Die bevormundete Minderheit
Man nennt sie gern "säkulare Muslime". Kein Mensch weiß genau, was das ist. Wenn es bedeutet, dass sie für die Trennung von Staat und Religion plädieren, dürften die allermeisten Muslime in Deutschland säkular sein bis in die Knochen.
Wenn es allerdings heißt, dass sie nicht an den Islam glauben, nur einen türkischen oder arabischen Namen tragen – wieso nennt man sie dann Muslime? Das deutsche Innenministerium jedenfalls, als Gastgeber der Deutschen Islamkonferenz, ist ganz verliebt in "säkulare Muslime".
Unter Thomas de Maizière scheint das nicht anders zu sein als vorher unter Schäuble. Der hatte die türkischstämmigen Publizistinnen Necla Kelek und Seyran Ates in die Islamkonferenz gesetzt, wo sie, die den Islam pauschal als primitives patriarchales System ablehnen, ihre Energien konsequenterweise mehr in den Kampf gegen die Verbände als in die Zusammenarbeit mit ihnen investierten.
Fragwürdige Teilnehmer
Diese beiden "Islamkritikerinnen" sollen künftig nicht mehr teilnehmen, allerdings weiterhin beraten und die Konferenz bei ihren öffentlichen Auftritten begleiten. Wozu? Haben sie mit ihren bisherigen Plattitüden und Verunglimpfungen den Muslimen in Deutschland das Leben nicht bereits schwer genug gemacht?
Weil jeder konservative Innenminister stets von der Sorge geplagt zu sein scheint, die rechten Wähler könnten ihm eine allzu konsequente Allianz mit muslimischen Muslimen verübeln, leistet sich de Maizière noch ein paar neue, eigene säkulare Muslime. Dazu hat er unter anderem Hamed Abdel-Samad eingeladen, der bei Internetrechten sehr beliebt ist und ab Ende des Jahres gemeinsam mit dem populistischen Islamkritiker Henryk M. Broder in der ARD erscheint.
Außerdem sind zwei kurdischstämmige Einzelpersonen berufen, beide engagiert und erfahren. Nur: Bisher haben sie sich nie öffentlich und von sich aus mit dem Islam identifiziert. Im Gegenteil, die Rechtsanwältin Gönül Halat-Mec hat in Frankfurt sogar einen Verein für progressive türkischstämmige Frauen mitbegründet, die sich explizit nicht ständig als Musliminnen adressiert fühlen wollen. Solche Initiativen sind löblich und wichtig.
Einmal Muslim, immer Muslim?
Nur: Wieso lädt man solche Personen dann wieder in eine Islamkonferenz? Einmal Muslim, immer Muslim? Überhaupt wird bei der Islamkonferenz die Welt so einfach aufgeteilt wie einst in Bayern in der Dorfkirche. Hier Männlein, dort Weiblein. Für die Islamkonferenz: Hier fünfzehn Mal Staat. Dort fünfzehn Mal Muslim.
Dass es Überschneidungen geben könnte – einen muslimischen Bürgermeister oder Minister – kommt anscheinend keinem in den Sinn. Ist ja auch völlig unrealistisch. Ein Armutszeugnis für ein Land, das angeblich eingesehen hat, dass es ein Einwanderungsland ist. Die Deutsch-Deutschen bitte auf die politische Seite. Der Rest, die mit den komischen Namen, kommen dann auf die muslimische Bank.
Es liegt etwas zutiefst Bevormundendes, sogar Undemokratisches in dieser Art der Besetzungspolitik. Das Ministerium berät, hinter verschlossenen Türen. Die Muslime warten ab, wer sie vertritt.
Natürlich betont man offiziellerseits: "Die Deutsche Islamkonferenz ist nicht die Vertretung der Muslime Deutschlands, sondern die zentrale Plattform des deutschen Staates für den Dialog mit Muslimen in Deutschland."
Doch das ist ein schwer verständliches Zwitterkonstrukt. Wie kann man in der Islamkonferenz einen Dialog mit den deutschen Muslimen führen, wenn die dort Anwesenden keine Vertreter der Muslime, von diesen weder gewählt noch vorgeschlagen, und teilweise nicht einmal selbst-identifizierte Muslime sind?
Hilal Sezgin
© Qantara.de 2010
Der Kommentar wurde am 11. März 2010 in der WDR5-Sendung Politikum ausgestrahlt.
Hilal Sezgin lebt als freie Autorin bei Hamburg. Im Frühjahr erscheint ihr Roman "Mihriban pfeift auf Gott".
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
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