"Auf ein positives und friedliches Gleis"
Herr Dr. Mulack, Sie sind Islam-Beauftragter des Auswärtigen Amtes. Sie sind der erste, der diese Position inne hat - seit wann gibt es den Posten?
Dr. Gunter Mulack: Der Posten ist in der Folge des 11. September von Außenminister Fischer eingerichtet worden; ich selbst habe ihn dann endgültig im Mai 2002 angetreten. Ich bin Beauftragter speziell für den Dialog mit der islamischen Welt und soll dazu beitragen, dass wir neben der Bekämpfung des Terrorismus auch versuchen, verstärkt die Ursachen für den Terrorismus zu ergründen und nach Wegen zu suchen, wie wir die Beziehungen mit der islamischen Welt verbessern können.
Was haben Sie konkret bisher getan und was sind die Pläne?
Mulack: Ich habe einen Arbeitsstab für den Dialog mit der islamischen Welt, der mir zur Seite steht. Wir haben bisher 26 Dialog-Referenten oder Islam-Beobachter an den verschiedensten Auslandsmissionen in islamischen Staaten positioniert, ich habe an vielen Konferenzen und Workshops teilgenommen, wir haben einen Etat von fünf Millionen Euro für den europäisch-islamischen Kulturdialog, aus dem wir zusammen mit den Mittlerorganisationen oder über die Mittler wie DAAD, Goethe-Institut und andere versuchen, den Dialog zu intensivieren und auch aktiv Projekte abzuwickeln.
Was wäre ein typisches Projekt, das Sie unterstützen?
Mulack: Da sind zum Beispiel alle Projekte, die dazu dienen, die Zivilgesellschaft in den islamischen Gesellschaften zu unterstützen. Also Nichtregierungsorganisationen, Frauenprojekte - um auch die Stellung der Frauen zu verbessern -, Projekte in der Zusammenarbeit mit jungen oder künftigen Eliten in diesen Ländern.
Sind das direkte Kontakte mit den jeweiligen Ländern oder handelt es sich um Kontakte mit NGOs dort oder NGOs hier, die dort etwas tun wollen?
Mulack: Wir haben da einen sehr vielseitigen Ansatz: Wir haben sowohl Direktkontakte mit den Ländern selbst - wir wollen ja im Einvernehmen mit den Gastländern arbeiten -, bevorzugen aber natürlich auch Direktkontakte in die dortigen Gesellschaften hinein: also zu NGOs, Universitäten oder einzelnen Persönlichkeiten in den jeweiligen Ländern. Und nutzen dazu die deutschen Mittler, aber natürlich auch deutsche NGOs, die sich in diesen Gebieten bereits engagiert haben.
Als Diplomat werden Sie sicher keine Klassifizierung vornehmen können, wie empfangsbereit der eine oder andere ist. Aber insgesamt gesehen: Wie ist die Akzeptanz dieser Bemühungen auf der anderen Seite?
Mulack: In allen Staaten, die ich bisher besucht habe und mit denen wir Kontakte haben, und auch von den Botschaften der islamischen Staaten hier in Berlin ist diese Initiative einhellig begrüßt worden. Manche wollen vielleicht nur eine Verstärkung des kulturellen Dialogs haben, wir aber sehen natürlich mehr darin: Es geht auch darum, Hilfestellung zu geben bei der Bewältigung den Problemen der Modernisierung für die islamische Welt.
Es gibt ja Länder, wie der Iran zum Beispiel, die sagen: Wir wollen einen kulturellen Dialog. Und sie wollen ihn beschränkt wissen auf Literatur, auf Schöne Künste und einiges andere mehr. Wie überbrückt man dann diese Kluft zwischen Goethe und Menschenrechten?
Mulack: Das ist natürlich die Kunst der Diplomatie. Sicherlich setzen wir an im kulturellen Bereich, aber man muss auch sagen, dass in vielen dieser Staaten, wo es an Demokratie fehlt, die Bereiche Film, Kunst durchaus auch Wiesen sind, auf denen sich die Intellektuellen, die kritisch dem System gegenüber stehen, sehr erfolgreich bewegen. Auch das nutzen wir natürlich aus. Aber wir machen natürlich dem Regime oder den Regierungen der Länder klar, dass es letztlich in ihrem Interesse ist, wenn sie mehr tun, sich auf die Moderne hin zu entwickeln, sich zu öffnen, Pluralität zuzulassen und damit doch dem weit verbreiteten Wunsch ihrer Gesellschaften zu entsprechen.
Indem Sie sich mit dieser Thematik beschäftigen, betrachten Sie ja sicher auch die Zustände in Deutschland und in Europa. Sind wir denn bereit, das zu tun, was wir von der islamischen Welt verlangen? Öffnen wir uns denn tatsächlich? Öffnet sich unsere Gesellschaft?
Mulack: Das ist eine kritische und richtige Frage, die Sie hier stellen. Natürlich wird es auch an uns liegen, den bei uns lebenden muslimischen Mitbürgern und Mitbürgerinnen einen Platz in dieser Gesellschaft einzuräumen, sie besser zu integrieren und ihnen zu helfen, die Probleme zu überwinden, die sie natürlich finden. Andererseits müssen wir auch feststellen, dass in weiten Kreisen der Bevölkerung der Islam - den gibt es ja nicht als solchen, aber trotzdem - das neue Bedrohungsszenario für viele Menschen geworden ist.
Arbeiten Sie deswegen auch in die deutsche Gesellschaft hinein oder - Stichwort Auswärtiges Amt - eben nur nach außen?
Mulack: In erster Linie arbeiten wir nach außen. Wir arbeiten aber auch gerade mit dem Innenministerium, das für die inneren Bereiche zuständig ist, sehr eng in Arbeitsgruppen zusammen. Auch mit dem Bundeskanzleramt und mit allen hier Tätigen - Kultusministerkonferenz und anderen Bereichen - wo wir natürlich unser Fachwissen dazu beisteuern wollen, damit wir hier im Kontakt und im Dialog mit der muslimischen Gemeinschaft oder den Gemeinschaften in Deutschland besser vorankommen in Bezug auf Integration in unser demokratisches Staatswesen.
Sie sagten es ja schon: Ausgelöst wurde dies vorwiegend durch den 11. September. Aber Konflikte und Probleme im Miteinander mit dem Islam hat es immer - oder lange - schon gegeben. Hat man da geschlafen? Hat man da Dinge versäumt in der Vergangenheit?
Mulack: Ich glaube nicht. Man hat ja auch immer diesen Dialog gehabt; wir haben schon einmal einen europäisch-arabischen Dialog gehabt, der natürlich dann irgendwann einmal 'versandet' ist. Vielleicht haben wir uns nicht genügend auf diese gesellschaftlichen, sozialen Probleme konzentriert, die in der Dritten Welt allgemein und besonders in der islamischen Welt entstanden sind. Der UNDP-Report über 'Arab Human Development' ist ja zu einer vernichtenden Aussage gekommen: Man sieht, dass die arabische Welt in vielen Bereichen - Bildung und Wissenschaft - völlig zurückgefallen ist. Und das sind natürlich Probleme der Bildung, der Ausbildung, des Wissens und des Verständnisses. Ich glaube, da müssen wir einfach jetzt wesentlich engagierter herangehen. Im Zeitalter der Globalisierung ist die Welt ein Dorf geworden. Wir sind enger zusammengerückt. Durch die Möglichkeiten auch der Satellitenübertragung von Fernsehprogrammen in alle Staaten wissen die Menschen viel mehr Bescheid, was auf der Welt passiert. Ich glaube, in diesem 'global village' müssen wir umdenken und eine andere Politik verfolgen.
Aber in diesem 'global village' - und in der islamischen Welt ganz besonders - ist man darauf bedacht, sich abzugrenzen gegenüber dem Westen, und man sieht in der Globalisierung eine große Gefahr des westlichen 'Kulturimperialismus' oder wie auch immer man das bezeichnen mag. Wie können Sie die Gegenseite davon überzeugen, dass unsere Absichten lauter sind?
Mulack: Gut, wir können nur unsere Hilfe anbieten. Wir können sie nicht aufzwingen. Und wir können die Gegenseite dadurch überzeugen, dass sie, wenn sie diese Maßnahmen, angesichts der vielen Probleme, die sie haben, wie etwa das Bevölkerungswachstum - 60 Prozent der Bevölkerung sind unter 25 Jahren jung - oder die mangelnde Aussicht auf Arbeitsplätze, nicht ergreifen, dass sich dann dort wirklich eine soziale und auch politische Katastrophe in vielen dieser Staaten anbahnt, wenn sie nicht in der Lage sind, diese gesellschaftlichen Probleme in den Griff zu bekommen. Und da meine ich, dass es auch in unserem Interesse ist, in einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit zu versuchen, gemeinsam diese Probleme friedlich zu bewältigen.
Also keine Bevormundung...
Mulack: Nein. Keine Bevormundung. Anbieten von Rat und auch von Zusammenarbeit. Aber wir können das nicht erzwingen dort. Wir wissen aber, dass oft in diesen Staaten die Menschen - die Gesellschaft - ganz anders denken als die Machthaber. Und wir müssen auch die Machthaber daran erinnern, dass es in unserer Zeit darauf ankommt, im Rahmen von demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten der Gesellschaft und der Bevölkerung eine Chance einzuräumen, ihre eigene Zukunft mitzugestalten.
Zum Schluss: Sie üben dieses Amt seit noch nicht einem Jahr aus. Wie ist Ihr Empfinden - wie lange wird es dieses Amt geben müssen: Ist es eine Dauereinrichtung oder ist es eine vorübergehende Einrichtung?
Mulack: Ich hoffe, es wird eine längerfristige Einrichtung werden, die jetzt natürlich aus der Katastrophe des 11. September entstanden ist. Ich meine aber, dass eine der wichtigsten Herausforderungen in der Zukunft - auch sicherheitspolitisch - für Europa der Umgang mit der Islamischen Welt sein wird - angesichts der dort vorhandenen Tendenzen, nicht nach vorne in die Moderne zu gehen, sondern rückwärts - fundamentalistisch sozusagen - auf frühere Zeiten zurückzugreifen. Ich glaube, es ist eine ganz wichtige Herausforderung - nicht nur für Deutschland, sondern für die EU im gesamten - dieses Verhältnis zu der islamischen, uns benachbarten Welt auf ein positives und friedliches Gleis zu stellen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Peter Philipp von der Deutschen Welle.
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