Die Geschichte einer Oscar-Nominierung
![Regisseur Rasoulof mit den Schauspielerinnen Setareh Maleki undMahsa Rostami in Cannes. Foto: Picture Alliance / Kyodo. Regisseur und zwei Schauspierinnen bei einer Pressekonferenz in Cannes, 2024.](/sites/default/files/2025-02/465589144.jpg)
Was macht einen Film deutsch? Sind es die Schauspieler:innen oder der Regisseur? Der Drehort oder deutschsprachige Dialoge? Im Falle des Films „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ (Originaltitel: Dane-ye Anjir-e Ma’abed) des iranischen Filmemachers Mohammad Rasoulof reichte die Finanzierung durch eine deutsche Filmförderungsanstalt und der deutsche Ko-Produzent Mani Tilgner aus. Die Schauspieler:innen sind alle iranisch, der Film wurde heimlich im Iran gedreht und es wird durchweg Farsi gesprochen.
Obwohl es keinen offensichtlichen Bezug zu Deutschland gibt, geht dieser Film bei den Oscars 2025 für Deutschland in der Kategorie bester internationaler Film ins Rennen. Nach mehreren Preisen auf internationalen Filmfestivals wie in Cannes oder San Sebastián hat „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ gute Chancen, sich Anfang März gegen „Emilia Pérez“ aus Frankreich, „Für immer hier“ aus Brasilien, „Das Mädchen mit der Nadel“ aus Dänemark und „Flow“ aus Lettland durchzusetzen und einen Oscar für Deutschland zu holen.
Der Vater ist Richter, die Töchter protestieren
Mohammad Rasoulofs Drama handelt von Iman (gespielt von Missagh Zareh), einem gottesfürchtigen Anwalt aus Teheran, der erst kurz zuvor zum Ermittlungsrichter befördert wurde. Durch das bessere Gehalt kann er nun gemeinsam mit seiner Frau Najmeh (Soheila Golestani) und seinen Töchtern Rezvan (Mahsa Rostami) und Sara (Setareh Maleki) eine größere Wohnung beziehen.
![Generationenkonflikt in Iran: Mutter Najmeh und die Töchter Rezvan und Sana ©Films Boutique Alamode Film Im Vordergrund Nahaufnahme einer jungen Frau, rechts und links hinter ihr eine ältere Frau und ein Mädchen.](/sites/default/files/2025-02/1die-saat-des-heiligen-feigenbaums-1-cfilms-boutique_alamode-film.jpg)
Neben der neuen Wohnung bringt die Beförderung aber noch etwas anderes mit sich: eine Dienstwaffe zum eigenen Schutz. Eines Tages verschwindet diese Pistole und der Verdacht fällt auf Najmeh, Rezvan oder Sara. Alle drei Frauen bestreiten allerdings, die Pistole entwendet zu haben.
Um der Sache auf den Grund zu sehen, bringt Iman seine Frau und Töchter in dunkle Zellen am Gericht und lässt sie getrennt von einem seiner Mitarbeiter verhören. Es sind düstere, klaustrophobische Szenen: Den Frauen werden die Augen verbunden und sie werden grob verhört. Man fragt sich, wie es wohl Menschen ohne direkte familiäre Verbindung zu einem hohen Richter ergeht, wenn selbst Imans Familie so schlecht behandelt wird.
Diese Handlung geschieht vor dem Hintergrund der echten landesweiten Proteste, die nach dem Mord an Jina Mahsa Amini durch die iranische Sittenpolizei Ende 2022 entbrannten. Auch Rezvan und Sara haben Freundinnen, die an den Straßenprotesten teilnehmen, zum Beispiel Sadaf (Niousha Akhshi). Ihr wird während eines Protests ins Gesicht geschossen, kurze Zeit später wird sie verhaftet.
Am Esstisch von Imans Familie kommt es zum großen moralischen Showdown zwischen Eltern und Kindern. Iman und Najmeh sehen die Schuld an der eskalierenden Gewalt bei den Protestierenden, ganz so wie es die staatlichen Nachrichten verkünden. Doch Rezvan und Sara verfolgen die Geschehnisse online und durchschauen die Propaganda des Regimes.
![Menschen demonstrierten auch vor der iranischen Botschaft in Berlin; Foto: Paul Zinken/picture-alliance/dpa](/sites/default/files/styles/uv_image_16_9/public/import/2022-09/108130-menschen_demonstrierten_auch_vor_der_iranischen_botschaft_in_berlin.jpg?itok=2L2njtCn)
In Trauer vereint
Der gewaltsame Tod der 22-jährigen Mahsa Amini hat etwas bewirkt, was der gesamten Opposition während der 43 Jahre dauernden Herrschaft der Ayatollahs im Iran nicht gelungen ist: Beinahe das gesamte iranische Volk ist in einem Punkt einig, nur die Regimeanhänger sind gespalten. Von Parvin Irani
Iman spielt durch seine Position eine aktive Rolle. Er spricht Todesurteile aus, ohne zu wissen, um was es bei den einzelnen Fällen geht. Dabei muss er anonym bleiben, um sich vor eventuellen Racheakten von Familienmitgliedern der Verurteilten zu schützen. Schließlich aber werden seine Adresse und sein Foto im Internet geleakt.
Ohne Dienstwaffe und mit zwei Töchtern, die immer mehr von revolutionären Forderungen überzeugt sind, fühlt er sich nicht mehr sicher. Er beschließt, Teheran zu verlassen und fährt mit Najmeh, Rezvan und Sara in die Berge. Nach Ankunft im Landhaus kommen jedoch weitere Geheimnisse ans Licht und Iman verliert mehr und mehr die Kontrolle.
Der Film hat die Oscar-Nominierung verdient
Warum „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ für die Oscars nominiert wurde liegt auf der Hand. Zum einen trifft der Film einen gesellschaftlichen Nerv und gibt essenzielle Einblicke in ein repressives System. Die Gesellschaftskritik operiert hier auf zwei Ebenen: zum einen durch die Einbindung der regimekritischen Proteste nach Jina Mahsa Aminis Tod und deren gewaltvolle Repression, zum anderen wie diese Ereignisse parallel ins intime, häusliche Leben eindringen.
Dass Iman für den Staat steht und seine Töchter für die „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung, für die Selbstbestimmung der Frau, für die Befreiung von den Zwängen des Patriarchats und der iranischen Kopftuchpflicht, ist offensichtlich. Dies mag auf den ersten Blick plakativ wirken, ist aber von Rasoulof raffiniert herausgearbeitet.
Der Titel des Films, so wird in den ersten Minuten erklärt, ist eine Anspielung auf eine besondere Schlingpflanze, die sich um andere Bäume wickelt und sie so erstickt. Die Saat ist also eine zweiseitige Metapher – sie kann sowohl für Hoffnung auf einen Neuanfang stehen, oder aber für das einengende Regime selbst.
![Iman und Najmeh in Mohammad Rasoulofs Film "Die Saat des heiligen Feigenbaums". Foto: Films Boutique Alamode Film Ein Ehepaar sitzt einander gegenüber, von der Seite aufgenommen](/sites/default/files/2025-02/1die-saat-des-heiligen-feigenbaums-2-cfilms-boutique_alamode-film.jpg)
Die persönliche Geschichte des Regisseurs verleiht dem Film Gewicht. Seit 2017 hält das iranische Regime Mohammad Rasoulofs Pass konfisziert, seine Filme realisierte er seitdem nur im Verborgenen und unter großen Schwierigkeiten. Preise im Rahmen der internationalen Filmfestivals konnte er nicht persönlich entgegennehmen, wie beispielsweise 2020 in Berlin, wo sein Film „There Is No Evil” den Goldenen Bären gewann.
In Reaktion auf die Ankündigung, dass der Film in Cannes gezeigt würde, wurde Rasoulof in Iran zu weiteren acht Jahren Gefängnis verurteilt. Daraufhin flohen er und weitere Mitglieder seines Teams aus dem Land. Die Umstände beschrieb er gegenüber dem Guardian als „strapaziös und sehr gefährlich“. Er floh zu Fuß über die Berge, insgesamt dauerte seine Flucht sechs Wochen. Im Mai 2024 konnte er so in Cannes seinen Film „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ persönlich präsentieren. Heute lebt er im Exil in Deutschland.
Der Film passt gut zum westlichen Bild des Iran
Es ist nicht zu übersehen, dass die positive Rezeption des Films auch darauf beruht, dass er zum westlichen Blick auf den Iran passt. So ist es bemerkenswert, dass der ehemalige US-Präsident Barack Obama den Film zu einen seiner Lieblingsfilme des Jahres gekürt hat.
In Deutschland fanden sowohl der Regisseur als auch sein Film eine herzliche Aufnahme. Dass dies so weit geht, dass „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ Deutschland bei den Oscars vertritt, kam nicht überall gut an. Der Journalist Rüdiger Suchsland bezeichnet den Vorgang als „kleinen Skandal und großen Schlag ins Gesicht aller deutschen Filmemacher und Produzenten.” Dabei bezog er sich darauf, dass die in Deutschland aktiven Filmemacher:innen eine ähnliche Unterstützung vermissen.
Ganz so dramatisch muss man das nicht sehen. Ob der Film nun für Deutschland, für Frankreich oder etwa Südafrika bei den Oscars eingereicht wird, sollte nebensächlich sein. Viel wichtiger ist, dass ein Aspekt bei der gesamten Thematik komplett untergeht: An keiner Stelle wird in Rasaloufs Film explizit erwähnt, dass Jina Mahsa Amini Kurdin war und dass der politische Slogan „Jin, Jiyan, Azadî“ (Frau, Leben, Freiheit) seine Ursprünge im kurdischen Befreiungskampf hat.
Jina Mahsa Amini war nicht nur Frau, sondern auch Kurdin
Die kurdische Journalistin Sham Jaff unterstreicht gegenüber Qantara diesen Kritikpunkt: „Die Jina-Revolution im Iran ist nicht nur eine feministische Revolution, es geht nicht nur um das Ablegen des Kopftuchs. Es handelt sich um eine systemkritische, intersektionale Bewegung, die viele marginalisierte Gruppen berücksichtigt. Die Reduktion des Films auf eine rein feministische Erzählung entspricht einer westlichen Perspektive.“
Ob dies vom Regisseur bewusst an ein westliches Publikum gerichtet ist, ist für den Effekt unerheblich. Denn, so Jaff, „es passiert genau das, was Kurd:innen befürchtet hatten: Es gerät in Vergessenheit, dass Jina Kurdin war und dass die Proteste in den kurdischen Provinzen begonnen haben. Im Film werden sogar einige Handyvideos aus kurdischen Provinzen gezeigt, der Kontext wird aber nicht benannt. Der Film ist in dieser Hinsicht eine verpasste Gelegenheit.”
Den Film als feministische Intervention zu lesen ist an sich nichts Schlimmes. Die Kritik ist jedoch, dass die Identität der Person, wegen der die Proteste 2022 losgetreten wurden, im Film ausgeklammert wird. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob Deutschland den Film für die Oscars aufgestellt hätte, wenn es vorrangig um die kurdische Perspektive ginge. Jaff vermutet, dass die Geschichte dann eher „als inner-iranisches Problem angesehen würde. Und somit wäre sie für den Westen nicht mehr so interessant.”
© Qantara.de