Der Roman "Salzstädte" als Spiegel der Realität
Abdalrachman Munif wurde 1933 als Sohn einer irakischen Mutter und eines saudischen Vaters in Amman geboren, wo er auch seine Kindheit verbrachte. Nach dem Studium der Ökonomie in Bagdad und Kairo promovierte er 1961 in Belgrad im Bereich Erdölwirtschaft und arbeitete mehrere Jahre in der Branche. Zu Beginn der siebziger Jahre erschien sein erster Roman, dem viele weitere folgen sollten. International bekannt wurde Munif mit dem Roman "Östlich des Mittelmeers", das 1995 auch ins Deutsche übersetzt wurde. Sein wichtigstes Werk aber ist die Pentalogie "Salzstädte" aus den Jahren 1984 bis 1989, dessen erster Band 2003 unter dem gleichnamigen Titel auf Deutsch erschien. In diesem Band beschreibt Munif den Zerfall der traditionellen saudischen Gesellschaft infolge der Entdeckung des Erdöls und des Eindringens amerikanischer Firmen auf die saudi-arabische Halbinsel. In Saudi-Arabien ist das Werk bis heute verboten, Munif wurde damals die saudische Staatsbürgerschaft aberkannt. Abdalrachman Munif lebte seit 1986 in Damaskus, wo er am vergangenen Samstag starb.
Herr Munif, seit langem wurde darüber gemunkelt, dass Ihr großes Werk, die 'Salzstädte' auf Deutsch im Lenos Verlag erscheinen wird, der auch alle Ihre bisher übersetzten Werke herausgegeben hat. Jetzt wurden wir damit überrascht, dass das Buch beim Verlag Diederichs erschien ... Was empfinden Sie nun, da der Roman endlich auf Deutsch vorliegt, und können Sie uns sagen, was passiert ist?
Abdalrachman Munif: Ich bin natürlich sehr glücklich darüber, dass der Roman nun auf Deutsch vorliegt, insbesondere weil es ein sehr dickes und nicht einfaches Buch ist. Und ich vermute, dass die beiden Übersetzerinnen mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, da ein Großteil des Romans in Umgangssprache geschrieben ist, die ihre ganz besonderen Eigenheiten hat. Das Erscheinen des Buches auf Deutsch ist ein Schritt nach vorn, und ich hoffe, dass es ein positives Echo beim Leser findet.
Hinzu kommt, dass es in einer sehr schwierigen Zeit erscheint, in der der gesamte Nahe Osten vor großen Herausforderungen steht. Dieser Roman kann als Spiegel wirken, wenn es darum geht, die Realität dieser Region und viele ihrer Details zu verstehen.
Was den zweiten Teil Ihrer Frage betrifft, so gab es anfängliche Überlegungen, die nicht umgesetzt wurden. Ich denke, dass jeder Verlag, besonders ein so kleiner, zögert, einen solchen Roman herauszugeben. Es bedarf ganz besonderer Anstrengungen, anders als bei kurzen Texten. Ich meinerseits denke auch, dass jetzt die beste Zeit für dieses Buch ist, und ich hoffe, dem deutschen Leser meine Botschaft vermitteln zu können.
Sie haben diesen Roman vor mehr als zwei Jahrzehnten geschrieben und behandeln darin die Situation in Saudi-Arabien, sozusagen die Entstehung dieses Königreichs, die Entdeckung des Erdöls usw. Heute schaut die ganze Welt auf dieses Land, insbesondere nach dem elften September und nicht zuletzt aufgrund der neuen und komplexen Beziehung mit seinem Verbündeten, den USA. Glauben Sie, dass Ihr Roman diese Aspekte beleuchtet und dem Leser beim Verständnis hilft?
Munif: Ich glaube, dass der Roman bestimmte Aspekte zum Verständnis der Lage im Nahen Osten und seiner Probleme hinzufügt. Mein eigentliches Motiv, diesen Roman vor mehr als zwanzig Jahren zu schreiben, war das Gefühl, dass man sich mit dem Thema Erdöl beschäftigen und erkennen muss, welche ungeheuren Veränderungen es hervorgerufen hat.
Wenn man die Vergangenheit dieser Region betrachtet, so hilft das natürlich, die Gegenwart zu verstehen, diese außergewöhnlich explosive Situation. Und vielleicht ist Saudi-Arabien eine der Regionen, die man sich wirklich noch einmal anschauen muss. Das gegenwärtige politische Gebilde ist, in eigenen Augen, also nach der Logik der dort Herrschenden, ein Gebilde aus der Vergangenheit, das vielleicht früher adäquat war, das aber heute unbedingt einer Erneuerung bedarf, eine Erneuerung der Staates und der Gesellschaft und einer Beteiligung der neu formierten und überall präsenten Kräfte an den Entscheidungsprozessen. Diese Kräfte werden, ausgehend von der Logik der vergangenen Zeit, mit Argwohn betrachtet. Wenn also nicht alle Beteiligten ernsthaft und radikal drüber nachdenken ... Niemand will, dass ausländische Kräfte, insbesondere Amerika, in die inneren Angelegenheiten der Länder intervenieren, aber infolge des Extremismus und der anhaltenden Stagnation in Saudi-Arabien, werden die Anderen geradezu eingeladen, ihre Meinung kund zu tun und sich einzumischen, um einen Umschwung - welcher Art auch immer - zu erreichen. Natürlich ist die Beziehung zwischen Saudi-Arabien und den USA, die mal ihre Höhepunkte und mal ihre Tiefpunkte hatte, nicht gleichberechtigt oder ausgewogen. Die Amerikaner, die das saudische System früher unterstützt haben, müssen ihre Beziehung derzeit auch neu überdenken. Das können wir in den amerikanischen Zeitungen beobachten wie auch an den nach dem elften September entstandenen Kräften und dem neuen Klima. Das Thema Saudi-Arabien kocht also, es ist dringend eine Veränderung nötig. Man wünscht sich natürlich, dass diese Veränderung von innen her und auf natürliche Weise geschieht, unter Beteiligung aller Kräfte, die eine bessere Zukunft anstreben.
'Salzstädte' ist der erste arabische Roman, der das Thema Erdöl in Form eines Epos behandelt. Jeder Leser fragt sich natürlich, warum Sie ihn 'Salzstädte' genannt haben und nicht 'Ölstädte', was das Thema eher umschreiben würde.
Munif: Das stimmt, das wäre der passendste Titel für den Roman. Mit 'Salzstädte' meine ich aber die Städte, die nur kurze Zeit existiert haben und auf unnatürliche und außergewöhnliche Art und Weise entstanden sind. Also nicht historisch gewachsen, sondern urplötzlich aufgrund von Bodenschätzen, die man gefunden hat. Es entstanden aufgeblähte Städte, die wie Ballons jeden Augenblick platzen können, sobald man in sie hinein sticht. Das Gleiche gilt für das Salz. Obwohl es für den Menschen, die Natur und jedes Lebewesen lebensnotwendig ist, so vernichtet es, wenn es in zu großen Mengen vorkommt, sei es im Boden oder im Wasser, jedes Leben. So erwartet man es auch von den Salzstädten, die so unnatürlich sind, als wären es künstliche Städte. Ich habe immer wieder betont, wenn das Wasser dorthin kommt, wenn der elektrische Strom unterbrochen wird oder andere Probleme auftauchen, dann werden wir feststellen, wie zerbrechlich diese Städte sind. Sie sind nicht in der Lage, Probleme zu bewältigen. Es sind keine natürlichen Orte für Zivilisationen, die die Menschen aufnehmen und das Leben verbessern können.
Im Jahr 2004 wird die Arabische Liga Gastregion auf der Frankfurter Buchmesse sein. Glauben Sie, dass das eine verspätete Anerkennung der arabischen Literatur ist oder ganz einfach das Ergebnis der zunehmenden Übersetzungstätigkeit aus dem Arabischen?
Munif: Es ist vielleicht beides. Man hat das Gefühl, dass der kulturelle Kontakt zwischen den Zivilisationen, den Sprachen und den Menschen noch ganz am Anfang steht, besonders was die fortgeschrittenen und die Entwicklungsländer angeht. Die Entwicklungsländer stehen am Rande der Kultur und des geistigen Lebens. So betrachtet man sie und so behandelt man sie. Dies führte natürlich dazu, dass man bestimmte Aspekte dieser Welt erst spät entdeckte und sie nicht richtig ernst nahm. Das betrifft besonders die Künste, also den Roman, die Poesie und die Bildende Kunst. Meiner Meinung nach ist die verspätete Anerkennung besser als gar keine. Und dass das nächste Jahr zweifellos das Jahr der arabischen Literatur sein wird, ist sicher wichtig und notwendig. Ich glaube, dass durch eine gute Präsentation ein Bild der zeitgenössischen arabischen Literatur und des Denkens gegeben werden kann, besonders wenn bis dahin noch Romane und Werke ausgewählt werden, die die positive Seite darstellen. Dies ist unser aller Wunsch, und wir, d.h. Araber und Deutsche, müssen uns gemeinsam dafür einsetzen. Die Übersetzungsbewegung muss nicht nur von den Deutschen ausgehen, sondern auch die Arabische Liga, die arabischen Übersetzungszentren, die Universitäten und die Institutionen, die einen Dialog mit dem Anderen auf ihre Fahnen geschrieben haben, müssen versuchen, die positiven Seiten der arabischen Welt aufzuzeigen. Wir Araber werden immer aus der folkloristischen Perspektive betrachtet, ohne dass man diese Kultur wirklich kennt und objektiv und vorurteilslos beurteilt. Man betrachtet uns irgendwie als fremd, manchmal sogar seltsam. Ich wünsche mir, dass noch vor der Buchmesse einige Werke übersetzt werden, die ein getreueres Bild der zeitgenössischen arabischen Literatur vermitteln.
Interview: Ahmad Hissou, Deutsche Welle
Abdalrachman Munif: Salzstädte, aus dem Arabischen von Magda Barakat und Larissa Bender, Diederichs München 2003, 560 S., 24,95 Euro
Mehr zu Abdalrachman Munif finden Sie auf der Website des Ibn Rushd Vereins