Eine fotografische Reise in die Vergangenheit
Sheikh Abdullah bin Salim Al Qassimi nimmt sich viel Zeit. Aufmerksam betrachtet er jedes der 225 historischen Fotos aus dem Orient, hört den Erläuterungen des Sammlers Thomas Walther zu, macht Anmerkungen. Der Sheikh ist der dritte Mann im Emirat Sharjah am Persischen Golf. Gerade hat er die Austellung "Focus Orient" im Sharjah Arts Museum eröffnet.
"Warum hat der alte Falkner auf dem Foto von Bougault zwei Falken bei sich?", fragt er. Das sei unüblich, vielleicht gestellt. Walther nickt. Vor 100 bis 150 Jahren, als diese Fotos im arabischsprachigen Raum entstanden, war Fotografieren einen mühselige Angelegenheit und die Belichtungszeit lang. Realismus war nicht das vorrangige Ziel der - mitteleuropäischen – Fotografen.
Sharjah ist das drittgrößte der sieben Vereinigten Arabischen Emirate (V.A.E.) und lange nicht so reich wie das benachbarte megalomane Dubai oder gar Abu Dhabi, das über die größten Ölreserven der V.A.E. verfügt. Dafür herrscht in Sharjah seit 1972 der kunstsinnige Sheikh Sultan bin Mohammed Al Qassimi, der in Ägypten und England studiert und zweimal promoviert hat. Seine Publikationsliste ist lang und zeugt von großem Interesse an der politischen und gesellschaftlichen Geschichte der Länder am Persischen Golf. Die Mythen des Piratentums am Golf gehören übrigens auch dazu.
Menschenleere Bilder von Karnak, Luxor und Abu Simbel
Für die bildende Kunst ist Tochter Sheikha Hoor Al Qassimi zuständig, beraten von der Kölner Galeristin Brigitte Schenk. Sie stellt seit Jahren in den Emiraten zeitgenössische Kunst aus, nicht zuletzt auf der Sharjah Biennale, für die sich Künstler gerade wieder bewerben können.
Mit der Präsentation der bisher nie öffentlich gezeigten Fotografien der Sammlung Walther ist der Galeristin ein Scoop gelungen: Die geplanten Guggenheim- und Louvre-Ableger in Abu Dhabi oder die Opernhauspläne in Dubai mögen Schlagzeilen machen. Aber die Rückbesinnung auf die eigene arabische Kultur ist eine wichtige Ergänzung zum Raketenstart in die Moderne – in Dubai, wo noch vor 50 Jahren die Lehmhütten der Perlentaucher standen, markiert ein 800 Meter hoher Büro- und Hoteltower die Entwicklung. Ein weiteres Projekt mit 1000 Metern Höhe ist schon in Planung.
Zwanzig Jahre nach Erfindung der Fotografie hatten Glasplatten und Kalotypie die Daguerrotypie abgelöst. Und ganz auf der Höhe der technischen Entwicklung war der junge Fotograf Maxime du Camp, als er 1849 Gustave Flaubert auf seine anderthalbjährige "Reise in den Orient" begleitete. Während Flaubert einen genauen Blick auf die Menschen hatte, konzentrierte sich du Camp auf Landschaften und historische Monumente. Auf den Bildern von Karnak, Luxor oder Abu Simbel erscheinen kaum Menschen. Höchstens als Statisten zur Darstellung der Größenverhältnisse. Die Pyramiden konnten naturgemäß so lange stillhalten, wie es die sehr langen Belichtungszeiten erforderten.
Fotografien als teures Touristensouvenir
Zu einer Zeit als Literatur und Geschichtsschreibung einen geistigen Stillstand und eine Sinnkrise in Mitteleuropa konstatierten, lösten die ersten Fotos aus dem Orient Begeisterung aus. Die Sehnsucht nach Exotik und Spiritualität in den Landstrichen, die drei Weltreligionen hervorgebracht hatten, rief Männer auf den Plan, die Abbilder davon liefern konnten.
Der Franzose Felix Bonfils ließ sich 1867 in Beirut nieder, fotografierte anfangs allein. Dann bildete er weitere Fotografen aus, die in seinem Stil für das "Maison Bonfils" fotografierten. Die Ergebnisse wurden in Frankreich – meist als Stahlgravüren – veröffentlicht. Vor allem aber verkaufte er seine Porträts und Städteansichten als Souvenirs an Touristen, die jetzt in großer Zahl ins (heilige) Land strömten.
Schon 1860 hatte sich der Berliner Fotograf W. Hammerschmidt in Kairo niedergelassen. Seine Spezialität: großformatige Straßenszenen. Auch er ist in der jetzt ausgestellten Sammlung Walther vertreten.
Kommerziell ausgerichtete Fotografen, gestellte Bilder
Ein Fotograf, der damals die Stadt verließ, begab sich eigentlich auf eine Expedition. Bis zu 1000 Kilo war so eine Ausrüstung schwer: die riesige Kamera, die vielen Chemikalien und Platten, ein Spezial-Zelt als Dunkelkammer. Wer das auf sich nahm, stieß auf eine immer noch unbekannte Welt.
Ein kommerziell ausgerichteter Fotograf war der Brite Francis Frith, der die 500 Glasnegative seiner Reisen nach Ägypten und Palästina von 1857 bis 1859 zu überaus erfolgreichen Fotobüchern verarbeitete. Wasserverkäufer, Träger, überhaupt die arbeitende Bevölkerung erregten die Neugier von Henri Béchard. Das sind Bilder, die dem heutigen Betrachter besonders "nah dran" erscheinen. Natürlich sind auch sie sorgfältig komponiert und arrangiert, aber der dokumentarische Wert bleibt davon unberührt.
Der Sammler Thomas Walther, dem die in Sharjah gezeigten 225 Originalfotografien gehören, hat jahrelang auf Flohmärkten, bei Antiquaren, Trödlern und Privatleuten gestöbert, bis er eine Sammlung von Fotos sein eigen nennen konnte, die das Zehnfache der hier gezeigten Werke umfasst.
Vergangene Welt zwischen Marrakesch und Damaskus
Walther ist selber Fotograf und er erzählt, die Faszination für die orientalische Welt habe in seiner Studentenzeit in den Siebziger Jahren begonnen. Da sei er von der Schweiz in die Sahara und nach Marokko getrampt. Die Wärme der Menschen dort habe ihn sehr bewegt, sagt Walther. Und die unendliche Landschaft.
Ob kulturhistorische Neugier der Fotografen von einst oder Geschäftsinteresse von Postkarten-Herstellern oder gar der koloniale Blick von außen: Wichtig sei, dass die Menschen der Emirate eine Vorstellung von der vergangenen Welt der Araber zwischen Marrakesch und Damaskus gewinnen können. So der sachkundige und pragmatische eigentliche Motor der Kulturszene in Sharjah, Hisham Al Madhloum, Direktor des Kultur- und Informationsdepartements.
Und überhaupt: Die Fotografen der Ausstellung hätten damals zeitgenössische Kunst produziert und gehörten, spätestens jetzt, ins Museum. So sieht das auch Brigitte Schenk, die Kölner Kuratorin der Ausstellung. Und am besten wäre es, die Ausstellung würde angekauft und bliebe in Sharjah. Sammler Walther wäre das auch recht. Das Sammeln von Fotografien ist eine teure Obsession.
Sheikh Abdullah, der Neffe des Herrschers, ist jedenfalls merklich angetan. Nur die Emirate seien auf den Fotos von damals zu kurz gekommen. Das stimmt. So weit ist im 19. Jahrhundert kein Fotograf vorgedrungen. Sheikh Abdullah will jetzt Sharjah fotografieren, damit man in 200 Jahren bestaunen kann, wie es heute hier aussieht.
Georg Ossenbach
© Qantara.de 2008
Die Ausstellung ist noch bis Januar 2009 geöffnet.
Qantara.de
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