Atomabkommen in greifbarer Nähe?
Die Nachricht kam mit reißerischen Worten daher: Die USA und Saudi-Arabien hätten einen "Mega-Deal" vereinbart, hieß es vor zwei Wochen in mehreren Medienberichten. Dieser stehe kurz davor, abgeschlossen zu werden.
Tatsächlich würde das Abkommen die USA und Saudi-Arabien, die seit Jahrzehnten in einer nicht durchweg leichten Partnerschaft verbunden sind, nochmals näherbringen. Geplant sind den Berichten zufolge ein Verteidigungspakt sowie die Zusammenarbeit bei neuen Technologien wie etwa künstlicher Intelligenz. Auch bei der Entwicklung eines zivilen Atomprogramms wollen die beiden Staaten kooperieren.
Ursprünglich hatte das Abkommen auch die Normalisierung der Beziehungen Saudi-Arabiens zu Israel fördern sollen. Doch aus Sicht Riads setzt der Schritt voraus, dass Israel einen Weg zur palästinensischen Eigenstaatlichkeit öffnet. Das aber lehnt die Regierung in Jerusalem bislang ab.
Mehreren Medien- und Agenturberichten von Anfang Mai zufolge wird der "Mega-Deal" zwischen Saudi-Arabien und den USA offenbar trotzdem zustandekommen - nun allerdings ohne Israel.
Schwerpunkt nukleare Zusammenarbeit
Über die geplante Zusammenarbeit im Bereich der zivilen Kernenergie sind noch keine Einzelheiten bekannt. An diesem Thema ist Saudi-Arabien seit langem interessiert, denn man erhofft sich davon eine Diversifizierung der Wirtschaft und damit auch eine verringerte Abhängigkeit vom Erdöl. Dieser Teil des Plans wird nach Ansicht vieler Beobachter mit der größten Wahrscheinlichkeit umgesetzt. Zugleich aber sei er auch einer der schwierigsten.
Die Schwierigkeiten gründeten in dem Umstand, dass Saudi-Arabien Uran auf eigenem Terrain anreichern wolle, sagt Kelsey Davenport, verantwortlich für den Bereich Nichtverbreitungspolitik bei der Arms Control Association in Washington. Das Problem: Die Technologie zur Urananreicherung dient nicht nur der Herstellung von Brennstoff für zivile Kernreaktoren. Mit ihr lässt sich auch kernwaffenfähiges Uran herstellen.
"Saudi-Arabien ist in dieser Frage unnachgiebig", sagt Davenport im Deutsche Welle-Interview. "Riad wird eher aus einem nuklearen Kooperationsabkommen mit Washington aussteigen, als dass es auf die Anreicherung verzichtet."
Im vergangenen September hatte der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman mit einer Erklärung für Schlagzeilen gesorgt: Wenn es mit dem Iran einem regionalen Rivalen des Königreichs gelinge, eine Atombombe zu bekommen, dann werde auch Saudi-Arabien eine brauchen.
Sorge vor atomarem Wettrüsten in der Region
Doch international besteht nicht nur die Sorge, Saudi-Arabien könne in den Besitz von Atombomben gelangen. Ebenso fürchtet man, die Erlaubnis zur Urananreicherung könne einen regionalen Rüstungs-Wettlauf auslösen.
"Erlaubt man Saudi-Arabien, sich solche Fähigkeiten anzueignen, könnte dies einen problematischen Präzedenzfall auf internationaler Ebene schaffen. Es könnte möglicherweise andere Länder in der Region, etwa Ägypten oder die Türkei, dazu veranlassen, ähnliche nukleare Fähigkeiten anzustreben", schrieb Manuel Herrera vom italienischen Forschungsinstitut Istituto Affari Internazionali Ende vergangenen Jahres. Damit könnte ein atomares Wettrüsten in einem ohnehin unbeständigen Nahen Osten beginnen. Allerdings ließen sich die Risiken dank ausreichender Sicherheitsvorkehrungen und Überwachungsmaßnahmen minimieren.
Auch Davenport sieht diese Risiken, die zusätzlich steigen würden, weil die Großmächte immer weniger gewillt seien, die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verhindern. Das bedeute eine Bedrohung der nuklearen Ordnung insgesamt. Diese Entwicklung zeige sich derzeit etwa in zunehmenden Drohungen, Atomwaffen einzusetzen, wie man sie im Kontext des Ukraine-Krieges hören könne.
Herrera und andere Experten hoffen, die US-Regierung werde im Falle eines zivilen saudischen Atomprogramms strenge Sicherheitsvorkehrungen treffen.
Die Rolle Israels
"Bei der Vereinbarung des Abkommens ist man davon ausgegangen, die einzelnen Komponenten würden sich gegenseitig fördern", schrieb Robert Einhorn, ein Senior Fellow am Brookings Institute in Washington, in einem Briefing im April dieses Jahres.
Dies gelte auch mit Blick auf einen neuen Schub für die Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und Saudi-Arabien. So könnte eine solche Normalisierung die nukleare Zusammenarbeit zwischen den USA und Saudi-Arabien für Israel erträglicher machen. Umgekehrt würden US-Sicherheitsgarantien und die nukleare Zusammenarbeit die Normalisierung für Saudi-Arabien wieder interessant werden lassen.
Da Israel an dem Abkommen aber nicht beteiligt ist, könnte der "Mega-Deal" Analysten zufolge nun auch eine Möglichkeit sein, die israelische Regierung unter Druck zu setzen. Israels Verbündete, darunter die USA, haben die israelische Führung zu einem stärker zurückhaltenden Vorgehen im Gazastreifen gedrängt.
Zugleich hat die israelische Regierung bereits erklärt, sie wolle nicht, dass die Saudis irgendeine Art von Urananreicherungskapazität erhalten. Es herrscht also auf beiden Seiten noch erheblicher Einigungsbedarf.
Übertrumpfen die USA China?
Käme ein amerikanisch-saudisches Atomabkommen zustande, hätte dies auch Auswirkungen auf die Rivalität zwischen den USA und China. Denn ein Abschluss würde den chinesischen Einfluss in diesem Bereich zurückdrängen. Aus kommerzieller Sicht würde dies US-Unternehmen günstige Verträge in Saudi-Arabien bescheren.
Zugleich könnte eine engere Zusammenarbeit zwischen Saudi-Arabien und den USA auch zu größerem Einfluss der Amerikaner auf die saudische Preispolitik beim Erdöl führen, sagen andere Experten. Dies käme der amtierenden US-Regierung gelegen: Sie würde es vorziehen, wenn die Preise im Vorfeld der Wahlen niedrig bleiben.
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Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp