"Der Westen soll uns weiter unterstützen"
Langsam kehrt Normalität in das Stadtzentrum von Kairo ein. Im Café "Al-Horreya" (Die Freiheit) unweit des Tahrir-Platzes trifft sich eine Gruppe junger Ägypter mit dem Poeten und Publizisten Alaa Khaled.
Er ist aus der Hafenstadt Alexandria nach Kairo gekommen, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Draußen kehren die Menschen Straßen und Bürgersteige. In den vergangenen zwei Wochen hat sich hier viel Müll gesammelt. Andere marschieren durch die Straßen, um ihrer Freude über den Abgang Mubaraks Ausdruck zu verleihen.
Im Café "Al-Horreya" macht ein alter Mann mit weißem, kurzen Bart und Galabiya, einem langen traditionellen Gewand, unbeachtet von den anderen den Boden an einer Ecke sauber. Dort will er sein Geschäft wiederaufnehmen: Schuhe putzen.
An den kleinen weißen Holztischen sitzen ausländische Journalisten, Arbeiter, junge Ägypter und Familien mit kleinen Kindern. Sie grüßen sich höflich bei jedem Blickkontakt und lächeln sich gegenseitig an. Immer wieder ist das Wort "Mabrouk" - "Glückwunsch" zu hören. Glückwunsch, dass der ehemalige Diktator endlich seinen Posten geräumt hat. Glückwünsche für die Gemeinschaftsleistung, die ihn dazu gezwungen hat.
Beginn einer neuen Ära
Alaa Khaled ist Herausgeber eines Kulturmagazins. Er will an diesem Tag die nächste Ausgabe mit den Studenten diskutieren. Einige möchte er auch als Autoren gewinnen. "Jeder soll das schreiben, was er will. Fühlt euch bitte ganz frei", ruft er in die Runde.
Nach Jahren der Einparteienherrschaft klingen seine Worte für die Studenten wie der Anfang einer neuen Ära. "Eine Ära, in der Freiheiten und Menschenrechte respektiert werden", sagt jemand aus der Runde.
Die 22jährige Youmna zeigt lachend die heutige Ausgabe von "Al-Ahram", der größten Tageszeitung in Ägypten. Bislang galt das Blatt als Sprachrohr der Regierungspartei NDP. Auf der ersten Seite steht: "Das Volk hat das Regime gestürzt." Ein Zeichen von Pressefreiheit, da sind sich die Anwesenden einig.
Sie sollten über ihre Erlebnisse während der Revolution schreiben, empfiehlt Alaa Khaled. Damit die Opfer im Kampf für die Freiheit nicht in Vergessenheit geraten würden. "Diese Freiheiten zu bewahren, ist unsere Aufgabe in dieser Phase", meint Khaled.
Schnell wechseln die Anwesenden zum Thema der Rolle des Militärs in dieser Übergangsphase. "Das Militär soll mit allen Oppositionsströmungen und mit Jungendvertretern reden, unabhängig davon, ob die aktuelle Regierung bleibt oder eine neue gebildet wird", sagt einer der jungen Männer am Tisch.
Keine Angst vorm Militär
Youmna war vom ersten Tag der Proteste an auf dem Tahrir-Platz. Sie kam immer wieder - bis zur Rücktrittserklärung von Mubarak. Sie hat erlebt, wie die Polizei Menschen erschossen hat und sah Demonstranten tot am Boden liegen. Sie wisse, wozu das ägyptische Volk fähig sei, betont sie. Deshalb habe sie keine Angst, dass Ägypten eine Militärdiktatur werden könnte.
Wenn die Armee sich gegen das Volk entscheiden sollte, dann "gehen wir wieder auf die Straße. Ganz einfach ist das", sagt sie und nimmt ihr Glas Tee in die Hand.
Auch Alaa Khaled ist Youmnas Meinung. "Das Militär soll das Land in der Übergangsphase regieren, damit eine neue Verfassung erarbeitet werden kann und anschließend Wahlen organisiert werden können", sagt er. Nur so wäre der Weg frei für Veränderungen.
Doch weil einige politische Kräfte eine Modernisierung des Landes verhindern wollten, ist er gespannt, welche Veränderungen es genau geben wird. "Es wird auf jeden Fall Diskussionen geben", sagt er. "Das wäre doch Demokratie", antwortet eine der Anwesenden, die ein Kopftuch trägt. Die anderen nicken.
"Wir erwarten nichts mehr vom Westen"
Immer mehr Menschen kommen ins Café "Al-Horreya". Einige gönnen sich eine Pause vom Saubermachen. Eine Gruppe junger Mädchen legt Plastik-Handschuhe und Besen zur Seite, als sie Platz nimmt. Eines ruft dabei Revolutions-Parolen und macht Witze über den abgesetzten Präsidenten, der nach Deutschland ins Exil hätte gehen sollen.
Das wäre ein schönes Geschenk von Bundeskanzlerin Angela Merkel an Ägypten gewesen, meint eine andere. "Doch jetzt ist es zu spät. Wir erwarten jetzt nichts mehr vom Westen."
Alaa Khaled hingegen erwartet, dass der Westen das neue Ägypten beim Aufbau einer funktionierenden Demokratie unterstützt. "Aber es ist eben eine neue Ära", sagt er. "Heute gibt es nicht nur einen Mann, mit dem der Westen verhandelt, sondern 80 Millionen Ägypter."
Und wenn gewählt werde, müsse der Westen die Ergebnisse anerkennen, meint Khaled: "Auch wenn es die islamistische Alternative wäre", die er selber nie wählen würde. "Die europäischen Regierungen und die USA sollten uns einfach weiterhin unterstützen, wie sie es in der Ära Mubarak getan haben", fügt eine der Anwesenden hinzu. "Alles andere schaffen wir bestimmt alleine."
Alaa Khaled fragt die Jungen, wie sie sich nun ihre eigene Zukunft im neuen Ägypten vorstellen. "Zunächst schlafen", lautet die Antwort von Youmna. Und dann fügt sie hinzu: "Ich glaube, es wird langsam Zeit, dass ich mich verliebe und heirate." Alle lachen.
Die Idee gefällt auch den anderen jungen Frauen. "Aber", ergänzt eine andere junge Frau, "wer nicht von Anfang an bei den Demonstrationen dabei war, der hat bei mir keine Chance."
Khalid El Kaoutit
© Deutsche Welle 2010
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
Qantara.de
Soziale und kulturelle Transformation Ägyptens
Genealogie des ägyptischen Frühlings
Die Ägypter galten lange als friedfertiges, duldsames Volk. Doch die jüngsten Proteste kommen nicht aus einem luftleeren Raum: Bereits 2004 bildete sich die Protestbewegung "Kifaya!". Ägypten ist weiter, als wir das wahrnehmen wollen, schreibt Stefan Winkler.
Ägypten nach Mubarak
Wer Demokratie predigt...
In Ägypten schlägt nun für alle die Stunde der Wahrheit: Zwar sind die großen Probleme auch nach Mubaraks Sturz ungelöst, aber die Revolution auf dem Tahrir-Platz könnte eine neue Epoche einleiten. Der Westen müsste die neue Demokratie im Nahen Osten nur konsequenter fördern. Ein Kommentar von Rudolph Chimelli.
Rücktritt Hosni Mubaraks
K.o. für den Pharao
Wir erleben einen welthistorischen Moment, angesichts dessen sich die Ereignisse in Tunesien, so unabdingbar sie für die ägyptische Revolution waren, wie eine Ouvertüre ausnehmen, schreibt Stefan Weidner in seinem Kommentar.