Epischer Freitag, blutiger Samstag

Im Iran haben die Anhänger des reformorientierten Präsidentschaftskandidaten Mirhossein Mussawi ihre Proteste gegen den Wahlsieg Ahmadinedschads auf die Straße verlagert. Der Druck auf das Regime wächst. Einzelheiten von Alessandro Topa aus Teheran.

Im Iran haben die Anhänger des reformorientierten Präsidentschaftskandidaten Mirhossein Mussawi ihre Proteste gegen den Wahlsieg Ahmadinedschads mittlerweile auf die Straße verlagert. Der Druck auf das Regime wächst. Einzelheiten von Alessandro Topa aus Teheran.

Anhänger Mussawis demonstrieren in Teheran; Foto: dpa
"Gebt uns unsere Stimme zurück!" - Anhänger Mussawis demonstrieren trotz Versammlungsverbots gegen den massiven Wahlbetrug in Teheran.

​​"Es war einer jener Schocks, von denen man sich erstmal erholen muss", fasst die 20jährige Mandana ihren Eindruck zusammen, den die überraschend schnelle Bekanntgabe der ersten Wahlergebnisse am späten Freitagabend (12.6) bei ihr hinterlassen hat.

Diesen ersten Hochrechnungen zufolge triumphierte Irans Präsident Mahmoud Ahmadinedschad mit 69 Prozent der Stimmen vor Mirhossein Mussawi mit nur 28,5 Prozent. Die anderen Kandidaten, Mohsen Rezaei sowie Mehdi Karrubi, schafften gar mickrige 0,9 bzw. 1,6 Prozent. Und an diesen Größenordnungen sollte sich dann auch nach Auszählung aller Stimmen nicht mehr viel ändern.

Schon am Samstagabend, so erzählt Mandana, habe sie nichts mehr zuhause gehalten. Mit der Parole "Fürchte Dich nicht! Wenn wir zusammenhalten, können sie uns nichts tun" habe man sich immer wieder Mut gemacht.

"Prügel-Basijis" im Einsatz

Diesen Mut muss man auch aufbringen, angesichts heftiger Schlagstockeinsätze der Polizei, der "Basiji"-Milizen in Zivil und der Pressure Groups in Schwarz auf ihren Motorrädern, die sich gern auch Respekt verschaffen, indem sie unbeteiligten Passanten in die Beine knüppeln und Autoscheiben zertrümmern.

Den gemischten Chor aus Autohupen, Frauen- und Männerstimmen, die – in Anlehnung an die Slogans der Frühphase der Revolution – "Allah-o Akbar" ("Gott ist groß") oder "Marg bar Diktator" ("Tod dem Diktator") rufen, konnten sie freilich auch in der Nacht von Sonntag auf Montag nicht ersticken.

"Ich bin mit den anderen Demonstranten durch die Straßen gelaufen, um zu zeigen, dass wir uns das nicht gefallen lassen werden." Ganz in diesem Sinne wollte auch die Mussawi-nahe Zeitung "Kalemeh Sabz" ("Grünes Wort") titeln, deren Auslieferung jedoch am Sonntag untersagt wurde:

"Wir ergeben uns nicht vor dieser gefährlichen Inszenierung", kann man immerhin im Internet lesen – wenn man Glück hat. Denn der Abruf von Webseiten in der Islamischen Republik wird immer zur Geduldssache. Vermutlich werden viele Seiten massiv gefiltert. Das Mobilfunknetz für das Versenden von SMS ist bereits lahmgelegt.

Gegen kolossalen Wahlbetrug

Mit beißendem Spott reagierte hingegen die Tageszeitung "Etemad-e Melli" ("Nationale Zuversicht") Mehdi Karrubis, der sogar weniger Stimmen erhalten hatte, als ungültige und leere Wahlzettel abgegeben wurden (dürftige 1,04 Prozent): "Das Innenministerium setzt Karrubi auf den fünften Rang."

Mit Schlagstöcken bewaffnete Basiji-Miliz geht gegen Anhänger Mussawis vor; Foto: AP
Prügelnd im Einsatz gegen Anhänger des reformorientierten Lagers: Einheiten der Basiji-Miliz in Zivil gehen mit Schlagstöcken gegen Demonstranten vor.

​​ Im Untertitel wird daran erinnert, dass der Kleriker vor vier Jahren noch 5,3 Millionen Stimmen erhalten hatte. In der unteren Hälfte der Titelseite prangt sodann weiße Leere: An dieser Stelle, so wird knapp erläutert, sollte eigentlich eine Stellungnahme zu den Wahlergebnissen von Karrubi und Mussawi veröffentlicht werden, deren Abdruck aber von der Zensur untersagt worden ist.

"Ich glaube nicht, dass wir lange durchhalten werden", sagt Mandana, die fast noch ein Mädchen ist, sich als Iranerin jedoch verpflichtet fühlt, gegen das, was viele als kolossalen Wahlbetrug interpretieren, zu protestieren. "Aber das Fehlen jeglicher Führung und Organisation ist ein riesiges Handicap für uns."

Am Wahlwochenende wurden bereits über hundert Mitglieder der reformistischen "Mosharekat"-Partei verhaftet – darunter ehemalige Minister des Kabinetts von Ex-Staatspräsident Khatami und dessen Bruder Mohammad Reza.

Panikmache vor "schleichender Revolution"

Anders als Mandana macht die konservative Tageszeitung "Iran" freilich wesentlich mehr Organisation in dem spontanen Treiben der Krawallmacher aus: In einem Artikel auf der zweiten Seite der Sonntagsausgabe werden namentlich Organisatoren der Proteste genannt, die von einer Wohnung im Norden der Stadt koordiniert werden sollen, um eine "schleichende Revolution" voranzutreiben.

Mirhossein Mussawi; Foto: DW
Mirhossein Mussawi hatte sich einem Demonstrationsverbot nach Auszählung der Stimmen widersetzt und rief seine Anhänger zu Protesten gegen die Wahlfälschungen auf.

​​Jene "schleichende Revolution", deren Unterstützung sich auch Mussawi und Karrubi schuldig gemacht haben sollen, wie ein Pressesprecher der Revolutionsgarden schon zwei Tage vor der Wahl insinuierte.

Die großen konservativen Tageszeitungen betonen zumeist die überwältigende Wahlbeteiligung: "Alle sind gekommen", titelt etwa die Tageszeitung "Ettel'at" . Und die "Keyhan" beobachtet gar "ein wahres Wahlfest", während die englischsprachige "Tehran Times" verkündet: "Ahmadinejad declared winner" und in einem zweiten Artikel auf der Titelseite erste Bekundungen des Revolutionsführers wiedergibt:

"Die iranische Nation", so Ali Khamenei, "habe bewiesen, dass sie 30 Jahre nach der Revolution noch immer loyal gegenüber den Werten der Revolution ist und so Freunden wie Feinden gezeigt hat, dass sie trotz allen politischen und psychologischen Drucks nicht von ihrem Kurs abweichen wird."

Und im staatlichen Fernsehen läuft derzeit auf allen sechs Kanälen ein Schriftband, das den 22. Khordad (12. Juni) als den epischen Freitag einer historischen Wahl rühmt. Immer wieder werden Szenen aus Wahllokalen gezeigt, über die gern auch ein Feuerwerk eingeblendet wird.

Wachsende Proteste

Doch während das Fernsehen bereits bei der historischen Archivierung der Ereignisse der vergangenen Tage angelangt sein möchte, spitzt sich die Situation in Teheran stündlich zu.

Trotz des offiziellen Versammlungsverbotes strömten Hunderttausende Anhänger des unterlegenen Reformkandidaten Mirhossein Mussawi zur Universität und zu einem riesigen Platz im Zentrum Teherans, wie Augenzeugen berichteten. "Wir haben euch gewarnt, wenn Ihr uns betrügt, machen wir Euch das Leben zur Hölle!", riefen die Demonstranten.

Die anhaltenden Proteste gegen die Stimmauszählung haben inzwischen Khamenei dazu veranlasst, den Wächterrat damit zu beauftragen, das Wahlergebnis zu prüfen.

Alessandro Topa

© Qantara.de 2009

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