Strahlende Zukunft
Nicht nur in Deutschland interessiert sich die Politik wieder für die Atomenergie. Auch Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Jordanien und Saudi-Arabien streben nach der Nutzung der Kernkraft; Algerien, Libyen und Marokko haben ebenfalls Interesse signalisiert. Werden die Pläne umgesetzt, wird es mittelfristig zum Bau zahlreicher Atomkraftwerke in der Region kommen – und das, obwohl sich die arabischen Länder als künftige Solarstrom-Exporteure zu positionieren versuchen.
Am weitesten fortgeschritten mit ihren Atom-Plänen sind die Vereinigten Arabischen Emirate: Im Eiltempo haben sie einem südkoreanischen Konsortium den Zuschlag für den Bau und Betrieb von vier Reaktoren erteilt, die zwischen 2017 und 2020 in Betrieb gehen sollen. Weitere Meiler sollen folgen.
In einem Grundsatzpapier von 2008 sagte die Regierung bis 2020 einen Anstieg des Strombedarfs um mehr als 150 Prozent vorher. Um Sorgen des Auslands über eventuelle militärische Hintergedanken zu zerstreuen, verpflichteten sich die VAE, auf die kritischen Technologien zur Anreicherung und Wiederaufbereitung zu verzichten. Dafür ernteten sie internationales Lob.
Uranvorkommen in Jordanien
In Ägypten hat Präsident Husni Mubarak Ende August den Startschuss für den Bau des ersten von geplanten vier Atomkraftwerken gegeben, das bis 2019 errichtet werden soll. Der Entscheidung war eine lange und heftige Diskussion vorausgegangen - allerdings nicht um die grundsätzlichen Vor- oder Nachteile der Stromgewinnung aus Kernenergie, sondern um den Standort des Atomkraftwerks.
Dieses soll an der Mittelmeerküste, etwa 200 Kilometer von Alexandria entfernt errichtet werden. Einigen politisch einflussreichen Großunternehmern, die in dieser Gegend Baugrund zur Errichtung von Ferienanlagen erworben hatten, drohen nun hohe Verluste – weshalb sie mit allen Mitteln gegen das Atomprogramm der Regierung mobil machen.
Jordanien will bis 2030 ein Drittel seines Strombedarfs aus der Atomenergie decken und dazu vier Kraftwerke bauen. Für einen ersten 1000-Megawatt-Reaktor wird derzeit ein Standort nahe Aqaba am Roten Meer geprüft.
Dem Land kommen eigene Uranvorkommen zugute, die derzeit erkundet werden. Sie sollen sowohl die eigenen Meiler befeuern als auch ins Ausland geliefert werden. Für Misstöne mit den USA sorgt hinter den Kulissen aber offenbar der Wunsch des Landes, sich die Option einer eigenen Anreicherung offen zu halten.
Atomenergie zur Meerwasserentsalzung
Weniger konkret sind bislang die Pläne Saudi-Arabiens. Nach mehreren Machbarkeitsstudien kündigte das Königreich Ende 2006 lediglich seine Teilnahme an einer Initiative an, den gemeinsamen Einstieg in die Atomenergie im Rahmen des Golfkooperationsrates zu prüfen.
Als Hauptmotiv für ihr plötzlich erwachtes Interesse an der Atomkraft verweisen die arabischen Länder auf einen massiv steigenden Energiebedarf durch das Bevölkerungswachstum, dem zunehmenden Lebensstandard und einem anhaltenden Wirtschaftswachstum.
Dazu kommt die Wasserknappheit in den Wüstenstaaten: Mit der Atomenergie soll Meerwasser entsalzt werden. Schon jetzt gewinnen die Golfstaaten fast ihr gesamtes Süßwasser auf diese Weise, und die Methode wird auch in Jordanien und Ägypten an Bedeutung zunehmen.
Auch wollen die VAE und Saudi-Arabien ihr Erdöl lieber teuer ins Ausland verkaufen, als es selbst zur Stromgewinnung zu verfeuern. Ähnliches gilt für Ägypten und sein Erdgas. Jordanien wiederum will unabhängiger von Energieimporten werden.
Ein weiteres Motiv dürfte die Konkurrenz mit Iran und dessen Atomplänen sein. Obwohl keiner der arabischen Kernenergie-Aspiranten verdächtigt wird, aktuell nach Atomwaffen zu streben, scheinen vor allem Ägypten und Saudi-Arabien für den Fall der Fälle einen ersten Schritt in diese Richtung unternehmen und so auch symbolisch den Anschluss an den Rivalen Iran behalten zu wollen.
Gefahren für die Umwelt
Indes werden die mahnenden Stimmen von Umweltschützern und Energieexperten lauter. Sie kritisieren neben der ungeklärten Frage der Endlagerung, dass es in der arabischen Welt keine "Sicherheitskultur" gibt: Die Annahme, in einem Land wie Ägypten könne ein Kraftwerk so zuverlässig betrieben werden, wie es wegen der potenziell verheerenden Auswirkungen eines Atom-Störfalls nötig ist, widerspreche jeder praktischen Erfahrung.
Anlass zur Sorge gibt speziell für Ägypten und Jordanien auch die Frage der Erdbebensicherheit.
Umweltschützer in der Region sind sich aber der politisch aufgeladenen Bedeutung der Kernenergie bewusst und formulieren die Kritik entsprechend zurückhaltend. So hinterfragte der Herausgeber der pan-arabischen Zeitschrift "Umwelt und Entwicklung", Najib Saab, warum die Araber gerade die Kernenergie zum Gegenstand ihrer technologischen Aufholjagd mit dem Westen machen müssten.
In einem Gastkommentar für die Tageszeitung Al-Hayat kommt er zum Schluss: "Ist es nicht am Ende besser, alle verfügbaren Investitionsmittel in die erneuerbaren Energien, insbesondere Solar- und Windenergie, zu stecken, die sauber und sicher sind, bevor man in die Produktion von Kernenergie investiert?"
Deutlichere Kritik kommt aus dem Ausland: Greenpeace etwa bezweifelt den unterstellten Kostenvorteil von Atomstrom im Vergleich zur Nutzung erneuerbarer Energiequellen wie Sonne und Wind.
Das Konzept der VAE beispielsweise verwirft Wind- und Sonnenenergie als ungeeignet für die zuverlässige Erzeugung der benötigten Strommengen; bis 2020 könnte sie nur sechs bis sieben Prozent des in der Spitze benötigten Bedarfs sicherstellen.
Experten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt haben dagegen vorgerechnet, dass alternative Energiequellen - insbesondere Solarthermie-Kraftwerke - aufgrund ihrer zunehmenden Verbreitung in absehbarer Zeit konkurrenzfähig werden dürften, was sowohl die Kosten der Stromproduktion als auch die Leistungsfähigkeit angeht.
Wurzel des Problems
Doch das vielleicht entscheidende Problem der arabischen Energiepläne liegt anderswo: Diese setzen mit Hilfe einer höchst problemträchtigen Technologie einen auf die Dauer nicht tragfähigen Konsum- und Wirtschaftsstil fort, anstatt das Problem an der Wurzel zu packen.
Ein paar Beispiele: Die Einwohner der VAE leisten sich mit 550 Litern pro Kopf und Tag einen der weltweit höchsten Werte beim Wasserverbrauch, obwohl sie in einer der trockensten Weltgegenden leben; ein Problembewusstsein in dieser Frage ist Umfragen zufolge kaum vorhanden.
Saudi-Arabien hat mit billigem Erdöl, Gas und Ölprodukten notorisch energieintensive Branchen wie die Stahl-, Zement- und Aluminiumindustrie gefördert, die nun zum hohen Energiebedarf beitragen.
Jordanien könnte Umweltschützern zufolge durch effizientere Wassernutzung den akut vom Austrocknen bedrohten Jordan und das immer weiter schrumpfende Tote Meer stabilisieren. Stattdessen will es Milliarden Dollar in den Bau eines ökologisch fragwürdigen Kanals stecken, um vom Roten ins Tote Meer Wasser zu leiten, das dann mit hohem Energieeinsatz auch aus Atomkraftwerken entsalzt werden soll.
Neue Abhängigkeiten
Dies alles steht in einem kaum zu leugnenden Widerspruch zur Selbstdarstellung dieser Länder als Vorreiter beim Einsatz erneuerbarer Energien. "Saudi-Arabien strebt an, künftig so viel Solarenergie zu exportieren, wie es heute Öl exportiert", verkündete vergangenes Jahr der Ölminister des Königreichs, Ali al-Naimi.
Ägypten und Jordanien sind als Teilnehmer des Megaprojekts Desertec im Gespräch, das in großem Stil Solarstrom aus den sonnenreichen Staaten des Nahen Ostens sowie Nordafrikas nach Europa bringen soll. Besonders öffentlichkeitswirksam setzen sich die VAE mit dem Bau der "Null-Emissions-Stadt" Masdar City in Szene, in der im vergangenen Jahr ein Zehn-Megawatt-Solarpark ans Netz ging.
Tatsächlich könnten gerade die finanzstarken arabischen Länder den unumgänglichen Ausbau ihrer Strom-Infrastruktur nutzen, um sich eine gute Startposition bei immer wichtiger werdenden Zukunftstechnologien zu sichern.
Stattdessen wollen sie Milliardenbeträge in die Atomkraft pumpen und sich damit auf Jahrzehnte hinaus auf eine endliche Energiequelle festlegen, die ihnen neue Abhängigkeiten beschert.
Christoph Dreyer und Stephan Roll
© Qantara.de 2010
Christoph Dreyer ist Islamwissenschaftler und berichtet als freier Journalist über die arabische Welt. Stephan Roll ist Forschungsstipendiat bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de
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