Die angepasste Generation
Behnam, 25 Jahre alt, hat Industriedesign studiert und arbeitet heute im Fotoarchiv einer Tageszeitung. Was er an der Universität gelernt hat, entspricht genau seinen Interessen, aber er hatte nie die Chance auf einen Job, der zu seinen Qualifikationen passt.
Derzeit packt er seine Sachen, um in Kanada ein neues Leben zu beginnen. "Ich hatte eine Menge Pläne, was ich alles machen wollte, und meine Examensnoten waren erstklassig, aber ich fand keinen Job, weil ich an jeder Tür ein Zauberwort gebraucht hätte."
Zwei Drittel aller Iraner sind zwischen 17 und 22 Jahren alt. Eine Generation, die mit den Folgen vieler Entscheidungen leben muss, die sie nicht selbst getroffen hat. Zwar haben sich nach der Revolution von 1979 die Perspektiven für junge Leute, eine Universitätsausbildung zu bekommen, verbessert, aber dafür sind in der iranischen Gesellschaft neue Probleme entstanden.
Verschlechterung der Bildungssituation
Die extrem hohen Studentenzahlen haben zu einem Verfall der Bildungsstandards geführt: Die Hochschulverwaltungen legen mehr Wert auf Sitzscheine und Teilnahmenachweise als auf Wissen und intellektuellen Glanz. Die Konsequenz: Im Iran gibt es eine große Zahl ausgebildeter Menschen, die weder besonders talentiert noch besonders erfahren sind.
Der Frauenanteil unter ihnen ist übrigens steigend: Bereits 2004 betrug das Zahlenverhältnis von weiblichen zu männlichen Studierenden 60 zu 40, und 2007 wird dieses Verhältnis 70 zu 30 betragen.
Laut iranischem Bildungsministerium gehen 90 Prozent der hochbegabten iranischen Studenten ins Ausland, drei Viertel von ihnen an Hochschulen in den USA. Was manch einer als Braindrain verbuchen mag, ist für Behnam, der in seinem Job nichts von dem einbringen kann, was er an der Universität gelernt hat, ein vernünftiger Schritt. Denn obwohl er sich auf jede erdenkliche Stelle in der Industrie beworben hat, blieb er erfolglos.
Beziehungen zum Regime gefragt
"Man braucht einen Fürsprecher im islamischen Regime. Ziemlich viele Leute sitzen im Büro und tun nicht viel, weil sie einfach nicht wissen, was sie tun sollen. Sie sitzen dort nur, weil sie mit jemandem versippt oder verschwägert sind, der zum System gehört", sagt Behnam.
Das Fundament für die iranische Verwaltung sind familiäre Seilschaften und freundschaftliche Bande. An diesem historisch gewachsenen Problem hat sich in den letzten 100 Jahren nichts geändert. Wer an den Hebeln der Regierung sitzt, sucht stets Leute um sich zu scharen, denen er vertrauen kann.
Professionalität, Expertenwissen und Erfahrung sind sekundär. Dies war in den monarchischen Zeiten des Schahs Mohammad Reza Pahlavi nicht anders als in der Islamischen Republik Iran mit ihrem von Klerikern dominierten System.
Menschen wie Behnam und andere junge Iraner, die nicht mit dem islamischen Regime verbandelt sind, bleiben Außenseiter. Azita, die ebenfalls keine Beziehungen hat, glaubt, dass es ihr gut gehen würde, wenn es keine Revolution gegeben hätte.
Mit einem Vater, der als hochrangiger Militärführer diente, hätte sie sich im alten Regime eine hübsche Karriere sichern können. Jetzt, mit 28 Jahren und einem Bachelor in Fremdsprachen, bleibt ihr nur der Weg ins private Kleingewerbe.
Für die Karriere den Revolutionsgarden zu Diensten
Wer aber durch Beziehungen mit den islamischen Hardlinern verbunden ist, hat es leichter, muss sich dafür allerdings an Regeln halten. Yasser, 24, studiert noch und hat seinen Militärdienst noch nicht abgeleistet, aber durch seinen Vater, einen General der Revolutionsgarden der Islamischen Republik Iran, verfügt er über beste Beziehungen.
Zu Zeiten der reformorientierten Chatami-Regierung arbeitete Yasser in der Nachrichtenredaktion eines staatlichen Fernsehsenders und wechselte dann ins Wahlkampfteam des späteren Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad. Er hat es an die Spitze geschafft und verdient fünfmal so viel wie andere, die eine qualifiziertere Ausbildung vorweisen können.
Heute schreibt er Pressemitteilungen für das Präsidialamt, arbeitet als Journalist für eine der wichtigsten Zeitungen und wirkt außerdem an Geheimrecherchen für die Nachrichtendienste der Regierung mit. Er hört gern Jennifer Lopez und sagt:
"Ich darf mir die Korruption und Dekadenz des Westens aus beruflichen Gründen ansehen, aber für die übrige Bevölkerung ist das eine Sünde – und verboten, weil sie es sich nur zum Spaß anschaut."
Abolfazl, 23, macht es nicht anders. Ohne jede Redakteursausbildung betreibt er einige wichtige Nachrichtenwebseiten und Magazine im Internet. Er ist ein Insider. Einer, dem vertraut wird.
Mit zweierlei Maß
Seine religiöse Haltung und Loyalität zum islamischen Regime sind nur vorgespielt: Er trägt zwar die schlichte Kleidung der Systemtreuen, betet zur rechten Zeit und agiert wie ein frommer Mann.
Insgeheim aber hört er Chris de Burgh und Marilyn Manson, schaut im Fernsehen Satellitenprogramme und reist nach Europa. Er sagt: "Ich stehe loyal zum System, nehme mir Vorteile, lasse mich kritisieren und kritisiere; andere westlich orientierte junge Leute haben keine Rechte."
Diejenigen, die ihre familiären Beziehungen spielen lassen können, steuern das System. Die anderen versuchen entweder im Kleinen etwas auf die Beine zu stellen, oder sich mit etwas Glück durch eifriges Studieren ein Stipendium für eine Universität in den USA oder in Europa zu erarbeiten. Oder sie sparen, um irgendwann ganz auswandern zu können.
Geschätzte 60 Prozent der jungen Menschen gehören zu denen, die ich die "angepasste Generation" nenne. Sie können nicht wie Yasser auf Beziehungen zurückgreifen und stehen nicht außerhalb des Regimes wie Azita.
Sie halten sich von der Universität fern, und, wenn sie doch studieren, geht es ihnen nicht um Wissen, sondern um den Abschluss. Sie suchen nach einer Möglichkeit, an das System anzudocken und zu überleben.
Deals mit illegaler Importware
Reza hat sich im Alter von 22 Jahren mit einem Freund zusammengetan, der wegen seines im Parlament sitzenden Vaters zu den Insidern des Regimes gehörte und mit illegal importierten Computern sein Geld verdiente.
Heute ist er 26, besitzt zwei Häuser und fährt edle Autos. Moosa hat sich mit 25 Jahren durch einen Deal mit einem Revolutionsgardisten den Auftrag für Bauarbeiten an den Kasernenfluren gesichert. Die Vergabe solcher Aufträge sollte zwar laut Gesetz auf dem Wege einer öffentlichen Ausschreibung erfolgen, doch Moosa wusste, wie man es anstellen muss und machte der Regierung einen guten Preis.
Weder Reza noch Moosa nehmen je eine Zeitung in die Hand und mit Fragen des globalen Wandels können sie nichts anfangen. Religion ist für sie auch kein Thema. Sie verdienen Geld und fliegen einmal im Jahr nach Dubai und Istanbul, um es dort komplett in Vergnügungen aller Art zu investieren.
Im Falle eines Militärschlages gegen den Iran würde nur ein geringer Teil der Bevölkerung seine Stimme gegen das islamische Regime erheben. Der Rest würde untätig bleiben und das System somit im Grunde verteidigen.
Wären die Verhältnisse auch nur etwas anders, müsste Moosa eine Universität besuchen und sich redlich mühen, um in 20 Jahren das zu erreichen, was er jetzt in fünf Jahren geschafft hat. So gut und schnell wie er verdienen auf dieser Welt sonst nur Drogenhändler.
Verständigung mit dem Westen tabu
Die Meinungen der jungen Generation zum Atomstreit zeugen von einer Diskrepanz zwischen Denken und Handeln. Das liegt zuerst daran, dass Nachrichten zur Atomfrage zensiert werden. Während der Westen davon ausgeht, dass der Iran danach strebt, eine Atommacht zu werden, sagt man im Iran, dass es sich beim Atomstreit um eine energiepolitische Frage handelt.
Das Thema einer Annäherung des Irans an den Westen in diesem Konflikt ist tabu. Das staatlich kontrollierte nationale Fernsehen und Radio informieren nonstop darüber, dass der Westen einen fortschrittlichen Iran, mit hoch entwickelten Technologien ablehnt.
Aufgrund dieser Meinungskontrolle hat die Mehrheit keine Ahnung, was die wirklichen Hintergründe des Atomstreits sind. Die wenigen gut Ausgebildeten verlangen eine bessere Zusammenarbeit und eine bessere Verständigung mit den westlichen Ländern.
Jemand wie Behnam zieht es vor, "erst zu wissen, wer die Kontrolle über die Atompolitik im Iran übernimmt, und mich dann zu entscheiden, ob ich auswandere. Wenn militärische Extremisten an die Macht kommen, werde ich sie sicherlich nicht unterstützen."
Moosa hat kein Problem mit der gegenwärtigen Situation: Er kennt sich auf dem Schwarzmarkt aus, und jede mögliche Sanktion gegen den Iran kann ihn nur reicher machen. Behnam hingegen glaubt, dass seine Entscheidung, ob er auswandert, durch Sanktionen beschleunigt würde.
Yasser schließlich ist überzeugt, dass der Westen unfähig ist, etwas gegen den Iran auszurichten. Als die Frage auf die Vereinigten Staaten und ihre Waffen kommt, sagt er: "Wir waren gegen die USA und Europa, während sie mit Saddam beschäftigt waren. Und jetzt gibt es nur noch die USA und eine umstrittene Situation im Irak und Afghanistan, und wir sind dabei die Gewinner."
Kambiz Tavana
© KULTURAUSTAUSCH – Zeitschrift für internationale Perspektiven (4/2006)
Übersetzt aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld
Kambiz Tavana wurde 1972 in Isfahan geboren und arbeitet als Journalist bei der iranischen Tageszeitung "Hamshari". Er lebt in Teheran.
Qantara.de
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