Drohender Stillstand statt Wandel

Der Wahlsieg der Hardliner im Iran und die fehlende Bereitschaft der israelischen Regierung zu ernsthaften Zugeständnissen an die Palästinenser bedeuten einen klaren Rückschlag für Obamas Vision für Frieden und Sicherheit in der Region. Ein Essay von Michael Lüders

Benjamin Netanjahu und Barack Obama in Jerusalem; Foto: dpa
Schwierige Mission: Zwischen Obamas und Netanjahus Vorstellungen von einer Zwei-Staatenösung und einer Neuordnung der Konfliktregion Nahost liegen Welten.

​​ Selten bewegt sich Politik im Nahen und Mittleren Osten, und wenn doch, dann selten in eine positive Richtung. Ob Ägypten, Libyen oder Saudi-Arabien – die meisten Staaten der Region sind erstarrt in Gerontokratie, Clandenken und Repression.

In diesen Tagen und Wochen aber geschieht mehr als gewöhnlich in Jahren. Die Grundsatzrede des amerikanischen Präsidenten Obama vor zwei Wochen in Kairo zielte auf die Köpfe und Herzen der Jugend und der Reformer.

Die meisten Muslime glauben ihm, dass er aufrichtig bemüht ist, das Verhältnis zwischen den USA und der islamischen Welt auf eine neue Grundlage zu stellen, geprägt von gegenseitigem Respekt und frei von ideologischer Bevormundung. Und sie glauben ihm, dass er eine umfassende Friedenslösung zwischen Israelis und Palästinensern anstrebt.

Erneuerung durch Reformen

Nicht zuletzt propagiert Barack Obama den Wandel, die Erneuerung der Region durch Reformen. Der mächtigste Mann der Welt liest damit den einheimischen Herrschern die Leviten, die nichts mehr fürchten als eben das, angefangen mit dem in der Regel katastrophalen Bildungssystem, Geburtenkontrolle, Armutsbekämpfung.

Pro-sunnitische Wahlanhänger in Beirut; Foto: AP
Erfreuliche Signale für die Obama-Adminisration, wie etwa der Sieg des pro-westlichen Parteienbündnisses "14. März"</wbr> und deren Kandidat Saad al-Hariri im Libanon, waren zuletzt eher selten festzustellen.

​​ Doch die Visionen des US-Präsidenten stoßen sich an den Realitäten. Gewiss, bei den Präsidentschaftswahlen im Libanon haben das pro-westliche Parteienbündnis "14. März" und ihr Kandidaten Saad al-Hariri gesiegt.

Die pro-iranische Hisbollah hat diese Wahlen, anders als zunächst vermutet, klar verloren. Das aber sind die einzigen Nachrichten aus der Region, die Washington in diesen Tagen erfreuen dürften. Der erhoffte Neuanfang im Iran ist bisher ausgeblieben, der amtierende Präsident Mahmoud Ahmadinedschad bleibt im Amt.

Ungeachtet der offenkundigen Wahlfälschungen und des Aufruhrs, der seither durch das Land fegt: Die Hardliner haben sich vorerst durchgesetzt und werden ihre Macht mit allen Mitteln verteidigen.

Feindbild Islamische Republik

Obwohl ein iranischer Präsident, anders als der amerikanische oder französische, keine wirklichen exekutiven Befugnisse besitzt und wenig mehr ist als der Sprecher und das Aushängeschild des religiösen Establishments, prägt Ahmadinedschad in der westlichen Wahrnehmung das Gesicht der Islamischen Republik. In dieser Wahrnehmung gilt er als "das Böse" schlechthin.

Die Neigung westlicher Politik und Meinungsmacher, eigene machtpolitische Interessen

Irans Präsident Ahmadinedschad; Foto: AP
Ahmadinedschads Vorliebe für Demagogie, insbesondere seine Leugnung des Holocausts, ist Wasser auf den Mühlen derer in den USA und vor allem Israel, die das Feindbild Iran aus ideologischen Gründen kultivieren.

​​ als Ausdruck einer Freiheitsbotschaft zu werten, findet in Ahmadinedschad einen geradezu archetypischen Widersacher.

Dessen Vorliebe für Demagogie, insbesondere seine Leugnung des Holocausts, ist Wasser auf den Mühlen derer in den USA und vor allem Israel, die das Feindbild Iran aus ideologischen Gründen kultivieren.

Mehr noch, viele Analysten glauben, dass die Wiederwahl Ahmadinedschads den Countdown für einen israelischen Angriff auf Irans Atomanlagen einleiten könnte. Das Thema Iran ist in Israel fast schon eine Obsession: Zum einen aus Furcht vor einer iranischen Atombombe, vor allem aber als bewusste Ablenkung von der eigenen Siedlungs- und Besatzungspolitik.

Keine wirkliche Kompromissbereitschaft

Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, das Israels Premier Netanjahu in seiner seit langem angekündigten Grundsatzrede zur Palästinafrage am vorigen Sonntag zunächst einmal die iranische Gefahr beschwor. Die Gründung eines palästinensischen Staates könne er sich vorstellen, fuhr er fort.

Die Bedingungen, die er dafür stellte, sind allerdings so unrealistisch, dass der Verdacht nahe liegt, ein bloßes Lippenbekenntnis abgelegt zu haben. Tatsächlich ist kaum vorstellbar, dass die gegenwärtige, ultrarechte israelische Regierung zu ernsthaften Zugeständnissen an die Palästinenser bereit wäre. Jedes Einlenken in dieser Frage hätte den sofortigen Bruch der von der Siedlerlobby dominierten Koalition zur Folge.

Obamas Forderungen an die Adresse Israels sind nicht von Sanktionsdrohungen begleitet. Das würde eine offene Konfrontation mit der in Washington sehr einflussreichen Israel-Lobby voraussetzen. Dieses Risiko wird Obama nicht eingehen.

Spiel auf Zeit

Benjamin Netanjahu rechts und Ehud Barak in Jerusalem; Foto: dpa
Israel hatte stets widersprüchliche Signale zu einem Angriff auf Irans Nuklearanlagen gesendet. Zuletzt erklärte Verteidigungsminister Ehud Barak, Israel schließe nach wie vor keine Option aus.

​​ Der Nahostkonflikt ist wichtig, aber nicht die zentrale Agenda seiner Präsidentschaft. Die israelische Regierung dürfte folglich auf Zeit spielen und dafür Sorge tragen wollen, auch mit Hilfe der Medien, dass der Atomstreit mit Teheran erneut in den Vordergrund rückt.

Das Dilemma Obamas liegt darin, die Probleme der Region richtig erkannt zu haben, einschließlich der Bereitschaft zu einer Kurskorrektur, nach dem von der Bush-Regierung angerichteten Desaster in Afghanistan und im Irak. Doch weder im Iran noch in Israel findet er Bündnispartner für seine Versuche, den Kreislauf aus Gewalt und Gegengewalt zu durchbrechen.

Die Visionen Obamas laufen Gefahr, sich als Illusion zu erweisen. Die letzten übrigens, die sich darüber unglücklich zeigen würden, wären die arabischen Staatschefs.

Die Europäische Union verhält sich zu Obamas Kurswechsel wie generell zu amerikanischer Politik: Man heißt sie gut. (Die Ablehnung des Irakkrieges 2003 durch einige europäische Staaten, darunter Deutschland, war eine Ausnahme).

Europa bleibt Juniorpartner der USA, auch im Nahen und Mittleren Osten. Eigenständige europäische Initiativen sind nicht zu erwarten, weder gegenüber dem Iran noch gegenüber Israel. Ohnehin wird kein deutscher Politiker der ersten Reihe auf die Idee kommen, offen und öffentlich israelische Positionen zu kritisieren.

Forderungen an die Adresse Teherans sind wohlfeil. Im Falle Israels beschränken sie sich auf wohlwollende Floskeln, die die palästinensische Realität in der Regel ausblenden. Auf Dauer wird das aber nicht reichen.

Andernfalls ist die Gefahr groß, dass die Regierenden in Israel tatsächlich einen Waffengang gegen das iranische Atomprogramm wagen – in der vermutlich richtigen Annahme, dass in dem Fall die meisten, wenn nicht alle, westlichen Regierungen ein solches Vorgehen als legitime Selbstverteidigung werten.

Die Folgen eines solchen Angriffes allerdings wären mit bloßer Rhetorik nicht mehr zu bewältigen.

Michael Lüders

© Qantara.de 2009

Dr. Michael Lüders war langjähriger Nahostkorrespondent der Wochenzeitung DIE ZEIT. Er lebt heute als Politik- und Wirtschaftsberater, Publizist und Autor in Berlin.

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