Vom Kriegstrauma zum Abschreckungsdogma
Zwar lehnt die iranische Führung bis heute Atomwaffen als "unislamisch" ab. Doch tatsächlich setzte bereits seit dem irakisch-iranischen Krieg ein Umdenken ein. Katajun Amirpur berichtet, weshalb die Islamische Republik lange vor der Ära Ahmadinedschad ihr Nuklearprogramm aufnahm.
Allein aus der jüngsten Äußerung Khameneis, dass "Atomwaffen unislamisch" seien, kann nicht abgeleitet werden, dass Teheran heute zu allen Zugeständnissen bereit ist.
Denn, dass "der Islam die Herstellung und den Einsatz von Atomwaffen verbietet", war schon in den 1990er Jahren eine Formel, derer sich iranische Verantwortliche gerne bedienten. Dann nämlich, wenn international der Vorwurf laut wurde, Iran bastle an der Bombe.
Doch blicken wir zurück: Der Iran nahm sein Atomprogramm bereits in den 1970er Jahren auf. Der damalige Herrscher, Schah Mohammad Reza Pahlavi, plädierte für die friedliche Nutzung von Kernkraft. Doch er wollte auch die Bombe. Selbst gegenüber westlichen Journalisten gab er 1974 zu, Iran werde in den Besitz von Nuklearwaffen kommen: ohne Zweifel und schneller, als irgendwer sich ausmalen könne.
Gegen sämtliche Massenvernichtungswaffen
Genau in diesem Punkt änderte sich die Haltung der Nachfolgerregierung allerdings signifikant – zunächst jedenfalls. Denn der Staatsgründer der Islamischen Republik Iran, Ayatollah Khomeini, meinte, man brauche keine Kernkraft, weil man genug Erdöl habe. Und er war – aus religiösen Gründen – gegen alle Massenvernichtungswaffen: gegen A-, B-, und C-Waffen.
Deswegen ließ er das Atomprogramm Irans stoppen und auch im Krieg gegen den Irak, der von 1980 bis 1988 währte, ließ er keine chemischen und biologischen Waffen einsetzen. Was Iraks Präsident Saddam Hussein indes nicht davon abhielt, Massenvernichtungswaffen gegen den Iran einzusetzen.
Der Krieg brachte am Ende jedoch ein radikales Umdenken vonseiten Teherans. Denn: Kurz bevor Khomeini den Waffenstillstand akzeptierte, bevor er diesen "Giftbecher schluckte", wie er damals formulierte, hatte er einen – wie er sagte – "schockierenden Bericht" des damaligen Führers der Revolutionsgarden bekommen. Dabei handelte es sich um Mohsen Rezai, jenen Mann also, der in diesem Sommer gegen Amtsinhaber Ahmadinedschad antrat. Von Zeitzeugen wird vermittelt:
Ayatollah Khomeini sagte damals über den Bericht, Rezai sei eindeutig gewesen: Wenn Iran erhobenen Hauptes aus diesem Krieg herauskommen wolle, so Rezai, müsse man hochentwickelte Waffen einsetzen, Nuklearwaffen eingeschlossen. Weil Iran diese Waffen aber nicht hatte, habe er, Khomeini in den Waffenstillstand eingewilligt.
Der aufgezwungene Krieg
Der acht Jahre andauernde Krieg Irans gegen den Irak, der im Westen nur wenig Aufmerksamkeit erregte, im Iran aber so ganz anders wahrgenommen wurde – und im Persischen auch der "aufgezwungene Krieg" heißt – war so etwas wie die iranische "Nie-wieder"-Erfahrung: Irakische Bomben auf Teheran und 64 weitere Städte des Landes, eine halbe Million Tote auf iranischer Seite und 50.000 durch Giftgaseinsätze versehrte Iraner prägen die Erinnerungen der Iraner an diesen Krieg bis heute.
Für die Iraner war darüber hinaus unfassbar, dass auch international niemand Partei für sie ergriffen und eine Ächtung des Aggressors gefordert hatte. Hans-Dietrich Genscher war damals die einzige Ausnahme.
Die Erfahrung Irans im Krieg gegen den Irak hatte demnach zweierlei Auswirkungen: Er schuf ein nationales Trauma und er veranlasste politisch ein Umdenken der iranischen Führung.
Die, so heißt es zumindest in Teheran hinter vorgehaltener Hand, schenkte den Revolutionsgarden Gehör, folgte deren Einsicht, dass Iran nun doch Atomwaffen brauche, um sich verteidigen zu können – beziehungsweise um abschrecken zu können.
Die Revolutionsgarden sind heute im iranischen System wichtiger denn je. Sie waren es, die die Proteste gegen die vermeintliche Wahlfälschung vom Juni 2009 auf äußerst brutale Art niedergeschlagen haben.
Nach dem Tod Khomeinis unterstützte sein Nachfolger, Ayatollah Khamenei, der gegenwärtige geistliche Führer Irans, nur zu gern den damaligen Staatspräsidenten Rafsandschani in dessen Anliegen, das iranische Atomprogramm wieder aufzunehmen.
Jene, die Ahmadinedschad Nuklearambitionen nachsagen, sollten daher nicht vergessen, dass bereits sein Vorvorgänger es war, der das Programm wieder aufnahm. Was die Atomfrage insofern für den Westen komplizierter macht, als dies zeigt, dass tatsächlich unter den Machthabenden in Iran ein weitgehender Konsens besteht.
Alles zum Nutzen der Islamischen Republik
Hinzu kommt einer der wichtigsten Gedanken, den Staatsgründer Ayatollah Khomeini hinterließ. Er nämlich formulierte, dass alles erlaubt ist, wenn es dem Erhalt des islamischen Staates dient: Wenn es der Nutzen für die islamische Ordnung gebietet, ist es auch erlaubt, das Fasten auszusetzen und Moscheen zu zertrümmern.
"Maslehat-e nezam", also der Nutzen für das System, das ist seither das Prinzip, das über allem steht, mit dessen Hilfe die islamischen Vorgaben, die beim Regieren stören, neu interpretiert, womöglich auch ausgesetzt werden können.
Um dieses Prinzip institutionell zu verankern, rief Ayatollah Khomeini noch kurz vor seinem Tode den so genannten Schlichtungsrat ins Leben, der zur Aufgabe hat, die letzte Entscheidung zu fällen, wenn islamische Gebote mit dem Nutzen für das System kollidieren. Hinter diesem pragmatischen Akt stand die Sorge, die Revolution an jene zu verlieren, die engstirnig islamisch dachten.
Und der Vorsitzende jenes Rates ist zufällig Rafsandschani, der schon im Jahre 2001 durchaus eine Vereinbarkeit zwischen Bombe und Islam herzustellen vermochte. Er sagte:
"Wir wollen nicht mit dem Gedanken leben, angreifbar zu sein. Und wir wollen nicht, dass eine Konfrontation zum Dritten Weltkrieg führt. Das ist das Schlimmste, was je passieren kann. Sollte der Tag kommen, an dem die islamische Welt gebührend ausgestattet ist mit den Waffen, die Israel in seinem Besitz hat, dann würde es Israels koloniale Übermacht nicht mehr geben. Denn das Abwerfen von Atombomben auf das Land des jeweils anderen würde für Israel bedeuten, dass nichts mehr von ihm übrig bleibt, während es die islamische Welt nur beschädigen würde."
Diese Aussage wird – abgesehen von weiteren Äußerungen Ahmadinedschads – weithin als Beweis dafür genommen wird, dass Iran tatsächlich beabsichtige, Israel mit Atomwaffen anzugreifen und meist wiedergegeben wird mit: Eine einzige Bombe würde ausreichen, um Israel auszulöschen.
Doch liest man die Aussage vollständig, ist das, was Rafsandschani meint: Nicht Angriff, sondern Abschreckung – gemäß dem Prinzip, das auch das Verhältnis zwischen den USA und der Sowjetunion jahrzehntelang prägte – nicht ohne Erfolg.
Dass die Iraner die Bombe wollen, scheint aus ebendiesem Grund mehr als wahrscheinlich. Daraus folgt nicht, dass sie selbst die Bombe als Aggressor einsetzen wollen – nein – das Regime will die Bombe, weil nicht noch einmal passieren soll, was 1980 passiert ist, als Saddam Hussein in den Iran einmarschiert ist.
Und weil das Regime sehr gut beobachtet hat, welches Ende Saddam Hussein nahm. Iran hat daraus den Schluss gezogen, dass der angegriffen wird, der die Bombe nicht hat. Dass aber verschont bleibt, der über sie verfügt.
Katajun Amirpur
© Qantara.de 2009
Katajun Amirpur ist promovierte Islamwissenschaftlerin und Journalistin.
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