Der Kosmopolit
Jedes Ding hat zwei Seiten: Zum einen hat Dhafer Youssef viel Glück gehabt. Ende der Neunziger traf er in Wien nach langer künstlerischer Durststrecke Leute, die mit seinen musikalischen Vorstellungen etwas anfangen konnten. Youssefs Stärke war die Mischung aus musikalischer Offenheit, stilistischer Eigenwilligkeit und kultureller Exotik, die sich gut mit kammerjazzigen Projekten mitteleuropäischer Herkunft verknüpfen ließ. Er fand seinen Platz in der Szene, wurde zur dritten Kraft an der Oud im Studio- und Konzertbetrieb neben Anouar Brahem und Rabih Abou-Khalil. Auf der anderen Seite führt genau diese Position zwischen den Kulturen zu Stereotypen der Vorstellung, die ihm inzwischen gewaltig auf die Nerven gehen.
"Mich stört es ziemlich, dass ich oft als Botschafter des Orients, als Couscous-Macher gesehen werde. Ich trage genauso Jeans wie andere Menschen und wenn ich verreise, steige ich nicht aufs Kamel, sondern setze mich ins Flugzeug. Aber das ist für manche Kreise einfach schwer zu verstehen. Eigentlich ist es sogar ein ganz altes Schema. Je weniger ich von jemandem weiß, desto verunsicherter bin ich und bereit, irgendwelchen Vorurteilen zu folgen. Richtig ändern könnte sich das erst, wenn die Araber nicht mehr als Araber und die Europäer nicht mehr als Europäer gesehen werden."
Von der Koranschule zum Jazz
Ob er das noch erleben wird, steht in den Sternen. Bislang jedenfalls begnügt sich Youssef mit einer Realität, die für ihn ständig Herausforderungen zu bieten hat, nachdem sein Start in die Musikerkarriere eher unkonventionell verlaufen war: "Ich hatte eine verrückte Kindheit. Ich wollte immer etwas anderes. Klar, ich war Tunesier, war auf der Koranschule, habe islamische Lieder gesungen. Doch ich wollte etwas anderes." "Heimlich habe ich Radio gehört, wie so viele. Es war die einzige Möglichkeit, zur Außenwelt Kontakt aufzubauen. Dort habe ich die Musik ohne Filter aufgenommen, naiv und ohne zu wissen, ob es Jazz, Blues oder Klassik war. Manches hat mich besonders begeistert. Im Nachhinein musste ich feststellen, dass es in der Regel die Jazzgeschichten waren."
Es war schnell klar, dass Dhafer mit seinen Ansprüchen an Freiheit und an das Leben in seinem traditionsgebundenen Heimatort Teboulba nicht glücklich werden würde. Er entschloss sich, Tunesien zu verlassen, denn die gedankliche, perspektivenarme Enge machte ihn krank. Als mittelloser, autodidaktischer Musiker kam er zunächst nach Österreich, in das einzige Land, das ihn ohne große Visum-Formalitäten aufnahm.
Magie skandinavischer und indischer Klangwelten
Er lebte eine Zeit in Graz und Wien, dann in Barcelona, Berlin, New York, Marokko, Dakar, daraufhin wieder in Österreich. Sein WG-Zimmer bestand aus einem Sessel, einer Matratze und seiner Oud, was den Vorteil hatte, dass er von einem Tag auf den anderen seine Zelte abbrechen konnte. Nach den ersten Achtungserfolgen mit dem Debütalbum "Malak", zog er als Heimatloser durch die Welt der Hotels, bis er vor drei Jahren, frisch verheiratet, seinen Wohnsitz in Paris-Barbès gefunden hat. Seitdem geht es stetig bergauf.
Aus dem zunächst flüchtigen Kontakt zu dem sardischen Trompeter Paolo Fresu zum Beispiel wurde eine enge Freundschaft, die sich inzwischen in verschiedenen Projekten wie einem Duo oder dem Trio mit dem norwegischen Gitarristen Eivind Aarset niederschlägt. Überhaupt hat Youssef eine überraschende Nähe zu den Soundvorstellungen der skandinavischen Musiker entdeckt, ebenso wie er sich von der indischen Klangwelt magisch angezogen fühlt.
Sein Terminkalender ist prall gefüllt und reicht von Gastauftritten mit profilierten Jazzmusikern wie Uri Caine und John Hassell über eine Tournee mit dem kubanischen Pianisten Omar Sosa im Mai und Konzerte in Südafrika bis hin zur Arbeit mit seinem eigenen Quartett, das sich aus jungen Tüftlern aus dem Kreis der norwegischen Electro-Jazz-Frickler zusammen setzt.
Weltbürger mit arabischen Wurzeln
Die Vielfalt der Impulse und Identitäten ist dabei nicht Programm, sondern eine Selbstverständlichkeit, die Youssefs kosmopolitischem Wesen entspricht: "Ich lebe fest in Paris, manchmal auch noch in Wien. Aber genau genommen bin ich überall in Europa zuhause. Exil verspüre ich eher, wenn ich an Tunesien denke, so wie es dort zur Zeit ist. Oder an Bush. So etwas hat mit gedanklichem oder wirklichem Exil zu tun, in das man sich begeben muss."
Der Weltbürger als Ziel und tägliche Aufgabe. Youssef kennt die Schattierungen der Beurteilung und weiß, dass er sich bei aller Freiheit nicht vollständig aus dem Zusammenhang der eigenen Herkunft herausnehmen kann. So wie die Globalisierung und Regionalisierung zum gleichen Entwicklungsprozess gehören, hängen auch der Blick in die Ferne und die Verwurzelung in der eigenen Geschichte eng zusammen.
"Es ist seltsam. Vor dem 11. September habe ich mich nie als Araber gesehen, sondern als Welt-Musiker, der überall den Menschen durch die Klänge etwas mitteilen kann. Natürlich gilt das immer noch. Trotzdem höre ich heute mehr auf den Nachhall der Traditionen, die meine Vergangenheit ausmachen." Denn Kreativität entsteht im Kontrast und Wechselspiel der kulturellen Überlieferungen. Und das ist die Freiheit, die Youssef von Anfang an gesucht hat.
Ralf Dombrowski
© Qantara.de 2005