"Beim Lachen braucht man keinen Dolmetscher!"
Senay ist die erste deutsch-türkische Stand-up-Comedian. Mit ihren Witzen über Deutsch-Türken, aber auch über unterschiedliche Kulturen verbindet sie ernste Themen mit Humor. Lachen fördert die Integration, glaubt die Künstlerin. Petra Tabeling hat sich mit Senay unterhalten.
Ein Ort in Thüringen. Ihr Kopftuch hat Senay heute Abend bei ihrem Gastauftritt nicht dabei. Vergessen. Aber das war ja auch ganz gut so, denn dann wäre sie wohl den rechtsextremen Glatzen aufgefallen.
Mit den Ostdeutschen könne sie sich auch sehr gut solidarisieren, schließlich stammt ihre Familie ja auch aus dem Osten – der Osttürkei. Und über die machen sich die eigenen Landsleute bekanntlich auch gerne mal lustig.
Mit charmantem Lächeln und unschuldigem Augenzwinkern steht die Deutsch-Türkin Senay vor einem Mikrofon und schafft es, das versammelte Publikum schnell für sich zu gewinnen. Ihre rhetorischen Spielereien mit Klischees über unterschiedliche Kulturen und Religionen bringen alle zum Lachen, Deutsche und Türken gleichermaßen.
Das berühmte Stück Stoff
Mit ihrer Comedy nimmt die Künstlerin den derzeit hitzig und emotional geführten Debatten über Islam und Integration den Wind aus den Segeln. Da wäre zum Beispiel das Kopftuch.
"Früher bin ich mit dem Kopftuch aufgetreten, weil ich zeigen wollte, dass wir auch damit lachen können", meint die 32jährige, die in Deutschland aufgewachsen ist. Senay stammt aus einem Elternhaus, das zwar nicht streng religiös ist, ihre Tochter aber traditionell erziehen wollte.
"Bis ich ungefähr 20 Jahre alt war, habe ich unter meiner Kultur gelitten. Ich habe sogar freiwillig ein Kopftuch getragen, damit mich mein Vater auf der Straße nicht erkennt, wenn ich zum Geburtstag meiner Freundin ging", erzählt Senay und lacht.
"Einmal wollte ich in die Jugenddisko. Und mein Vater erlaubte mir das nur, wenn ich dort ein Kopftuch aufsetzte. Er dachte, dass mich dann niemand anschauen würde. Aber ich habe ihm gesagt, dass mich damit alle erst recht anstarren würden. Das hat er dann auch eingesehen."
Dickköpfig sei sie in ihrer Familie gewesen, so Senay heute, aber durch ihre frühe Selbständigkeit und Ausbildung hat sie sich großen Respekt vor ihrer Familie erkämpft.
Senay hat viele Religionen und Kulturen kennen gelernt, in London und in den USA wo sie zeitweise lebte. Toleranz gegenüber anderen Entscheidungen und Lebensformen ist ihr daher besonders wichtig: "Freiheit heißt für mich, den anderen nicht einzugrenzen. Man sollte den anderen so leben lassen wie er will. Und wer ein Kopftuch tragen möchte, soll es tun."
Dazu gehört auch, andere Bräuche von Muslimen nicht vorschnell zu verurteilen. Beispiel Ramadan: "Ich habe mich auch erst darüber informieren müssen, was die wirkliche Bedeutung von Ramadan ist."
Der steinige Weg zum Comedy-Glück
Senay studierte Architektur in Duisburg, als ihr immer mehr bewusst wurde, dass andere zum Lachen zu bringen, eher ihren Fähigkeiten entsprach. Der Weg dorthin war steinig. Für eine Schauspielschule war sie nach dem Abschluss des Studiums, mit 27 Jahren, schon zu alt.
Zwei Jahre lang nahm sie privaten Unterricht.
Die Mühe zahlte sich aus, 2002 war sie zum ersten Mal bei VIVA in einer Comedy-Sendung zu Gast. Danach folgte ein Auftritt in einer Nachwuchssendung bei Sat 1, wo sie es in der Kategorie Comedy bis zur Endausscheidung schaffte. Auch mit Django Asül war sie bereits in einem Fernsehauftritt zu sehen.
Die Stärke, über sich selbst lachen zu können
Viele Jobs hat Senay gemacht, um sich und ihre Ausbildungen zu finanzieren. Davon profitiert sie heute. Ihre Witze sind aus dem Leben gegriffen, aus ihren alltäglichen Beobachtungen in Deutschland und aus dem Fundus der eigenen türkischen Verwandtschaft, die mehr als 30 Jahre in Düsseldorf lebt.
"Wenn meine Mutter nicht über das und auch sich selbst lachen kann, dann weiß ich, dass sie Probleme hat. Wenn man gleichberechtigt Witze übereinander macht, dann ist es schön. Es ist eine Stärke, über sich selbst lachen zu können. Ich lache ja auch über mich selbst."
Und dafür schlüpft Senay auch in ihre eigene deutsch-türkische Identität, "Wir Türken wirken nach außen hin stark und aggressiv und trotzdem kann man uns auch schnell zum Lachen bringen, wenn wir über uns oder über unsere Mütter reden."
Senay erzählt ihre Witze nicht aus deutscher Perspektive, sondern aus dem Leben ausländischen Frauen, mal als Italienerin, Inderin, Russin oder eben als Türkin.
Die Grenzen des Humors
Doch Humor hat auch Grenzen. "Ich würde z. B. nicht vor jedem Publikum afghanische Witze machen. Denn wie können wir ihre Emotionalität auf unsere übertragen? Das sind ganz andere Verhältnisse. Die Menschen leben in einem ungeordneten Staat. Wir müssen uns mit eigenen Maßen messen."
Mittlerweile gibt es einige Comedians mit deutsch-türkischer Herkunft, die sich mit ihren Witzen auch neue Grenzen setzen. Kaya Yanar aus der Fernsehshow "Was guckst du?" zum Beispiel.
Einen Kollegen, den Senay für seine Grenzgänge bewundert: "Die Hälfte seines Publikums sind Türken. Er kriegt trotzdem keinen auf die Nase und wird nicht bedroht. Er macht das sehr gut, aber das würde ich beispielsweise nicht mehr machen. Das geht für mich zu weit."
Direkt, sympathisch und natürlich kommt Senay auf der Bühne rüber. "Hätte ich Schauspielunterricht gehabt, dann wäre ich nicht so locker. Bei Stand-Up muss ich interaktiv sein, das Publikum anschauen und die Reaktionen wahrnehmen."
"Wenn ich auftrete, dann rufe ich Jesus, Maria und Buddha zusammen, Moses ist auch herzlich willkommen und dann bitte ich sie: 'Helft mir, ich bin aufgeregt!' Und das hilft mir dann."
Oscarreif: Lachen bedarf keiner Sprache
Lachen ist für Senay das Größte, denn Lachen benötigt keine Sprache. "Selbst für Tiere gibt es unterschiedliche Übersetzungen. In der Türkei sagt man z. B. zum Esel "ai-ai" und in Deutschland "i-a". Zum Lachen braucht man keinen Dolmetscher. Aber ich respektiere, wenn jemand eine andere Auffassung von Humor hat."
Derzeit arbeitet Senay an einem Stück zum Thema "Deutschländer" – eine Parodie auf Türken, die in Deutschland leben, aus der Sicht ihrer Landsleute. Damit möchte sie auch in türkischen Gefängnissen touren und das Stück Straßenkindern in Istanbul vorführen.
"Einen Menschen zum Weinen zu bringen ist ganz einfach. Wenn ich Menschen mit gegensätzlichen Auffassungen in einem Raum zum Lachen bringe, dann habe ich etwas erreicht. Ich würde mir selbst einen Oskar verleihen, wenn ich es schaffe, alle zum Lachen zu bringen."
Petra Tabeling
© Qantara.de 2004
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