"Das Regime ist heute verletzlicher als zuvor"
Herr Sadjadpour, am 4. November, anlässlich des 30. Jahrestages der Besetzung der US-Botschaft in Teheran durch iranische Studenten, gingen trotz der Drohungen der Sicherheitskräfte wieder Zehntausende Oppositionelle auf die Straßen – nicht nur in Teheran, sondern auch in anderen iranischen Städten. Wie lange kann die Opposition den Druck auf das Regime von Präsident Ahmadinedschad noch aufrechterhalten?
Karim Sadjadpour: Die Bevölkerung ist immer noch sehr bewegt von den Gefühlen der Schande und der Ungerechtigkeit nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen im Juni, und die Zahl der Demonstranten hat regelmäßig die Erwartungen übertroffen. Aber die Leute wissen, dass es ein langer Prozess sein wird.
Mit welchen politischen Entwicklungen rechnen Sie in den kommenden Monaten?
Sadjadpour: Wir werden eine weitere Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage im Iran sehen. Anstatt die Fühler in Richtung seiner innenpolitischen Gegner auszustrecken, wird Ahmadinedschad sich weiter von ihnen abgrenzen, die Gräben werden weiter vertieft. An den Universitäten gehen die Proteste weiter. Die Leute werden nicht so schnell vergessen was passiert ist, denn die meisten haben entweder Freunde oder Verwandte, die bei Protesten verletzt wurden oder jetzt im Gefängnis sitzen. Niemand erwartet eine dramatische Veränderung in sehr naher Zukunft.
Bei den Demonstrationen der Opposition am 4. November waren zum ersten Mal neben Slogans wie "Nieder mit dem Diktator" auch Sprechchöre "Obama, Obama – entweder stehst Du auf deren Seite oder auf unserer" zu hören. Hat sich Washington bisher geschickt verhalten angesichts des Brodelns im Iran?
Sadjadpour: Ich denke, die US-Regierung könnte stärker ihrer Sorge über Menschenrechtsverletzungen, den Missbrauch der Demokratie und der Zivilbevölkerung Ausdruck verleihen. Natürlich kann sie sich letztlich die Demokratie nicht stärker wünschen als die Iraner selbst. Die Iraner kontrollieren ihre eigenen Geschicke, das ist nicht der Job der USA.
Aber man sollte sehr vorsichtig sein, denn wenn man nur über die Nuklearfrage redet, könnte man ein falsches Signal senden. Die Menschen könnten den Eindruck gewinnen, Washington sei bereit, einen Deal auf ihre Kosten zu machen. Die politische Kultur im Iran ist sehr konspirativ. Wenn die Leute überzeugt sind, dass die USA die Legitimität Ahmadinedschads anerkennen, dann wird das den Elan der Opposition verlangsamen. Unsere Philosophie sollte sein, keinen Schaden anzurichten.
Fühlen die Oppositionellen sich vom Westen betrogen?
Sadjadpour: Es wird deutlich, wenn man Hunderte von Blogs iranischer Aktivisten liest, dass sie Angst vor der Abkehr des Westens haben. "Was sollen wir tun? Die USA machen Geschäfte mit dieser Regierung, und wir stehen nun auch noch gegen eine Supermacht", ist da zum Beispiel zu lesen. Ja, viele fühlen sich betrogen.
Glauben Sie, dass der innenpolitische Druck das Regime in der Nuklearfrage kompromissbereiter machen könnte?
Sadjadpour: Ich denke, wenn man so viele innenpolitische Probleme hat, dann will man den Druck von außen nicht noch vergrößern. Es sieht aber nicht so aus, als gebe es im Iran bereits einen Konsens, welche Zugeständnisse man machen will. Deshalb wollen die Iraner den Diskussionsprozess so lange wie möglich strecken.
Die Obama-Regierung in Washington lässt erste Anzeichen von Ungeduld erkennen, nachdem Teheran erst der Auslieferung schwach angereicherten Urans an Russland und Frankreich zugestimmt hatte, um es in höher angereicherter Form für einen medizinischen Reaktor zurückzuerhalten. Doch dann machten die Iraner einen Rückzieher. Wie lange wird Obama noch auf die diplomatische Schiene setzen?
Sadjadpour: Die Obama-Administration hat sich der Diplomatie verschrieben, sie sucht einen Kompromiss. Unter der Bush-Regierung lautete das Ziel, den Iran an der Urananreicherung zu hindern. Die Obama-Regierung will Teheran lediglich davon abhalten, das Nuklearprogramm waffentauglich zu machen, obwohl sie das so noch nicht öffentlich angekündigt hat. Mein Eindruck ist: Niemand hier glaubt ernsthaft daran, dass man immer noch eine Null-Anreicherungslösung erreichen könnte. Aber es gibt in Washington einen enormen innenpolitischen Druck, eine härtere Gangart einzulegen.
Wenn man aber keinen Kompromiss auf der Basis des Vorschlages der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) findet, dann steht eine Verschärfung der Sanktionen auf der Tagesordnung. Wie hoch sind die Chancen, dass Sanktionen Ahmadinedschad zum Einlenken bewegen?
Sadjadpour: Die Wahrscheinlichkeit, dass Sanktionen allein die Regierung dazu bringen werden, einem bedeutungsvollen Kompromiss zuzustimmen, halte ich nicht für sehr groß. Das hat die Vergangenheit gezeigt. Dieses Regime ist bereit, schwere wirtschaftliche Probleme hinzunehmen, um an ideologischen Zielen festzuhalten. Aber sie sind heute verletzlicher als zuvor, unter anderem wegen der sinkenden Erdölpreise.
Die Obama-Regierung glaubt, die Breite der Sanktionen sei wichtiger als ihre Tiefe. Das heißt, je robuster und breiter die internationale Unterstützung ist, desto mehr wird das die Iraner zum Nachdenken veranlassen, statt zu einer Verschärfung der europäischen und amerikanischen Sanktionen. Aus iranischer Sicht wird die Lage beunruhigend, wenn die Russen und Chinesen Sanktionen unterstützen.
Auch die Obama-Regierung hat die Militäroption gegen den Iran nicht ganz vom Tisch genommen. Unter welchen Umständen halten Sie einen US-Militärschlag für möglich?
Sadjadpour: Die Wahrscheinlichkeit ist sehr gering. Afghanistan hat sich zu einem schwierigen innenpolitischen Problem für Obama entwickelt und das letzte, was Washington jetzt will, ist die Eröffnung einer neuen Front, die die Probleme in Afghanistan und im Irak verschärft. Das könnte sich ändern, wenn die Iraner plötzlich ihre Zusammenarbeit mit der IAEA komplett aufkündigen würden, aber dazu sind sie zu geschickt.
Ich fürchte aber, wenn all diese Verhandlungen nirgendwohin führen, dann könnte Washington im nächsten Jahr in einer schwierigen Position gegenüber Israel sein. Die Israelis könnten sich zur Aktion gezwungen fühlen. Und viele in der US-Regierung glauben, dass Israel nicht um Erlaubnis fragen wird, wenn es sich existentiell bedroht fühlt.
Mohammed El Baradei, bis Ende November noch Chef der IAEA, sagte der "New York Times", es herrsche ein totales Misstrauen in Teheran gegenüber Washington. Herr Sadjadpour, Sie haben eine Studie über die Reden und Schriften des geistlichen Führers, Ayatollah Ali Khamenei, erstellt. Ist der mächtigste Mann in Teheran wirklich so abgrundtief feindlich gegenüber Washington eingestellt?
Sadjadpour: Ja, das glaube ich. Bereits der "Vater der Islamischen Revolution", Ayatollah Ruhollah Khomeini, der Mentor Khameneis, bezeichnete das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran als das eines Wolfes zu einem Schaf. Für Khomeini war die Feindschaft zu den USA ein wichtiger Pfeiler der Revolution. Sie wurde ganz zentral für die Identität der Islamischen Republik. Und Khamenei hat dieses Mantra kürzlich erst wiederholt.
Aber in Zeiten einer existentiellen Krise – und die erleben wir seit vier Monaten – ist das Überleben das Wichtigste. Deshalb ist er jetzt zu Gesprächen bereit, um die Temperatur zu senken. Aber wacht er morgens auf und fragt sich: "Wie erreichen wir heute einen Deal mit den USA?" - Ich glaube nicht, dass das Khameneis Weltsicht entspricht.
Wovor hat er Ihrer Meinung nach am meisten Angst?
Sadjadpour: In den letzten beiden Dekaden hat Khamenei in seinen Reden und Schriften keinen Zweifel an seinem Misstrauen gegenüber den USA aufkommen lassen. Interessant ist dabei, dass er keine Angst vor einem Militärangriff hat. Er ist hingegen besessen von der Idee einer "samtenen Revolution". Khamenei glaubt, mehr Interaktion zwischen dem Iran und den USA, eine größere US- oder westliche Präsenz im Iran, könnte den islamischen Charakter der Republik zersetzen und die Macht der Mullahs gefährden.
Also, in gewisser Weise wäre für ihn und die Hardliner in Teheran eine Annäherung an die USA eine existentiellere Bedrohung als der Status Quo. Ich bin deshalb sehr skeptisch, dass die aktuelle Führung in Teheran tatsächlich eine fundamentale Veränderung der Beziehung zu Washington wünscht. Ich glaube es erst, wenn ich sehe, dass sie Vereinbarungen mit dem Westen ohne wenn und aber umsetzen.
Interview: Birgit Kaspar
© Qantara.de 2009
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