Brücken bauen zwischen Europa und den Golfstaaten
Es scheint sich etwas zu tun in der deutschen Nahostpolitik. Aber sinnvollerweise nicht nur in Bezug auf das Dauerthema des israelisch-palästinensischen Konfliktes oder der Nuklearstrategie des Iran. Der Besuch der Kanzlerin in vier Ländern der Golfregion sollte mehr gewesen sein als nur ein üblicher Besuch der deutschen Regierungschefin.
Die strategische Bedeutung der Golfregion hat lange – viel zu lange – nur eine nachgeordnete Rolle im Spektrum deutscher außenpolitischer Interessen gespielt.
Es ist an der Zeit, dies zu ändern. Denn Deutschland braucht eine strategische Perspektive für die Golfregion, die sich nicht nur auf wirtschaftliche Interessen beschränkt. Dafür lassen sich viele und gute Gründe finden.
Bereitschaft zur Wirtschaftskooperation
Zunächst ist das wirtschaftliche und politische Ansehen Deutschlands in der Region ungebrochen und das Interesse an Zusammenarbeit weit über den wirtschaftlichen Raum hinaus besonders groß. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit ist ohnehin nicht schlecht und gerade in Zeiten der Krise finden deutsche Unternehmen in der Golfregion in verstärktem Maße kooperationsbereite Partner.
Rund 750 deutsche Firmen sind heute schon in den Vereinten Arabischen Emiraten aktiv. Es sollten in Zukunft mehr werden. Gerade in Wirtschaftszentren wie Dubai vermitteln Gesprächspartner aber immer wieder auch die hohe Erwartungshaltung an Deutschland als Motor für die Zusammenarbeit mit Europa. Darüber hinaus wird allerdings auch erwartet, dass Deutschland zunehmend außenpolitische Verantwortung übernimmt.
Außerdem ist es längst an der Zeit gerade die Vereinigten Arabischen Emiraten nicht nur als Rohöl-Produzenten zu sehen. Aus dem auf Ressourcenreichtum gestützten quantitativen Wachstum von einst ist längst auch qualitatives Wachstum geworden.
Gerade in Dubai kann man im Detail beobachten, dass nicht nur die Bauindustrie boomt, sondern immer stärker auch Fragen einer verbesserten Verkehrsplanung und Verkehrsinfrastruktur, von Müllentsorgung und Abwasseraufbereitung im Mittelpunkt politisch vorangetriebener Großprojekte stehen.
Eindrucksvolle Zuwachsraten
Und natürlich sind internationale Finanzzentren entstanden, die nicht nur konsequent an der Verbesserung ihrer Infrastruktur arbeiten, sondern längst auch zu Schaltzentralen für Finanzkapital und zu Plattformen für strategische Positionierungen geworden sind.
Eindrucksvolle Zuwachsraten der Investitionsströme zwischen den Golfstaaten und den Schwellenländern in Asien und Lateinamerika belegen die wachsende Bereitschaft der politischen Eliten eine aktivere Rolle in der internationalen Politik zu spielen.
Natürlich kann man einwenden, dass die politischen Strukturen in den Emiraten nicht unbedingt europäischen Vorstellungen entsprechen. Allerdings stimmt auch, dass die Emirate eines der liberalsten Länder der Region sind: so sind zum Beispiel 22,5 Prozent der Abgeordneten weiblich.
Zum Vergleich: der Durchschnitt in anderen arabischen Ländern liegt bei nur 9,75 Prozent. Statt zu belehren, wäre gerade deutsche Außenpolitik gut beraten durch verbesserte Kooperation die vielen kleinen Anzeichen von Liberalisierung und Öffnung zu unterstützen.
Wir werden lernen müssen, dass die Zeiten vorbei sind, in denen Europäer als die jeweils stärkeren Partner schlicht die Regeln der Zusammenarbeit definieren konnten.
Viele Regionen, die trotz ihrer gewachsenen eigenen Stärken ähnlich offen wir die Emirate auf Deutschland und Europa zugehen, wird es bald nicht mehr geben.
Es reicht also nicht, über Dubai zu staunen, weil es ganze Skylines aus dem Wüstensand schießen lässt und mit Scheich Muhammad bin Raschid einen weltoffenen und höchst ambitionierten Herrscher hat.
Hier entsteht ein neuer und außerordentlich leistungsfähiger Knotenpunkt des Welthandels, der zudem auch in politischer Hinsicht helfen kann, deutsche und europäische Interessen in der Region und weit darüber hinaus zu sichern.
Fehlende deutsche Initiativen
Bei vielen Infrastrukturprojekten fällt dem deutschen Beobachter auf, dass französische, britische und amerikanische Investoren und Institutionen längst mit strategischen Projekten vor Ort sind. Deutsche Initiativen dieser Art vermisst man noch schmerzlich.
Hier braucht es auch die Flankierung durch eine aktive Außenpolitik, die ohne auf ihre europäische Einbettung und transatlantische Verankerung zu verzichten, bereit ist, der Sichtbarkeit deutscher Interessen zu größerer Bedeutung zu verhelfen.
Merkels jüngste Nahost-Reise sollte also nicht nur die Wirtschaft beflügeln. Sie sollte auch dazu beitragen, die langfristige strategische Kooperation gerade mit Partnern wie Abu Dhabi und Dubai zu festigen, die eine Brücke zwischen islamischer und westlicher Welt sind.
Deutsche Außenpolitik wird solche Partner brauchen, um sicherstellen zu können, dass sich nach dem Ende dieser Weltwirtschaftskrise nicht herausstellt, dass Europa in einer multipolaren Welt vielleicht gar keinen echten Pol mehr darstellt.
Für manche mag das heute noch nach Kassandra-Rufen klingen. Unter den politischen Eliten der Golfregion wird man sehr genau beobachten wie Deutschland sich nicht nur als wirtschaftlicher, sondern eben auch als politischer Partner verhalten wird.
Eberhard Sandschneider
© Die Welt 2010
Der Autor ist Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V.
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
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