Burka unerwünscht
Die von Frankreichs Regierung geführte "Debatte über die nationale Identität" erhitzt die Gemüter. Im Mittelpunkt steht dabei die Kontroverse um das Burka-Verbot und der Umgang mit den Muslimen. Aus Paris berichtet Bernhard Schmid.
Bereits Ende Oktober vergangenen Jahres hatte Frankreichs Minister für Immigration und Integration und nationale Identität, Eric Besson, angekündigt, dass die Regierung Sarkozy eine "Debatte über die nationale Identität" führen werde.
Sie wird in den kommenden Wochen und Monaten noch fortdauern, und der Präsident wird voraussichtlich am 4. Februar eigene Vorschläge zu diesem Thema veröffentlichen.
Kritiker bezeichnen die Debatte auch als "Ideologiekampagne". Denn von Anfang an drehte sich ein erheblicher Teil der Debatte um die Frage einer Abgrenzung von "den Anderen", wobei der – mitunter als "Bedrohung für Nation und Republik" herbei fantasierte – Islam dabei oft im Zentrum der Debatte stand.
Die Burka als "rotes Tuch"
Während Besson sich bei der Definition, was "nationale Identität" eigentlich bedeutet, sehr vage blieb, wusste er doch mit Bestimmtheit zu sagen, was für ihn nicht zur französischen Kultur gehört – nämlich die Burka. Diese sei für ihn "nicht mit der französischen nationalen Identität" vereinbar.
Allerdings wird die Burka, die vor allem in Afghanistan und in Pakistan verbreitet ist, in Frankreich ohnehin kaum getragen und ist etwa bei den Einwanderern aus dem Maghreb keinesfalls üblich.
Nachdem sich jedoch im Frühsommer 2009 eine Debatte unter französischen Politikern um einzelne Fälle von Ganzkörperverschleierung entsponnen hatte, ließ das französische Innenministerium nachzählen und identifizierte insgesamt 367 Frauen, die in Frankreich eine Burka tragen. Bei ihnen handelt es sich jedoch mehrheitlich um Konvertitinnen französischer Abstammung.
Diese Konvertitinnen agieren ähnlich wie Sektenanhänger und -anhängerinnen, die ihre neu erworbene religiöse Zugehörigkeit auf besonders demonstrative Weise in der Öffentlichkeit zeigen. Dies macht deutlich: Um zwischen denen zu unterscheiden, die zur Nation gehören, und denen, die nicht dazugehören sollen, taugt die Burka wohl kaum.
Die Burka-Debatte wurde in den letzten Monaten zeitgleich zu jener rund um den Begriff "nationale Identität" geführt, eine eigens eingesetzte Parlamentskommission hörte hierzu zahlreiche Politiker und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens an.
Ein Burka-Verbot per Gesetz?
Das Ergebnis: Teile der konservativen Regierungspartei UMP sprechen sich inzwischen klar für ein Gesetz zum Verbot der Burka in Frankreich aus. Ihr Fraktionsvorsitzender in der Nationalversammlung, Jean-François Copé, möchte bereits in den nächsten Wochen dieses Verbot per Gesetz vorlegen.
Das Gesetz sollte das Tragen der Burka unter Strafe stellen, ein Bußgeld in Höhe von 750 Euro sollte dann verlangt werden. Kritiker sprachen von einem "Sondergesetz", das sich durch die ohnehin geringe Anzahl von Burka-Trägerinnen im Land nicht rechtfertigen lasse.
Nach langem politischen Hin und Her entschied sich eine Mehrheit der UMP Anfang dieses Jahres nun doch gegen ein Gesetz: Das juristische Risiko, dass ein solcher Text womöglich vom Verfassungsgericht kassiert würde, sei zu hoch. Nunmehr plädiert eine Mehrheit der Regierungspartei stattdessen für eine "feierliche Entschließung des Parlaments", um eine Ganzkörperverschleierung zu verurteilen.
Auf Regierungsseite haben sich unterdessen einige Protagonisten in der Burka-Debatte zu umstrittenen Statements hinreißen lassen. Zu ihnen zählt Nadine Morano, Staatssekretärin für Familienpolitik im Sozialministerium. Sie nahm am 14. Dezember an einer Diskussionsveranstaltung zur nationalen Identität vor 300 Personen in Charmes, einem Städtchen in den Vogesen, teil.
Im Verlauf der Debatte erklärte Morano unter anderem, dass sie grundsätzlich nichts gegen Ausländer habe, doch vom "jungen Moslem" in Frankreich – den sie zwar respektiere –, forderte sie, dass er gefälligst "nicht seine Kappe verkehrt herum tragen, keinen Vorstadt-Jugendslang sprechen und sich eine Arbeit suchen solle".
Mit diesen Formulierungen brachte sie das Phänomen der Jugendkultur sozial unterprivilegierter Schichten, das längst alle Bevölkerungsgruppen betrifft, in Verbindung mit nur einer ethnisch-religiösen Gruppe in Verbindung.
Darüber hinaus waren ihre Äußerungen dahingehend zu verstehen, dass jene sozial unterprivilegierten Jugendlichen selbst dafür verantwortlich seien, dass sie keinen Job hätten. Ihre vor Ressentiments strotzenden Äußerungen sorgten tagelang für heftige Polemik in der französischen Öffentlichkeit.
Sarkozys Antwort auf das Schweizer Minarett-Votum
Am vergangenen 9. Dezember publizierte die liberale Pariser Abendzeitung Le Monde einen Gastbeitrag Sarkozys, in welchem der Präsident dem Schweizer Abstimmungsergebnis Recht zusprach und sich der "Kritik an der Bevölkerung" verbat, auch wenn er einräumte, dass Fragen - wie die nach Ausübung der Religion - zu kompliziert seien, um sie in einer Volksabstimmung entscheiden zu lassen.
Sarkozy räumte jedoch Verständnis für jene ein, die "nicht wollen, dass das Gesicht ihres Landes verunstaltet wird" und dessen Identität verloren ginge.
Im gleichen Beitrag forderte Nicolas Sarkozy ferner "den Respekt derer, die aufgenommen werden, aber auch derer, die aufnehmen".
Durch die Formulierung über die "Aufnehmenden" stellte er klar, wer das historische Stammrecht im eigenen Land besäße, also "Herr im eigenen Haus" sein müsse. Deswegen hätten die Gläubigen mit einer jüngeren Einwanderungsgeschichte, also die Muslime, "Diskretion zu üben".
Kurz zuvor hatte der Parteisprecher der UMP, Dominique Paillé, dies bereits auf den Punkt gebracht: Zwar gebe es im laizistischen Frankreich keine Staatsreligion, "aber manche Religionen waren schon vor der Gründung der Republik präsent" – sie seien also in das historische Erbe der Republik eingegangen, während "andere hingegen erst später dazu kamen" und diese daher die geltenden Spielregeln zu respektieren hätten.
Angeheiztes Klima der Angst
Ende Dezember letzten Jahres machte der Abgeordnete und frühere Justizminister Dominique Perben sich Sorgen, dass es "demnächst ebenso viele Moscheen wie Kathedralen" geben könne und dann "Frankreich nicht mehr länger Frankreich" sei.
Offenkundig hat ein Teil der Regierung der Versuchung nachgegeben, an den Erfolg des Schweizer Referendums anzuknüpfen und zu versuchen, einen Teil der früheren Wählerbasis der extremen Rechten auf die Dauer in den konservativen Block einzubinden.
Nicolas Sarkozy, der das Risiko erkannt hat, mit der Debatte zu weit in die rechte Ecke abzudriften, hat nun jedoch seinerseits angekündigt, für neue "Überraschungen" in der öffentlichen Debatte zu sorgen.
Voraussichtlich Ende Januar bis Anfang Februar möchte er beispielsweise einen Friedhof für muslimische Soldaten, die im Ersten Weltkrieg in Frankreichs Armee kämpften, in Notre-Dame-de-Lorette, in der Nähe von Arras, besuchen.
Das dortige Denkmal war 2007 und 2008 mehrfach durch Rassisten mit unflätigen Sprüchen besprüht und beschädigt worden. Doch sind Kritiker der Regierung davon überzeugt, dass die aktuelle Identitätsdebatte solchen Rassisten eher neuen Auftrieb verleihe.
Bernhard Schmid
© Qantara.de 2010
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