Kalkulierte Provokation
"Israel must be wiped off the map" – Israel muss von der Landkarte getilgt werden. Kein Satz wird so häufig mit dem amtierenden Präsidenten Irans Mahmud Ahmadinejad assoziiert und als Beleg für dessen Vernichtungsphantasien gegenüber Israel genommen wie dieser.
Das Problem ist nur – er hat diesen Satz nie gesagt: Er hat nicht gesagt, er wolle Israel "von der Landkarte tilgen", sondern "dieses Regime, das Jerusalem besetzt hält, muss von den Seiten der Geschichte verschwinden".
Kontroverse um "wipe-off-the-map"-Äußerung
Andererseits hat er diese falsche Übersetzung, die offenbar von der staatlichen iranischen Nachrichtenagentur selbst im Umlauf gebracht worden ist, aber auch sehr lange nicht richtig gestellt. Inzwischen hat er sich – vermutlich aufgrund des inneren iranischen Drucks – mit den erklärenden Worten geäußert: "Iran hat keine Pläne, Israel anzugreifen" und damit auf die ihm gestellte Frage geantwortet, ob Iran beabsichtige, Israel zu zerstören und das jüdische Volk auszulöschen.
Die Debatte um die "wipe-off-the-map"-Äußerung und ihre Übersetzung aber geht weiter: Die Bundeszentrale für politische Bildung, das ZDF, Spiegel online, dpa und viele mehr haben inzwischen die korrekte Übersetzung übernommen, während andere meinen, auch die richtige Übersetzung ändere nichts an der grundsätzlichen Intention des iranischen Präsidenten – nämlich Israel vernichten zu wollen.
In der maßgeblich vom Verband "Arbeiterfotografie" angestoßenen Debatte ist allerdings eine Frage weithin unbeachtet geblieben: Wieso verwenden auch offizielle iranische Stellen die englische Übersetzung "wipe off the map" bis zum heutigen Tag? Um eine mögliche Erklärung dafür zu geben, ist ein Blick in die neuere iranische Geschichte nötig.
Immanenter Anti-Zionismus
Im Jahre 1999 kam es zu einem ebenso denkwürdigen wie beunruhigenden Ereignis: Am Vorabend des Pessah-Fests wurden 13 Juden aus Schiraz inhaftiert und der Spionage für Israel angeklagt. Dies war insofern ein neuer Ton, als es in all den Jahren seit der Islamischen Revolution – von wenigen Ausnahmen abgesehen – keine spezifische Verfolgung von Juden gegeben hatte.
Sie werden in dem Maß diskriminiert, wie die anderen, offiziell anerkannten religiösen Minderheiten in Iran diskriminiert werden. Das heißt, sie sind frei in der Ausübung ihrer Religion, können aber nicht gleichberechtigt am politischen Geschehen teilnehmen und werden auch im Recht benachteiligt.
Die offizielle iranische Haltung hatte in all den Jahren zwischen dem ihrer Staatsideologie immanenten Anti-Zionismus und den in Iran lebenden Juden unterschieden – immerhin mit 25.000 auch heute noch nach Israel die größte jüdische Gemeinde im Nahen Osten.
Instrumentalisierung für innenpolitische Konflikte
Doch mit den Anklagen in Schiraz begann etwas Neues: Die Instrumentalisierung der Juden für die innenpolitische Auseinandersetzung in Iran. In Schiraz hatten zum ersten Mal jene Zirkel zugeschlagen, denen Ahmadinejad zuzurechnen ist und die aus dem Geheimdienst, den Revolutionswächtern und der so genannten "Haqqani"-Geistlichkeit, den Absolventen der gleichnamigen Schule, die für ihre radikale Islaminterpretation bekannt ist, bestehen:
Sie verurteilten die Politik der vorsichtigen Öffnung, die unter Khatami eingeschlagen worden war und wollten zurück zur Glut der Revolution. Deshalb benutzten sie das Thema "Juden in Iran" damals als Mittel zum Zweck, die Reformregierung im Ausland zu diskreditieren. Diese Fraktion will die fortschreitende Westorientierung, die die Ära Rafsandschani und Khatami ausgezeichnet hatte, rückgängig machen.
Diesen Hütern der Revolution ist die Jugend zu verwestlicht, sind die Frauen zu selbstbewußt, die Studenten zu aufmüpfig, und die vielen Reformtheologen in Ghom gelten ihnen als Ketzer. Und es ist diese Fraktion, der an einer militärischen Eskalation mit dem Westen sogar gelegen ist, weil sie dann im Inneren die Zügel wieder fester anziehen kann.
"Ein Haufen Schnaps trinkender Lumpen"
Mahmud Ahmadinejad kommt aus dem Innersten dieser Gruppe. Sein geistlicher Mentor Ajatollah Mesbah Yazdi nannte die Reformer um Khatami und seine Wähler – beinah 80 Prozent der iranischen Wählerschaft – einst "einen Haufen Schnaps trinkender Lumpen". Für diese Gruppe hat die Islamische Revolution schon seit Jahren ihre Identität verloren.
Damit sind in ihrem Ideengebäude vor allem der Messianismus und der schiitische Erlösungsgedanke gemeint. Unter den iranischen Reformern und Pragmatikern um die Präsidenten Khatami und Rafsandschani war dieses Erlösungspathos in den letzten Jahren mehr und mehr in den Hintergrund getreten.
Khatamis Nachfolger Ahmadinejad hingegen pflegt einen sehr ausgeprägten Messianismus: Als er noch Bürgermeister von Teheran war, ließ Ahmadinejad einen Boulevard renovieren, weil der ersehnte Mahdi bei seiner Rückkehr darüber in die Hauptstadt einmarschieren werde. Und er soll die Stadtverwaltung angewiesen haben, Karten mit der Route, die der Imam bei seiner Rückkehr nehmen werde, zu drucken.
In allen seinen Reden hat Ahmadinejad von der Notwendigkeit gesprochen, den Boden für die Rückkehr des Mahdis zu bereiten – beispielsweise auch in seiner Rede vor der überaus erstaunten UN.
Das Problem ist: der Mahdi kommt nach schiitischem Glauben dann, wenn auf Erden größtmögliches Chaos herrscht. Dass er dies zu schaffen gedenke, indem er Israel angreift, unterstellen ihm seine Gegner – im Westen wie auch in Iran.
Das ist zwar ein kühner Schritt in der Argumentationskette, zumal Iran die Möglichkeiten zum Angriff gar nicht hat (sieht man von einer Art nationalem Selbstmordattentat ab), aber andererseits: ein Angriff seitens der USA und Israel auf Iran käme Ahmadinejad deshalb nicht unbedingt ungelegen.
Märtyrerkult und politisches Kalkül
Hier kommt auch der Märtyrergedanke ins Spiel: jeder einzelne Iraner, der einem Angriff der USA oder Israels zum Opfer fiele, würde zum Märtyrer stilisiert werden. Deshalb trifft das Argument, dass Ahmadinejad doch keinen Angriff provozieren würde, weil er die Sicherheit seiner Bevölkerung nicht gefährden würde, nicht.
In seiner Geisteswelt kann jeder Gläubige sich glücklich schätzen, als Märtyrer gestorben zu sein – freiwillig oder nicht! Es ist nicht nur ideologische Inbrunst, die solche Ideen hervorbringt, sondern auch kühles politisches Kalkül: Man darf nicht vergessen, dass nichts so systemerhaltend für das iranische Regime gewirkt hat wie der iranisch-irakische Krieg der 80er Jahre.
Und in eben diesem Zusammenhang ist es höchst bemerkenswert, daß Ahmadinejad zwar nie gesagt hat, Israel solle von der Landkarte getilgt werden, seine Rede aber von der iranischen staatlichen iranischen Nachrichtenagentur weiterhin konsequent so übersetzt wird, zuletzt wieder am 3. Juni dieses Jahres: "The corrupt element will be wiped off the map.” Könnte es nicht sein, dass auch hier das Thema "Juden" bzw. "Israel" wieder benutzt wird, weil es so gut eignet, dem Westen ins Gesicht zu spucken?
Ahmadinejad und die Radikalen in Iran brauchen ein außenpolitisches Thema, um von ihren innenpolitischen Misserfolgen abzulenken und den weltweiten Druck auf Iran aufrechtzuerhalten. Es könnte insofern durchaus sein, dass die Äußerungen Ahmadinejads zu Israel eine kalkulierte Provokation sind. Und mit Politikern wie Ahmadinejad auf der einen und Olmert, Bush und Shaul Mofas auf der anderen rasen hier zwei Züge mit Volldampf aufeinander zu.
Katajun Amirpur
© Qantara.de 2008
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