Fragiles Epizentrum der Globalisierung
Zweifelsohne hat der immense Reichtum an Erdgas und Erdöl den kleinen Golfmonarchien außerordentliche Bedeutung verliehen – und sie somit in den Mittelpunkt des Interesses der Weltmächte gerückt.
Doch erst durch die internationale Finanzkrise wurden sie schlagartig ins Zentrum maßgeblicher, internationaler Entscheidungsprozesse katapultiert; in ihrer Not wandten sich europäische Spitzenpolitiker an ihre Amtskollegen in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) mit der Forderung: Die Golfstaaten sollen Solidarität zeigen und sich an der Stabilisierung der internationalen Finanzmärkte beteiligen. Sogar die finanzielle Hilfe durch die zuvor mit viel Skepsis beobachteten Staatsfonds aus dem arabischen Epizentrum der Globalisierung war in den westlichen Metropolen plötzlich mehr als willkommen. Als Gegenleistung für ihre finanzielle Solidarität im Rahmen der G20 verlangen die "arabischen Tigerstaaten" freilich, in die internationalen Abstimmungen stärker einbezogen zu werden als bis jetzt.
"Mehr als Öl und Gas"
Die wachsende Bedeutung der Golfstaaten in einer zunehmend globalisierten und multipolaren Welt dürfte den etwas plakativen Titel der internationalen Konferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin "Mehr als Öl und Gas. Die Golf-Region als außenpolitische Herausforderung" somit zumindest grundsätzlich gerechtfertigt haben. Dass der wachsende Reichtum der Golfstaaten sich langsam in politischen Einfluss umsetzt, unterstrich der Staatsminister im Außenministerium der Vereinigten Arabischen Emirate, Anwar Mohammad Gargash, in seiner Videobotschaft an die Konferenz.
Denn sowohl sein Land als auch andere Golfstaaten wie Saudi-Arabien und Katar vermitteln längst als regionale Akteure aktiv in den zahlreichen Krisenherden des Mittleren Ostens. Anwar Mohammad Gargash betonte zudem die gemeinsamen Interessen seines Landes mit Deutschland und seinen europäischen Nachbarn: Es gelte, Afghanistan zu stabilisieren und den Irak aufzubauen. Denn "ein starker Irak sei wichtig für die Balance in der Region", so Gargash.
Iran: "arm an Ressourcen und zu unbeliebt, um Hegemon zu sein"
Aber nicht nur die Tatsache, dass Iran der politische Hauptgewinner des Irakkrieges von 2003 ist, beunruhigt die kleinen Golfstaaten, sondern, dass "es für den Irak zurzeit keinen Ersatz für die Herstellung des Machtgleichgewichts am Golf gibt", wie Henner Fürtig, Wissenschaftlicher Mitarbeiter GIGA Institut für Nahost-Studien Hamburg, erklärt. Die Machtbalance am Golf sei nachhaltig gestört; dadurch habe Iran viel an Einfluss in der Region gewonnen.
In der Tat: Die USA beseitigten das Terrorregime von Saddam Hussein, den iranischen Hauptfeind; und durch seinen Einfluss auf die schiitischen Parteien ist Iran schon heute ein fester Bestandteil der politischen Elite im Nachkriegsirak. Trotzdem möchte Johannes Reissner, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft & Politik in Berlin, von einer iranischen Hegemonialstellung nichts wissen: Der ausgewiesene Iranexperte erklärt die arabischen Ängste vor einer iranischen Vorherrschaft in der Region für unbegründet. Denn: "Iran ist arm an Ressourcen und zu unbeliebt, um die Rolle eines regionalen Hegemons zu beanspruchen", so Reissner. "Teheran hat zwar enorm an politischem Gewicht nach dem Irakkrieg gewonnen, allerdings sind nicht alle seine Träume in Erfüllung gegangen. So ist das Land in erster Linie und trotz seiner aggressiven Diplomatie eine Blockade-Macht."
Außerdem seien die Schiiten kein Monolith und ließen sich folglich von Teheran nicht fernsteuern. Und schließlich verfügten Israel und die USA über größere strategische Kapazitäten. In Wirklichkeit kann weder ein zu florierender Irak, der ein Konkurrenzmodell zur iranischen Form des real existierenden schiitischen Islamismus darstellen könnte, noch ein in Bürgerkrieg und Chaos versinkender Irak, dessen Zustände sich auf die Nachbarländer auszuweiten drohen, im Interesse Irans liegen. "Ein zweites Afghanistan an seiner Grenze wäre für die iranischen Machtelite eine Horrorvorstellung", so Johannes Reissner.
"Eindämmung durch Einbindung"
Für den Staatsminister aus Abu Dhabi bleiben die Beziehungen zum Iran "schwierig". Vor allem die ungeklärte Lage der drei durch Iran besetzten arabischen Inseln sowie das intransparente Atomprogramm des Landes seien "besorgniserregend".
Die internationale Auseinandersetzung um das iranische Atomprogramm legt indessen das größte Dilemma am Golf offen: das Fehlen von Vertrauen und Sicherheitsarchitektur. Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft & Politik in Berlin empfiehlt aus diesem Grunde direkte Gespräche zwischen Iran und den USA, denn nur dadurch ließe sich diese Ungleichheit auflösen. Für Perthes ist die Zeit reif für eine neue Sicherheitsarchitektur am Golf, "weil ein neuer US-Präsident neue Legitimation mit sich bringt".
Jedoch könne man ein Sicherheits-Arrangement nicht ohne die Einbeziehung der regionalen Kräfte aufbauen. Die arabischen Golfeliten wollen weder eine militärische Intervention gegen Iran – aufgrund ihrer unkalkulierbaren Folgen für die gesamte Region – noch einen atomar bewaffneten Iran. Deshalb versuchen sie, Iran in regionale Strukturen einzubinden, in der Hoffnung, Teheran davon zu überzeugen, auf atomare Bewaffnung zu verzichten.
Diese Strategie der "Eindämmung durch Einbindung" sollten die Bundesrepublik und die EU unterstützen, findet Eckart von Klaeden, Außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Unter den anwesenden Fachleuten herrschte Konsens darüber, dass es an einer differenzierten Betrachtung der interregionalen Aktivitäten und Verhaltensmuster mangelt. Und so passt es ins Bild, dass die Konrad-Adenauer-Stiftung als erste deutsche politische Stiftung ihr Engagement auf die Länder des Golf-Kooperationsrates (GKR) ausweiten und ein Regionalbüro in der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Abu Dhabi, aufbauen wird.
Loay Mudhoon
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