Unterstützung mit Auflagen
Noch bis vor kurzem schien die grundsätzliche Positionierung der reichen Golfstaaten gegenüber Ägypten klar: Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Kuwait unterstützten nahezu bedingungslos das Militärregime von Abdel Fattah al-Sisi. Qatar hingegen stand auf der Seite der ägyptischen Muslimbruderschaft, deren demokratisch gewählter Präsident Mohammed Mursi im Juli 2013 vom Militär abgesetzt und verhaftet wurde. Mindestens 23 Milliarden US-Dollar in Form von Hilfszahlungen, Krediten und Kraftstofflieferungen haben die drei Unterstützerstaaten, vor allem Saudi-Arabien und die VAE, seitdem an das ägyptische Militärregime gezahlt.
Eine Interviewäußerung des langjährigen saudischen Außenministers Saud bin Faisal im vergangenen Februar ließ jedoch aufhorchen: "Wir haben kein Problem mit der Muslimbruderschaft. Unser Problem ist eine kleine Gruppe, die mit dieser Organisation verbunden ist." Das ist insofern bemerkenswert, da Saudi-Arabien die Muslimbruderschaft noch Anfang 2014 ganz im Sinne der neuen Führung in Kairo zu einer Terrororganisation erklärt hatte. Was war passiert und was bedeutet diese Neujustierung für Ägyptens Militärregime, das finanziell von den Hilfen der Golfstaaten abhängig ist?
Die feindliche Haltung des saudischen Regimes gegenüber den ägyptischen Muslimbrüdern hatte vor allem drei Gründe. Zum einen die ideologische Komponente: Während der vom saudischen Königshaus propagierte Wahhabismus Kritik aus der Bevölkerung an seinen Herrschern enge Grenzen setzt, sieht die Ideologie der ägyptischen Muslimbrüder politischen Aktivismus, (mit dem Fernziel, einen islamischen Staat zu errichten) ausdrücklich vor. Saudi-Arabiens Königshaus befürchtete daher, dass ein Aufstieg der Muslimbruderschaft in Ägypten dazu führen könnte, dass von der Bruderschaft inspirierte Oppositionelle sich auch in Saudi-Arabien gegen das Regime auflehnen könnten.
Keine "Ansteckungsgefahr" für saudische Opposition
Zum anderen hatte Saudi-Arabien aufgrund der seit Ende 2012 zunehmenden Polarisierung zwischen den Anhängern Mursis und seiner Gegner die Stabilität Ägyptens in Gefahr gesehen. Eine dritte Bedrohung machte Saudi-Arabien schließlich in der – wenngleich auch sehr vorsichtigen – Annäherung Mohammed Mursis an den saudischen Erzrivalen Iran aus.
Doch seit 2013 hat sich die Situation in Ägypten verändert. Die ägyptische Muslimbruderschaft ist durch die umfassende Unterdrückung durch die Sisi-Administration stark geschwächt worden und hat zudem massiv an Popularität verloren. Die Gefahr einer "Ansteckung" der saudischen Opposition durch die Muslimbrüder ist daher im Moment eher gering. Was die zweite Gefahr, eine Destabilisierung Ägyptens angeht, so hat der Sturz Mohammed Mursis aus saudischer Sicht allerdings nicht zum Erfolg geführt. Im Gegenteil, die politisch motivierte Gewalt gegen das Sisi-Regime hat sogar deutlich zugenommen. Gegenüber der dritten Bedrohung, dem Iran, verhält sich Ägypten konform mit den Interessen Saudi-Arabiens: eine Annäherung blieb bislang aus.
Mit dem IS im Irak und dem Zerfall des Jemen sind zudem parallel neue Bedrohungen unmittelbar an Saudi-Arabiens Grenzen entstanden. Im Jemen hat die Machtübernahme durch die vom Iran unterstützten Huthis außerdem zu einer weiteren Ausweitung der Einflusssphäre des iranischen Erzrivalen geführt. Neben dem Irak, Syrien und Libanon übt der Iran nun auch im Jemen starken Einfluss aus. Umso nervöser sieht Saudi-Arabien auch die derzeit engagierte Verhandlungsrolle der USA in den Atomgesprächen mit dem Iran. Denn eine Einigung zwischen dem Iran und den USA ist nicht im Interesse der Saudis.
Es ist daher nachvollziehbar, dass die akuten Bedrohungen an der Grenze Saudi-Arabiens und der stark wachsende Einfluss Irans momentan weitaus höhere Prioritäten für das Königshaus darstellen als Ägyptens stark geschwächte Muslimbruderschaft. Das ändert jedoch nichts daran, dass Saudi-Arabien die Bruderschaft auch weiterhin als eine Bedrohung einstuft. Große Sorge dürfte den Saudis hingegen die zunehmende politische Gewalt und die auch damit verbundene desaströse Wirtschaftslage Ägyptens bereiten.
Außenpolitischer Kurswechsel
Diese Veränderung in der Bedrohungswahrnehmung Saudi-Arabiens hat für Ägypten unmittelbare Folgen. Denn um den neuen Prioritäten gerecht zu werden, versucht Saudi-Arabien, möglichst viele regionale Verbündete zu sammeln. Dazu hatte bereits der im letzten Januar verstorbene saudische König Abdullah die Wiederannäherung an Qatar, und damit einem Erzfeind der Sisi-Administration, begonnen. Gleiches gilt für die Türkei, die gegenüber dem ägyptischen Militärregime eine ähnlich feindliche Position einnimmt wie Qatar: auch hier hat Saudi-Arabien einen Annäherungsprozess begonnen.
Für Ägypten bedeutet das einerseits, dass es seine aggressive Rhetorik gegenüber Qatar und der Türkei einschränken muss, sofern es weiterhin auf großzügige Unterstützung aus Saudi-Arabien zählen möchte. Einen Vorgeschmack darauf hat das Land im Februar bekommen, als der ägyptische Botschafter bei der Arabischen Liga Qatar der Unterstützung des Terrorismus beschuldigt hatte. Kurz darauf wurde im Namen des Generalsekretärs des Golfkooperationsrates, dem neben Qatar auch Saudi-Arabien, die VAE und Kuwait angehören, auf der Webseite der Organisation eine scharfe Zurückweisung der Vorwürfe veröffentlicht.
Kurze Zeit später wurde die Stellungnahme von der Seite entfernt und durch einen ägyptenfreundlichen Text ersetzt. Die Hintergründe dieses Vorfalls bleiben unklar. Doch die Episode zeigt, dass die Haltung der Staaten des Golfkooperationsrates gegenüber Ägypten in Bewegung geraten ist.
Andererseits muss das Sisi-Regime dringend Erfolge in seiner politischen und damit verbundenen wirtschaftlichen Stabilisierungsstrategie vorweisen. Unbestätigte Berichte von Treffen von Vertrauten des jetzigen saudischen Königs Salman mit ägyptischen Oppositionspolitikern könnten –sofern sie denn zutreffen – ein Indiz dafür sein, dass Saudi-Arabien längst an der Stabilisierungsstrategie Sisis zweifelt.
Kairos Führung sorgt für Irritationen
Nach dem politischen Machtwechsel in Saudi-Arabien steigt der Druck auf Ägypten aber auch auf persönlicher Ebene: Bisherige Presseberichte vermitteln den Eindruck, dass "die Chemie" zwischen den Führungsspitzen Qatars und Saudi-Arabiens wieder stimmt. Im Gegensatz dazu dürfte das persönliche Klima zwischen Abdel Fattah al-Sisi und der saudischen Führung momentan eher gedämpft sein: Die im Februar veröffentlichten und offenbar heimlich mitgeschnittenen Gespräche von Abdel Fattah al-Sisi und seinem ehemaligen Büroleiter zeugen von deren Verachtung und Geringschätzung der Golfstaaten. Auch wenn die Authentizität der Aufnahmen von Ägypten geleugnet wird, gibt es doch viele Indizien, die für die Echtheit der Tonbänder sprechen. Die neue saudische Führung dürfte hiervon gewiss nicht begeistert gewesen sein.
Saudi-Arabien wird das ägyptische Militärregime aufgrund seiner Interessenslage auch weiterhin unterstützen. Doch Sisi muss sich darauf einstellen, dass Qatar und auch die Türkei für Saudi-Arabien bereits deutlich an Bedeutung gewonnen haben. Auch der Erfolgsdruck für eine Stabilisierung Ägyptens ist gestiegen. Sollte Sisi hier nicht liefern können, könnte Riad auf eine Änderung der Stabilisierungsstrategie der Generäle drängen, vielleicht sogar auf eine Verringerung der Repression der Muslimbrüder.
Matthias Sailer
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