Wo bleiben die Besonnenen?
Die dänischen Mohammed-Karikaturen sind vom selben Geiste wie das bekannte Kinderlied: "C a f f e e – trink nicht so viel Ka´afee/ Nicht für Kinder ist der Türkentrank, schwächt die Nerven, macht Dich blass und krank. Sei doch kein Muselmann, der das nicht lassen kann."
Sie sind beleidigend, ehrenrührig und mit jahrhundertealten Vorurteilen beladen.
Zudem bedienen diese Karikaturen alt bekannte Stereotype: Der Islam ist von Grund auf gewaltbereit, archaisch und barbarisch. Wir kennen diese bisweilen menschenverachtende Art auch bei der Darstellung der Juden in den Anfängen des vergangenen Jahrhunderts.
Die Debatte ereignet sich in einer Zeit, in der sich das gesellschaftliche Klima in Europa gegenüber seinen Einwanderern – speziell den Muslimen – extrem verschlechtert hat. Offene Diskriminierungen, die den Islam pauschal als "Terrorreligion" bezeichnen, zuletzt wieder von Seiten rechter Gesinnungspolitiker in Dänemark geäußert, kommen immer häufiger vor.
Die Regierungen schauen meistens weg, und eine konstruktive Politik gegenüber den muslimischen Minderheiten lassen die meisten Staaten vermissen - mit zum Teil fatalen Folgen, wie man sieht.
Unerwartete Reaktionen
Zugegeben: Wir alle haben den Protest in dieser Heftigkeit in der islamischen Welt unterschätzt. Man war offenbar überfordert, deutlich zu sehen an der unglücklichen Krisenbewältigung der dänischen Regierung.
Arabische Länder verhängten Wareneinfuhrboykotte, Botschafter wurden einbestellt, ganze Bevölkerungsgruppen kauften plötzlich keine dänischen Produkte mehr. Die dänische Gesellschaft erlitt empfindliche Schläge – nicht etwa kultureller Art – sondern wirtschaftlicher Natur.
Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel, jahrelange vertrauensvolle Arbeit von Unternehmen, z.B. in Saudi Arabien, sind über Nacht zunichte gemacht worden. Die dänische Wirtschaft bekniete Premierminister Rasmussen, er solle sich doch entschuldigen. Dieses Bild sitzt nun tief in den Köpfen der Europäer.
Anstatt aber nun dafür zu sorgen, dass sich die Gemüter mit einer Deeskalationspolitik beruhigen, läutet man eine neue Runde im Streit ein.
"Feldzug für die Pressefreiheit"
Auf beiden Seiten heizen die Kommentatoren die Stimmung weiter an und hoffen, Beweise für ihre längst verinnerlichte These vom Kampf der Kulturen zu finden. Die Debatte wird instrumentalisiert, und viele Medienvertreter wähnen sich schon im "Feldzug für die Pressefreiheit".
Auf der anderen Seite sieht die islamische Welt ihr monolithisches Bild eines blasphemischen und von Islamphobie geprägten Europas bestätigt und meint nun, ein Exempel statuieren zu müssen.
Die Debatte um Ursache und Wirkung gerät in den Hintergrund, Emotionen und Ressentiments beherrschen das Klima, und jeder will dem anderen besserwisserisch seine Sicht der Welt aufdrücken und obendrein – welch verrückter Gedanke – dies auch noch als Kulturdialog begreifen.
Doch der Dialog der Kulturen kann nicht destruktiv und verteidigend geführt werden.
Es ist natürlich selbstverständlich, dass Religion kritisiert werden kann, ja ihre Anhänger, wenn nötig, kritisiert werden müssen. Um die Abbildung oder Nichtabbildung des Propheten geht es dabei aber schon lange nicht mehr.
Aber bedeutet das Recht auf freie Meinungsäußerung a priori Blasphemie und die Zementierung von Vorurteilen? Ist die Strategie der Provokation einziges Stilmittel, wie wir uns zukünftig den kritischen Dialog mit den Muslimen vorstellen?
Die "Huntingtons" sind die Sieger
Die Empörung, die nun die islamische Welt wegen der Karikaturen erfasst, wird geschickt als Zeichen eines Kampfes gegen die Pressefreiheit umgedeutet. Wohlgemerkt: Empörung – auch ein Menschrechrecht.
Die Drohungen gewaltbereiter muslimischer Hooligans gehören natürlich entschieden von allen abgelehnt und verurteilt. Sie werden uns aber überproportional via Bildschirm serviert und erwecken den Eindruck, als stünde ein Haufen meuternder Truppen vor den Toren Europas und wollte die Pressefreiheit abschaffen.
Dieses Bild entspricht nicht der Realität. Ganz im Gegenteil, diese Gesellschaften wünschen sich nichts sehnlicher als Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit, die in ihren eigenen Ländern kaum existieren.
Pressefreiheit und die Achtung vor der Religion - ein Blick in das Grundgesetz zeigt, wie wunderbar beides sich nicht gegenseitig aufheben muss, sondern ergänzen kann.
Doch jetzt werden sie als Gegensätze von selbsternannten Barrikadenkämpfern aufgebauscht. Es gibt auch schon Sieger: die Huntingtons auf beiden Seiten. Und wo bleiben die Vernünftigen, die Besonnenen?
Aiman A. Mazyek
© Qantara.de 2006
Qantara.de
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