Die Angst der Filmemacher vor dem Publikum
Das türkische und deutsch-türkische Kino boomt. Dennoch herrschen immer noch Klischees und alte Rollenbilder vor, insbesondere was die Darstellung türkischer Frauen angeht. Lennert Lehmann berichtet.
In dem bald 20 Jahre alten Klassiker "40 m2 Deutschland" von Tevfik Baser spielt Özay Fecht die Frau eines türkischen Gastarbeiters, der mit der deutschen Gesellschaft nichts anfangen kann und deshalb seiner Frau jeglichen Kontakt verbietet, sie zu Hause einsperrt und isoliert.
Nachdem nun kürzlich die Diskussionen um Ehrenmorde, Zwangsheiraten und Kopftücher in Deutschland erneut hochkochten, resümiert Fecht resigniert: "40 m2 Deutschland ist immer noch ein aktueller Film. Vielleicht hat sich doch nicht so viel verändert."
Zunehmende internationale Nachfrage
Diese pessimistische Einschätzung teilen nicht alle. Zumindest was das türkische Kino betrifft beobachtet der Istanbuler Produzent Kadri Yurdatap einen "starken Trend nach oben". Yurdatap ist seit über 40 Jahren im Geschäft und Vorsitzender des Berufsverbandes türkischer Filmproduzenten (Sesam). Sesam ist quasi Monopolist, was die Vermarktung von Filmen in der Türkei betrifft.
Im Deutschland der 60er Jahre, erinnert sich Yurdatap, waren türkische Filme nur Mittags im Umfeld der Treffpunkte von Gastarbeitern zu sehen. Heute hingegen ist türkisches Kino, wie es auf Filmfestivals wie der stetig wachsenden Berliner Türkischen Filmwoche zu sehen ist, international gefragt.
Reproduktionen alter Klischees
Geblieben ist aber ein Gefühl der Unfreiheit. Ein Gefangensein in vermeintlichen Traditionen, dass sich nicht auf das mit Argwohn beobachtete Leben von Zuwanderern mit ländlichem Hintergrund beschränkt.
Im mittlerweile boomenden türkischen und deutsch-türkischen Kinobusiness sieht Fecht, dass zum Beispiel Frauen manche Rollen aufgezwungen, andere ihnen verwehrt werden.
Rollenbilder, die auch von außen erzwungen werden: Selbst die deutsche Filmförderung fordere geradezu Reproduktionen von Klischees. "Warum muss eine türkische Schauspielerin immer eine türkische Ehefrau spielen, nicht einfach eine Ehefrau? Ich möchte diese Dönerladenbesitzer und deren Frauen mit Kopftüchern, die nichts sagen, in Filmen nicht mehr sehen. Türkische Regisseure müssen aus den Klischees herauskommen."
Aber Kunst ist nicht frei, am allerwenigsten, wenn es um Geld geht, weiß Yurdatap. "In der Türkei kann man heute alles drehen. Es gibt keine Beschränkungen mehr. Früher konnte sogar der Berufsverband der Hamambesitzer einen Film stoppen, ganz zu schweigen von der Polizei. Aber heute muss ein Film sein Geld wieder einspielen."
Angst vor dem Publikum
Filmemacher kämpfen da nicht nur mit kargen finanziellen Mitteln - kaum eine Produktion in der Türkei kostet mehr als 600.000 Euro. Mitentscheidend ist, wie das türkische Publikum einen türkischen Film annimmt. Konfrontation wird vermieden.
Viele Drehbuchautoren, so die Schauspielerin Hülya Duyar ("Süperseks"), hätten Angst vor dem Publikum. "Wenn authentische Geschichten der Arbeiterklasse geschildert werden fürchten manche, dass man uns nicht in die EU reinlässt."
Birol Ünel ("Gegen die Wand") teilt diese Ansicht. Die Frage "Sind wir noch moralisch korrekt?" beeinflusse jeden Mitwirkenden im türkischen Film. "Es ist absurd: Im Fernsehen in der Türkei diskutieren halbnackte Moderatorinnen mit halbnackten Studiogästen über die Moral eines Films!"
Das türkische Kino, sowohl in der Türkei als auch in Deutschland, ist dennoch in Bewegung. Die Entwicklung scheint völlig offen. Produktionen aus Deutschland feiern heute teilweise auch in der Türkei Riesenerfolge. So zum Beispiel Fatih Akins "Gegen die Wand".
Die EU vor Augen haben sich in der Türkei neue Perspektiven und Möglichkeiten eröffnet. "Es gibt nichts mehr, was uns hindert, außer wir uns selbst", sagt Yurdatap. Derweil beobachtet Ünel allerdings mit Befremden, "dass die sogenannte dritte Generation der Türken in Deutschland wieder alte Rollen, Bilder und Ehrbegriffe aufgreift."
Lennart Lehmann
© Qantara.de 2005
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