Neue Qualität im internationalen Terrorismus?
Indiens Großstädte haben sich in gewisser Weise, leider, in den letzten Jahren an Terrorismus gewöhnen müssen. Und während lange Zeit routinemäßig mit dem Finger auf den Nachbarn Pakistan gezeigt wurde, wann immer es Anschläge in Indien gab, hat sich inzwischen doch die Einsicht durchgesetzt, dass es verschiedene Gruppen von indischen Terroristen gibt, die gewissermaßen aus einer innenpolitischen Motivation heraus handeln:
Indische Muslime, die sich durch Diskriminierung und von radikalen Hindu-Politikern angestachelte Pogrome gegen ihre Religionsgruppe radikalisiert haben; alle möglichen separatistischen Gruppen, von Kaschmir bis in den Nordosten des Landes; und schließlich wurden gerade in den letzten Wochen auch mutmaßliche Hindu-Terroristen verhaftet, die wiederum muslimische Ziele attackiert haben sollen - sogar ein Armee-Offizier im aktiven Dienst war darunter.
Doch das Muster dieser jüngsten Anschläge ist anders. Zeitgleiche Angriffe auf eine Serie "weicher Ziele" – das verweist auf al Qaida. Der schiere Aufwand, um an so vielen Orten mit so vielen Attentätern koordiniert zuschlagen zu können, dürfte Gruppen mit einer lokalen oder nationalen Agenda überfordern. Und auch die anscheinend gezielte Auswahl US-amerikanischer, britischer und israelischer Geiseln passt zu den Zielen internationaler Terroristen.
Ausländische Basis der Terroristen wahrscheinlich
Der indische Ministerpräsident Manmohan Singh hat in einer ersten Reaktion denn auch darauf hingewiesen, dass die Gruppe hinter diesen Anschlägen von einer "Basis im Ausland" aus operiere.
Auch wenn er Pakistan nicht beim Namen nannte, so ist es doch wahrscheinlich, dass diese Anschlagsserie zu neuen Spannungen zwischen Indien und Pakistan führt. Und das dürfte auch von den Urhebern beabsichtigt sein.
Erinnerungen werden wach an 2001, als nur wenige Monate nach dem 11. September Terroristen das indische Parlament stürmten. Indien beschuldigte Pakistan und mobilisierte Truppen an der Grenze. Monatelang eskalierte die Lage, zeitweise schien sogar ein Atomkrieg zwischen den südasiatischen Nachbarn nicht mehr ausgeschlossen.
In der Zwischenzeit nutzten al Qaida und die Taliban aus, dass die pakistanische Armee an der Ost-Grenze beschäftigt war und richteten sich nach dem durch die US-Invasion erzwungenen Rückzug aus Afghanistan in den pakistanischen Grenzgebieten ein.
Auswirkungen gehen weit über Indien hinaus
Derzeit gerät al Qaida in genau dieser Region unter Druck, weil das pakistanische Militär Operationen entlang der afghanischen Grenze gestartet hat und die USA Luftangriffe aus Afghanistan heraus gestartet haben. Das Terror-Netzwerk hat ein ureigenes Interesse an schlechten indisch-pakistanischen Beziehungen und daran, die pakistanische Armee abzulenken.
Die Auswirkungen der Gewalt in Bombay dürften somit weit über Indien hinausgehen. Sie werden die gesamte Region betreffen und sind darüber hinaus als erste Herausforderung an den neu gewählten US-Präsidenten Barack Obama zu sehen, der sich in Afghanistan und Pakistan viel vorgenommen hat. Er wird eine Menge Fingerspitzengefühl dabei benötigen.
Thomas Bärthlein
© DEUTSCHE WELLE 2008
Der Autor ist Leiter der Südostasienabteilung der Deutschen Welle.
Qantara.de
Interview mit Maulana Kalbe Sadiq
"Bildung ist die zentrale Herausforderung für Muslime in Indien"
Maulana Kalbe Sadiq gehört zu den wichtigsten schiitischen Gelehrten in Indien. Im Interview mit Yoginder Sikand spricht er über Bildungskonzepte muslimischer Gelehrter und die unter ihnen verbreitete Abneigung, sich den Herausforderungen für Muslime zu stellen.
Geliebter Feind
Pakistanisch-indische Grenzverwischungen
Zwischen den Erzfeinden Indien und Pakistan, die zur gegenseitigen Abschreckung sogar den Aufbau eines Nukleararsenals für nötig hielten, scheint sich ein Tauwetter anzubahnen. Der pakistanische Alltag freilich scheint schon ordentlich durchdrungen von der offiziell noch verpönten Kultur des Nachbarlandes. Von Claudia Kramatschek
Shashi Tharoors Nehru-Biographie
Das säkulare Vermächtnis Indiens
Der indische Schriftsteller Shashi Tharoor, von dem einige Romane auf Deutsch vorliegen, hat sich auf die Spuren des ersten indischen Premierministers begeben. Herausgekommen ist eine facettenreiche Biographie, die viel über Nehru, aber auch einiges über die politische Haltung des Autors aussagt. Von Gerhard Klas