Fusion östlicher und westlicher Klangfarben

Vor 80 Jahren tagte der erste internationale Kongress der arabischen Musik in Kairo. Eigentlich dazu gedacht, das musikalische Erbe vor dem Vergessen zu bewahren, führte er zu einer Erneuerung der klassischen arabischen Musik. Von Suleman Taufiq

Von Suleman Taufiq

Unter der Schirmherrschaft des ägyptischen Königs Fuad I. wurde vor 80 Jahren der erste internationale Kongress der arabischen Musik im neu gegründeten Institut der arabischen Musik in Kairo feierlich eröffnet. König Fuad I., der als Kunst- und Musikliebhaber gilt, förderte das Ereignis durch den Erlass eines königlichen Dekrets.

Kairo erlebte mit diesem Symposium und Festival im Jahr 1932 das größte Musikereignis seiner bisherigen Geschichte. Zahlreiche Musiker und Musikwissenschaftler aus der gesamten arabischen Welt, aus der Türkei, Persien und aus Westeuropa trafen sich hier zum ersten Mal, um sich ausführlich mit der arabischen Musik zu beschäftigen und auszutauschen.

Wichtige Persönlichkeiten aus aller Welt waren eingeladen: bekannte Musikkritiker und Komponisten wie Bela Bartok, Paul Hindemith oder Henri Rabaud; Musikologen wie Erich Moritz von Hornbostel, Robert Lachmann oder Curt Sachs; Orientalisten wie Henry George Farmer oder Alexis Chottin.

Erschienen waren auch berühmte Dichter und namhafte Musiker der arabischen Kunstmusik wie Sami Shawwa aus Aleppo oder Muhammad Abd al-Wahhab aus Ägypten. Und natürlich traten auch die bekanntesten Musikgruppen der klassischen arabischen Musik aus Syrien, dem Irak, dem Libanon und Ägypten, sowie aus Marokko und Tunesien auf.

Wiederbelebung der arabischen Musik

Die arabische Musik erlebte mit dem Kongress eine Wiedergeburt. Der Begriff "arabische Musik" wurde neu diskutiert: Zuvor hatte man von der "orientalischen Musik" als Sammelbegriff gesprochen. Damit waren arabische, türkische, persische sowie indische und chinesische Musiktraditionen gemeint.

Ägyptischer König Fuad I.
König Fuad I. (reg. 1922-1936), ein großer Kunst- und Musikliebhaber, gilt als Initiator des ersten internationalen Musikkongresses in Kairo.

​​Erstmals zeigte sich in aller Deutlichkeit die beeindruckende Vielfalt der arabischen Musik. War man bisher von einem gemeinsamen, panarabischen kulturellen Hintergrund ausgegangen, so lernte man nun - völlig überrascht - sehr unterschiedliche Musiktraditionen kennen.

Damals reagierten einige arabische Musiker sogar verärgert darüber, welche enormen musikalischen Unterschiede sie voneinander trennten. Zum Beispiel stellten sie fest, dass die Tonleitern der ostarabischen Musik (des Maschreq) gänzlich verschieden waren von den Skalen des westlich gelegenen Maghreb, die dem temperierten System Europas sehr ähneln. Im Gegensatz zu dieser westarabischen, maghrebinischen Musik sind in Syrien, im Irak und in Ägypten auch Viertelton-Skalen üblich.

Die nach Kairo angereisten Teilnehmer bemühten sich, die arabische Musik zu sammeln, zu dokumentieren und zu systematisieren, um das musikalische Erbe vor dem Vergessen zu bewahren. Bartok und Lachmann waren es, die die Musik der eingeladenen Gruppen aufnahmen, und mit Hilfe der Grammophon Company in Alexandria wurden 360 Aufnahmen auf Schallplatten gepresst. Die Platten gelangten nicht in den Handel, sondern wurden archiviert. Es traten Gruppen auf, die zuvor unbekannt waren, Instrumente wurden vorgestellt, die in Vergessenheit geraten waren, wie die oboenartige "Mizmar".

Im Verlauf des Kongresses kam es unter den Delegierten auch zu einer wichtigen Diskussion über die Notwendigkeit der Notierung arabischer Musik. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts vertrat man die Auffassung, dass der arabischen Musik eine theoretische Grundlage fehle. Zwar hatte der berühmte Philosoph, Arzt und Musikwissenschaftler Al Kindi schon im 9. Jahrhundert die Notenschrift erfunden, und auch systematische Musiktheorien waren bereits entwickelt worden. Dennoch kam es im Laufe der Jahrhunderte nicht dazu, dass die arabische Musik wie in Europa niedergeschrieben wurde oder sich eine allgemein verbindliche musikalische Grundlagentheorie entwickelt hatte.

Denn die klassische arabische Musik ist stark improvisierend. Es ist schwer, sie zu notieren. Eigentlich kann man nur den Grundmodus in Notenform aufschreiben. Aber jeder Künstler spielt das gleiche Stück immer wieder anders. Auch viele Europäer waren deshalb der Notierung gegenüber skeptisch, denn sie befürchteten, dass dadurch ihre Originalität verloren gehen könnte.

Fusion von Instrumenten

Bericht in einem ägyptischen Magazin über den Kongress
Das Interesse der arabischen Presse am Festival fehlte nicht: In der Geschichte Kairos war der internationale Musikkongress das bisher größte Musikereignis.

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Die Einführung westlicher Instrumente in die arabische Musik sorgte für heiße Diskussionen, denn es bedeutete, dass man die arabische Tonleiter hätte verändern müssen. Die Befürworter sahen darin eine Chance, die arabische Musik zu erneuern, und mehr Harmonie und die Polyphonie einzuführen, aber auch das Orchester zu erweitern. Doch es gab aber auch Gegner, die befürchteten, die Identität der arabischen Musik ginge dadurch verloren. Sie argumentierten, dass die westlichen Instrumente nicht dazu geeignet seien, den für die arabische Musik typischen Viertelton wiederzugeben. Dass eine Fusion dieser Instrumente dennoch möglich ist, zeigte sich in den späteren musikalischen Entwicklungen. Es gab sogar Musiker, die ein besonderes Klavier bauten, das in der Lage war, einen Viertelton erklingen zu lassen.

Die Befürworter argumentierten, dass viele inzwischen in Europa ausgearbeitete Ideen und Instrumente ursprünglich aus dem Orient stammten. Vor Jahrhunderten waren sie nach Europa gekommen und kehrten nun wieder in veränderter Form in die arabische Kultur zurück.

Die Rabab, eine Vorform der Violine zum Beispiel, war aus dem arabischen Kulturraum nach Europa gekommen, wo man sie im Tonumfang und in der Klangqualität erheblich verbesserte. Die arabischen Teilnehmer wollten die westliche Musiktechnik in ihre eigene Musik einführen. Die westlichen Teilnehmer meinten aber: Bleibt doch bei eurer schönen Musik! Kümmert euch jetzt nicht um Symphonien und Konzerte. Erst wenn ihr mit der Erforschung eurer eigenen Musik weiter fortgeschritten seid, könnt ihr euch damit beschäftigen.

Fortschritt in der Musik?

Zu jener Zeit sahen die Europäer ihre Musik als den Inbegriff des Musikfortschritts an. Die arabische Musik erschien ihnen als eine historische, aber noch lebendige Vorform der Musik auf dem Weg hin zu den europäischen "Errungenschaften". Sie sollte wie ein Museum der Musikgeschichte erhalten bleiben. Typisch für diese Sichtweise vieler Europäer auf dem Kongress war eine Stellungnahme von Per Collangettes, er sagte: "Für mich wäre es ein Verbrechen, auch nur das Gerüst der alten, klassischen arabischen Musik zu berühren. Wir wollen, dass diese schöne Kunst, die damals erblühte und an uns bis heute weitergereicht wurde, so wie sie ist bewahren, damit diese Kunst eine echt arabische bleibt."

Irakisches Ensemble Al-Qubbanji
Das irakische Ensemble Al-Qubbanji gehörte zu den unzähligen arabischen und europäischen Teilnehmern des Kongresses. Erstmals lernten die arabischen Künstler die für sie selbst auch überraschende Vielfalt innerhalb ihrer Musiktradition kennen.

​​In der Folge des Kongresses wurden zahlreiche Maßnahmen beschlossen. Sie hatten zum Ziel, eigene pädagogische Richtlinien für die Musik zu entwickeln. So wurde erstmals Musik als Pflichtfach an Schulen eingeführt. Man organisierte eine Kampagne, die weitere originelle arabische Musikformen sammeln und das Bewusstsein für die eigene lebendige Musiktradition schärfen sollte.

Der Kongress öffnete den Weg hin zu einem neuen Typus von arabischer Musik: Sie war sicher verankert in ihren einheimischen, gleichzeitig hatten arabische Musiker und Komponisten viel Bewegungsfreiheit hinzugewonnen. Ihre auf die Moderne gerichtete Orientierung, die neue Methoden und Techniken sehr bald integrierte, wurde von vielen als Erweiterung der musikalischen Möglichkeiten angesehen. Umgekehrt übernahm man in der modernen europäischen Musik nicht nur die alte Kunst der Vierteltöne aus dem Orient, sondern auch die Vielfalt der Rhythmen und Klangfarben.

Suleman Taufiq

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Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de