Bombe im Turban
"Weil wir starke Befürworter religiöser Freiheit sind und weil wir das Recht eines jeden Menschen auf freie Religionsausübung respektieren, käme es uns nicht in den Sinn, jemanden wegen seiner Religion zu beleidigen", so Carsten Juste, Chefredakteur der dänischen Zeitung "Jyllands-Posten". Carsten Juste gibt sich zerknirscht: In einem "offenen Brief an muslimische Mitbürger" versucht Juste Ende Januar, Wogen zu glätten, die ihren Ursprung Ende September nahmen, inzwischen aber immer gewaltiger und unkontrollierbarer zu werden drohten.
Saudi-Arabien, Libyen und Kuwait haben ihre Botschafter aus Dänemark zurückgerufen und in Teheran wie Bagdad wurden die dänischen Diplomaten ins Außenministerium zitiert, in Gaza wurde ein Büro der EU gestürmt, täglich schließen sich weitere arabische und islamische Staaten einem Boykottaufruf für dänische Erzeugnisse an, und das Kopenhagener Außenministerium warnt seine Bürger vor Reisen in Länder wie Saudi-Arabien.
Mit spitzer Feder
Auslöser für diese Aktionen war die Veröffentlichung von zwölf Karikaturen in "Jyllands-Posten" Ende September, in denen die Zeitung in einer wahnwitzigen Aktion "testen" wollte, wie weit man gehen könne. Objekt der Karikaturen war nämlich der Prophet Mohammad, und was da mit spitzer Feder gezeichnet wurde, war nicht gerade schmeichelhaft und erst recht nicht geeignet, den Frieden zwischen den Religionen zu fördern.
Unter anderem wurde der Prophet – dessen Darstellung im Islam strikt verboten ist – mit einem bombenähnlichen Turban gezeigt. Eine Botschaft, die auch unter gemäßigten Muslimen Zorn auslöste, weil hier nicht nur Mohammad verunglimpft, sondern mit ihm der Islam insgesamt dem Terrorismus gleichgestellt wurde.
Der Chefredakteur von "Jyllands-Posten" meint nun, vielleicht sei die Initiative der Karikatur-Veröffentlichung "auf Grund kultureller Missverständnisse als Kampagne gegen Muslime in Dänemark und dem Rest der Welt interpretiert worden". Das sei nicht der Fall. Man habe nichts dergleichen beabsichtigt und man bedaure, wenn unabsichtlich die Gefühle von Muslimen verletzt worden seien. Eine Entschuldigung, die von muslimischen Verbänden in Dänemark inzwischen akzeptiert wurde. Nicht aber – vorerst – von arabischen und muslimischen Staaten.
Mobilmachung gegen den Westen
Und hier beginnt die zweite Dimension des Skandals: Gewissen Kreisen in der muslimischen Welt scheint der Vorfall eine willkommene Gelegenheit zu sein, am dänischen Beispiel dem Westen insgesamt Überheblichkeit und Unempfindlichkeit gegenüber dem Islam vorzuwerfen. So wurden die umstrittenen Karikaturen aus "Jyllands-Posten" – die auch in einer norwegischen Zeitung abgedruckt worden waren – inzwischen in der muslimischen Welt verbreitet. Und es kamen noch andere hinzu, deren Ursprung unbekannt ist und von denen Carsten Juste sagt: "Wir hätten die nie veröffentlicht, weil sie unseren ethischen Kodex verletzen".
Verschärft wurde der Streit aber auch durch ein gründliches Missverständnis auf Seiten der Protestierer: Arabische Regierungen forderten eine Entschuldigung der dänischen Regierung und die arabischen Innenminister forderten Kopenhagen aus Tunis auf, die Autoren der Karikaturen zu bestrafen. Die Reaktion machte den Fall nur noch schlimmer: Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen distanzierte sich zwar von der Veröffentlichung der Karikaturen, er verwies aber auf das verbriefte Recht aus Presse- und Meinungsfreiheit. Und auch in Norwegen reagierte man ähnlich auf die Forderungen nach politischer Maßregelung der Verantwortlichen.
Die Wut auf arabischer Seite stieg, und ein saudischer Kommentator verstieg sich gar in die Behauptung, es sei nun doch mehr als klar, dass der Westen den Islam als Feind behandle: Wer in westlichen Medien den Holocaust leugne, der werde bestraft, wer aber den Islam und seinen Propheten verunglimpfe, der bleibe straffrei. Mangelnde Kenntnis und absichtliche Verteufelung der Gegenseite ergänzen sich in diesem Fall wieder einmal. So wie vor Jahren, als Rudi Carell in einem eher geschmacklosen TV-Sketch den iranischen Revolutionsführer Khomeini lächerlich machte und Teheran es daraufhin zur politischen Krise mit der Bundesrepublik kommen ließ.
Anspruch auf Schutz vor Verunglimpfung
Gleichzeitig aber muss man in den säkularen Gesellschaften des Westens das Verhältnis von Staat und Religion wohl doch erneut überdenken. Wie bereits nach dem Mord am niederländischen Filmemacher Theo van Gogh diskutiert, muss zumindest darüber nachgedacht werden, ob bestimmte Rechte wie Presse- und Meinungsfreiheit wirklich uneingeschränkt bleiben dürfen oder ob sie – wie jede andere Freiheit auch – ihre Grenze dort finden, wo die Freiheit des nächsten betroffen ist. In diesem Fall: Die Freiheit auf freie Religionsausübung und der Anspruch von Minderheiten auf Schutz vor Verfolgung, Unterdrückung oder auch nur Verunglimpfung.
Eine religiöse Minderheit – und das sind die Muslime in den westlichen Demokratien – hat Anspruch auf Schutz vor solchen Anfeindungen, und die Mehrheit hat eine Pflicht, solchen Schutz zu gewähren. Sonst taugen die hehren Grundsätze der Demokratie wenig. Liberale Denker sehen hierin natürlich eine Gefahr.
Wie etwa die linke "tageszeitung" in Berlin, die in einem Kommentar schreibt, eine Garantie könne es nicht geben, dass Vorfälle wie in Dänemark sich nicht wiederholen: "Das ist eine unerfüllbare Forderung, sollen nicht Pfarrer, Imame oder Rabbiner darüber bestimmen, was wir lesen, hören oder sehen dürfen. Diese religiösen Autoritäten haben sich schließlich lange genug als formidable Unterdrücker der Meinungsfreiheit erwiesen".
Peter Philipp
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