum außerhalb Israels einzurichten“. Dieses hat die neue Regierung in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt.  

Die deutsche Erinnerungspolitik wird somit mit dem israelischen Staat verzahnt. Direktor der israelischen Holocaust-Gedenkstätte ist seit 2021 der umstrittene Politiker und Unternehmer Dani Dayan, der Netanjahu und der Siedlerbewegung nahesteht.  

Dabei baut die neue deutsche Regierung auf einem bereits sehr hohen Grad der Zusammenarbeit mit Israel auf. Deutschland ist der wichtigste Verbündete Israels in Europa und, nach den USA, der zweitgrößte Waffenlieferant des Landes.  

Schon die letzte Bundesregierung hatte die Zusammenarbeit mit Israel weiter ausgebaut, etwa im Bereich der Forschung und Wissenschaft oder durch die geplante Einrichtung eines Deutsch-Israelischen Jugendwerks, um den Jugendaustausch zu fördern. Die neue Regierung dürfte diesen Kurs fortsetzen. 

Hohes Niveau der Repression

Zugleich wird in kaum einem anderen Land die Debatte über Israel und Palästina schon jetzt so stark reglementiert wie in Deutschland. Das Niveau der Repression von Stimmen, die die israelische Regierung kritisieren, ist bereits hoch. Die deutsche Polizei geht bei Demonstrationen gegen den Krieg in Gaza seit Monaten äußerst streng vor und greift schon bei kleinsten Gelegenheiten hart durch.  

Viele Veranstaltungen – Konzerte, Theaterstücke, Ausstellungen und ganze Konferenzen – wurden im vergangenen Jahr abgesagt. Künstler*innen und Intellektuelle wurden ausgeladen, weil sie Israel zu scharf kritisiert hatten. Dieser Trend, der bereits seit dem 7. Oktober 2023 zugenommen hat, dürfte sich nun noch verstärken. Die neue Regierung unter Merz steht für „Staatsräson pur“.   

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