Rebellion eines Meisters
Sein Prinzip war es stets, sich aus der Tagespolitik herauszuhalten. Aber jetzt ist ihm offenbar doch der Kragen geplatzt: Mohammad-Resa Schadscharian.
Angesichts Dutzender toter Demonstranten und Tausender Inhaftierter im Verlauf der Niederschlagung der Demokratiebewegung im Iran, will er, einer der berühmtesten Sänger der klassischen persischen Musik, dessen Stimme wohl mehr als jede andere im Iran verehrt wird, nicht mehr schweigen.
Mohammad-Resa Schadscharian hat dem iranischen Staatsrundfunk verboten, seine Musik zu senden.
"Nach dem, was passiert ist, habe ich gesagt: 'Schluss!' und mit einer Klage vor Gericht gedroht, falls der staatliche Rundfunk sich weiterhin meiner Musik bedient", sagte Schadscharian der Nachrichtenagentur Associated Press.
Kaum jemand anderes als "der Meister" ("Ostad"), dessen Popularität im Iran mit der der legendären Sängerin Umm Kulthum vor 40 Jahren in der arabischen Welt vergleichbar ist, hätte sich unbeschadet einen solchen Affront gegen das wichtigste Propagandainstrument der Islamischen Republik leisten können. Schließlich wird der Chef des staatlichen Rundfunks und Fernsehens von Revolutionsführer Ayatollah Khamenei persönlich ernannt.
In den vergangenen Monaten standen Radio und Fernsehen an der vordersten Front der psychologischen Kriegsführung des Regimes gegen das eigene Volk: Die durch vorherige Folter erzwungenen Geständnisse bekannter Wortführer der Reformbewegung, etwa des früheren Vizepräsidenten Mohammad-Ali Abtahi, wurden immer wieder übertragen.
Umso beachtlicher ist der Schritt Schadscharians. Bemerkenswert ist, dass sich der Staatsrundfunk bislang an die Aufforderung des Musikers gehalten hat.
Spektakulärer Schlag gegen die Machthaber
Schadscharian versetzt der seit den umstrittenen Wahlen am 12. Juni ohnehin stark erodierten Legitimität des Staates einen Aufsehen erregenden Schlag, denn er genießt bei den Iranern im In- und Ausland eine ganz eigene Autorität, die auf seinem musikalischen Können, seiner Persönlichkeit und seinem Charisma beruht.
Er ist der meistgehörte Musiker im Iran. Bei seinen Konzertreisen füllt er die großen Säle von Paris, London und Berlin. Vor der Vereinnahmung durch politische Kräfte hat sich der 69jährige immer gehütet. Er hat seine Aufgabe auch nie darin gesehen, der Gesellschaft einen kritischen Spiegel vorzuhalten.
Von seiner Rolle als Künstler hat er eine klare Vorstellung: Er will der Gesellschaft eine Stimme verleihen, ihre Gefühle und Regungen aufgreifen und in sublimer Form widerhallen lassen. Das entfaltet Sprengkraft in dem Moment, wo sich die Gesellschaft als Ganzes erhebt.
Als Schadscharian im September in Berlin mit seinem Ensemble als "Zugabe" das alte Revolutionslied "Freund, komm mit...ohne gemeinsamen Kampf werden wir die Härte des Lebens nicht überwinden" vortrug, kannten die Emotionen des überwiegend iranischen Publikums keine Grenzen.
"Rückbesinnung auf das kulturelle Selbst"
Seine Stellung hat sich Mohammad-Resa Schadscharian über Jahrzehnte hinweg durch Fleiß und Hingabe an die Kunst erarbeitet. In den 1960er und 1970er Jahren war er Teil einer "Rückbesinnung auf das kulturelle Selbst", wie der Kunstkritiker Faradsch Sarkohi schreibt.
Musikalisch bedeutete dies, dass das persische Streichinstrument Kamanche die Geige, Tar und die Setar die Gitarre und der Santur das Klavier ersetzten.
Schadscharian und andere schufen eine lebendige persische Musikkultur, die sich nicht als elitär verstand, sondern alle Menschen ästhetisch und moralisch bilden sollte: "Die Kunst hat der Schönheit zu dienen. Schönheit ruft Liebe und Leidenschaft hervor. Liebe und Leidenschaft halten den Menschen von Fehltritten ab und lassen ihn nach höheren Werten streben", hatte er einmal gesagt.
Damals eckte Schadscharian erstmals bei dem vom Schah kontrollierten Staatsrundfunk an, dem er die Verbreitung schlechter Popmusik ankreidete. Zwei Jahre später fiel das vom Westen unterstützte Schah-Regime.
Seinen unauflösbaren Bund mit dem Volk schloss Mohammad-Resa Schadscharian während der langen Jahre des Krieges gegen den Irak, die einhergingen mit einer brutalen Unterdrückung im Innern durch die neuen islamistischen Machthaber.
Sehnsucht nach Frieden
In dieser Zeit vertonte er eine wohl getroffene Auswahl von Gedichten des Klassikers Hafes, in denen von Finsternis, verlorener Freundschaft und der Sehnsucht nach Frieden die Rede ist. Es wurde die meistverkaufte Musikproduktion aller Zeiten im Iran. Seitdem ist Schadscharian im kollektiven Bewusstsein die Stimme eines tief verwurzelten, unterdrückten, aber lebendigen Humanismus.
In der Islamischen Republik ist seine schiere Präsenz politisch, weil er entgegen herrschender religiöser Lehrmeinungen für die gesellschaftliche Anerkennung der freien Kunst und der Musik eintritt.
"Die größte politische Tat der iranischen Künstler besteht darin, der Kunst Ansehen zu verschaffen", meint Schadscharian, der im Inland lediglich in Ausnahmefällen die Erlaubnis für Konzertauftritte bekommt.
Eine solche gab es etwa nach dem schweren Erdbeben von Bam Ende 2003. Bitter ironisch notierte die inzwischen verbotene reformorientierte Zeitung Sharq, dass die iranischen Behörden ein Schadscharian-Konzert nur unter dem Vorwand einer Naturkatastrophe erlauben.
Es war bekannt, dass Schadscharian seit langem einen tiefen Groll gegen das Bestreben der Machthaber hegt, das musikalische Schaffen im Land durch Verbote immer mehr zu unterdrücken.
Daher entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass er seinen Protest gegen die Brutalität des Regimes unter Präsident Ahmadinedschad nun ausgerechnet mit der Forderung verbindet, seine Musik nicht mehr im Staatsrundfunk zu übertragen.
Für die nahe Zukunft spricht Schadscharian bereits von "harten Auseinandersetzungen" zwischen Kulturschaffenden und Machthabern. Und es besteht kein Zweifel daran, dass seine Worte und Taten die Protestbewegung im Iran beflügeln werden.
Stefan Buchen
© Qantara.de 2009
Stefan Buchen arbeitet für das ARD-Magazin Panorama und ist freier Autor bei arte. Er berichtete u.a. aus dem Iran und dem Irak, aus Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten.
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