Kulturaustausch in der Sackgasse

Die Geschichten aus "Tausendundeiner Nacht" gehen ursprünglich auf mündliche Erzählungen aus Indien und Persien zurück. Niedergeschrieben wurden sie zuerst in arabischer Sprache. Mahir Sharaf Al Din über die Beziehung zwischen indischer und arabischer Literatur damals und heute

Die Geschichten aus "Tausendundeiner Nacht" gehen ursprünglich auf mündliche Erzählungen aus Indien und Persien zurück. Niedergeschrieben wurden sie seit dem 9. Jahrhundert zuerst in arabischer Sprache. Mahir Sharaf Al Din über die Beziehung zwischen indischer und arabischer Literatur damals und heute

Indien als Gastland auf der Frankfurter Buchmesse 2006; Foto: AP
Indien war Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2006 - in der arabischen Welt ist das Interesse an indischer Literatur eher gering

​​Ein einfacher Vergleich von Vergangenheit und Gegenwart der Beziehung zwischen indischer und arabischer Literatur bereitet Unbehagen. Wie stark sich die damalige und die heutige Situation voneinander unterscheiden, wird einem bewusst, wenn man sich näher mit dem Werk "Tausendundeine Nacht" beschäftigt, das nach der Meinung des Argentiniers Jorge Luis Borges zur Vorlage der phantastischen Weltliteratur wurde.

Besondere Beachtung verdient, wie wundervoll die Verbindung beider Seiten in diesem Buch gelingt, das indische Geschichten auf Arabisch erzählt.

Die indische und die arabische Literatur treffen aufeinander, wenn etwa der Araber Harun al-Raschid und der Inder Sindbad in einer Geschichte agieren. Letzterer ist ein herausragendes Symbol für die Verflechtung beider Literaturen – Sindbad erlebt seine Abenteuer auf arabischem Boden - in Bagdad oder in Basra.

Sindbad, eine Figur der indischen und persischen Literatur, hat in der arabischen Erzählkunst eine Heimat gefunden. Ebenfalls unter glücklichen Umständen, wie mir scheint, kam es 1814 zum ersten Druck von "Tausendundeiner Nacht" in arabischer Sprache, und zwar in Kalkutta, der Geburtsstadt des indischen Nobelpreisträgers aus dem Jahr 1913 Rabindranath Tagore.

Natürlich hat man versucht, die Geschichten arabischen Ursprungs von den indischen zu trennen. Dies steht jedoch im Gegensatz zum Geist des Buches, der nicht nur einem, sondern mehreren Verfassern zu verdanken ist. Zwei Kulturen begegnen sich darin. Dass sie nicht deutlich klar zu trennen sind, ist ein deutliches Indiz für einen fruchtbaren Kulturaustausch, der von Weisheit geprägt war.

Kalila und Dimna

Ebenso bemerkenswert ist, wie Abdallah Ibn al-Muqaffa das Buch des indischen Philosophen Bidpai "Kalila wa Dimna" für die arabische Literatur erschloss und ihr damit Zutritt zur indischen Weisheit verschaffte. Weil seine Übertragung des Werks durch so viel Eigenes ergänzt wird, handelt es sich um eine Arabisierung des Stoffes, nicht um eine Übersetzung. Das Buch wurde sozusagen auf Arabisch reproduziert.

Neben diesen beiden Werken, die die Araber stark beeinflussten, gab es die heiligen indischen Schriften, das Veda, das Epos Ramayana, das Epos Mahabharata. Dies ist das längste Werk der Literaturgeschichte und war zunächst ein Lobgedicht auf den Ruhm und die Siege des Fürsten Bharata. Im Laufe von acht Jahrhunderten entwickelte es sich weiter, bis es im 4. Jahrhundert n. Chr. endgültig niedergeschrieben wurde.

Häufig begegnet man Elementen aus diesem Epos in den Schriften der großen indischen Literaten: bei Tschandra, dem Vater der modernen indischen Literatur, bei Valniki, Kalidasa und Tagore.

Allerdings beschränkt sich die Übersetzung moderner indischer Literatur ins Arabische fast ausnahmslos auf einige große Werke indischer Autoren, die auf Englisch schreiben, so von Mulk Raj Anand, Narayan und Raja Rao, dem Autor des bekannten Romans "Kanthapura".

Sieht man von der arabischen Übersetzung eines kleinen Teils des 120 Bände umfassenden Werks des größten indischen Lyrikers, Rabindranath Tagore ab, begegnet man nirgendwo einem genuinen Interesse an der Übertragung moderner indischer Literatur ins Arabische.

Kaum Interesse an indischer Literatur

Deutlich wird dies beim Vergleich mit der Anzahl der Übersetzungen japanischer oder chinesischer Werke: Aus diesen beiden Kulturkreisen wurden 2006 zehn Romane übersetzt, aus dem indischen hingegen kein einziger.

Natürlich muss unter den großen indischen Schriftstellern, die in englischer Sprache schreiben, auch Salman Rushdie, der Autor der berühmten "Satanischen Verse", erwähnt werden: Millionen Araber und Muslime, die Rushdie ausgiebig beschimpften, die Forderung nach seiner Hinrichtung billigten und sich an den Demonstrationen gegen ihn beteiligten, hatten sein Buch nie gelesen!

Gegenwärtig gibt es keinen Literaturaustausch mehr zwischen der arabischen Welt und anderen Kulturen. Die Tatsache, dass Millionen von Illiteraten gegen ein Buch demonstrierten, ist nur ein Beispiel für das strukturelle Problem, unter dem die arabische Kultur leidet.

Mahir Sharaf Al Din

Übersetzung aus dem Arabischen von Stefanie Gsell

© Qantara.de 2006

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