Schriften für die Ewigkeit

Deutsche und indonesische Wissenschaftler restaurieren und digitalisieren alte javanische Handschriften und sichern damit ein wertvolles Kulturerbe für die kommenden Generationen. Informationen von Anett Keller aus Yogyakarta

Deutsche und indonesische Wissenschaftler restaurieren und digitalisieren alte javanische Handschriften und sichern damit ein wertvolles Kulturerbe für die kommenden Generationen. Informationen von Anett Keller aus Yogyakarta

Auf Muhammad Wildans Schoß liegt ein vergilbtes Buch mit zerknitterten Seiten. Langsam folgt der Arabisch-Dozent der Staatlichen Islamischen Universität Yogyakarta (UIN) mit seinem Zeigefinger erst den arabischen Schriftzeichen, dann den darunter stehenden javanischen.

Das Buch, eine zweisprachige Hadith-Sammlung, stammt aus dem Jahr 1856. Würmer haben am Rand der Seiten ihre löchrigen Spuren hinterlassen, manche Seiten hängen beinahe lose aus dem Einband.

Mehr als 1.000 historische Handschriften birgt das am nördlichen Ende des Sultanspalastes von Yogyakarta gelegene Museum Sonobudoyo. In alten Holzregalen, zwischen unscheinbaren Buchdeckeln lagern unschätzbar wertvolle Kulturgüter. "Es kommen viele Forscher hierher, die die javanische Geschichte studieren wollen", sagt Wildan. "Die benötigen dazu die Originalmanuskripte."

Doch den alten Werken ist ihr Alter und der Gebrauch durch wissensdurstige Forscher anzusehen. "Die Restaurierung alter Schriften ist ein Riesenproblem", sagt Wildan. "Wir haben einfach keine Fachleute auf diesem Gebiet und viel zu wenig technische Geräte."

Symbiose von Islam und animistischen Traditionen

Wildan steht neben einem riesigen Scanner, auf dem ein Aufkleber mit der Aufschrift "Universität Leipzig" prangt. Seit 2009 unterstützen die Leipziger die Restaurierung, Katalogisierung und Digitalisierung alter Handschriften im Sonobudoyo Museum, im benachbarten Sultanspalast von Yogyakarta sowie im Sultanspalast von Surakarta.

Das 1728 gegründete Orientalische Institut der Universität Leipzig (OIL) ist eines der ältesten und traditionsreichsten arabistischen Institute in Deutschland und Europa.

Muhammad Wildan; Foto: Anett Keller
Steht Angesichts des Restaurierungaufwands alter Schriften vor einer Mammutaufgabe: Muhammad Wildan, Arabisch-Dozent der Staatlichen Islamischen Universität Yogyakarta

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"Indonesien ist das Land mit dem größten muslimischen Bevölkerungsanteil weltweit, aber in den hiesigen Medien eindeutig unterrepräsentiert", begründet Thoralf Hanstein, Projektkoordinator vom OIL, das Interesse seines Institutes an dem Projekt.

Die verstärkte Verbreitung des Islam in Indonesien ab dem 14. Jahrhundert geschah auf überwiegend friedfertige Weise auf Handelswegen sowie durch Sufi-Lehrer, deren bekannteste Vertreter bis heute als die Wali Songo (Neun Heilige) verehrt werden. Sie benutzten auch die Künste der Holzschnitzerei und des javanischen Schattenspiels (Wayang), um ihre Botschaft zu vermitteln.

Bis heute geht der islamische Glaube, dem 85 Prozent der Indonesier angehören, eine Symbiose mit lokalen animistischen Traditionen sowie mit dem Erbe der zuvor herrschenden hindu-buddhistischen Dynastien ein. Gerade die Toleranz zwischen den Religionen, wie die alten Schriften der Sultanate sie repräsentierten, sei beispielhaft für viele andere Regionen in der Welt, so Hanstein vom OIL.

Schädliche Autodidakten

Im Rahmen des Projekts werden die wichtigsten Sammlungen in Zentraljava restauratorisch begutachtet. Dann soll durch eine Volldigitalisierung eine Sicherungskopie erstellt werden. Schließlich werden die katalogisierten Schriften mit Hilfe einer online-Datenbank im Internet zugänglich sein. Erstmals wird dabei auch das Altjavanische orginalschriftlich in eine Datenbank eingegeben.

Eine Wayang Kulit-Aufführung auf Java, um 1890; Foto: Wikipedia
Friedliche Verbreitung des Islam: Muslimische Sufi-Missionare wandten die Kunst des "Wayang Kulit", des javanesischen Schattenspiels, an, um ihre Botschaft zu vermitteln.

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"Leider sind die Lager- und Nutzungsbedingungen für Originalhandschriften in Indonesien oft katastrophal", sagt Hanstein vom Leipziger Partner-Institut. Lagerräume seien meist nicht klimatisiert, zum Teil Insekten-verseucht, das Bibliothekspersonal zu wenig im Schutz der alten Bestände geschult.

"In Indonesien gibt es absolut keine Restauratorausbildung", so Hanstein. "Abgesehen von wenigen Kollegen mit Auslandserfahrung gibt es beinahe ausschließlich Autodidakten, die manchmal leider eher schaden als helfen."

Daher werden im Rahmen des Projektes nicht nur Restauratoren durch deutsche Experten geschult, sondern auch das Bibliothekspersonal.  

Digitalisierung gegen Naturgewalt

Eine ähnliche Kooperation hatte es zuvor bereits in Aceh gegeben. Die Dringlichkeit, alte Schriften dauerhaft zu bewahren, hatte der verheerende Tsunami 2004 drastisch vor Augen geführt – zahlreiche Handschriften gingen damals unwiederbringlich verloren.

Eine unversehrte Moschee im Trümmerfeld des Tsunami von 2004; Foto: AP
Für immer in den Fluten des Tsunami verloren: Die Naturkatastrophe in Indonesien aus dem Jahr 2004 erinnerte auf dramatische Weise daran, wie wichtig es ist, diese antiken Schriften dauerhaft zu sichern.

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Auch für die Schriften in den Sammlungen der Sultane von Yogyakarta und Surakarta existierten bislang keine Duplikate oder moderne, digitale Sicherungskopien. Erdbeben, Wirbelstürme, Brände oder ein Ausbruch des nahe gelegenen Merapi-Vulkans könnten die alten Schriften vernichten, so die Sorge von Sammlern und Wissenschaftlern.

Der enge Raum im Sonobudoyo-Museum atmet Geschichte. Die deutsche Studentin Sophie Schicker ist fasziniert davon. Die 21-Jährige studiert in Leipzig Arabistik und verbringt gerade ein Auslandssemester in Yogyakarta. "Indonesien ist ganz anders als die arabischen Länder", sagt Schicker und fügt hinzu, dass sie unbedingt hierher zurückkommen möchte. Schicker blättert vorsichtig im ältesten Werk der Sammlung, einem aus dem 17. Jahrhundert stammenden Arabisch-Lehrbuch.

Menschliche Unachtsamkeit

Die Mitarbeiter des Schriftenprojekts möchten mit der Katalogisierung und der Präsentation im Internet die Grundlage für die kommende Forschergeneration bereiten. Denn die Sammlungen der Sultane sind sowohl Zeugnis der Ausbreitung des Islam in Indonesien, als auch seiner Koexistenz mit anderen Religionen. "Im Kraton Yogyakarta sind sehr viele der traditionellen Heldenepen aufbewahrt, deren Ursprünge in der vorislamischen Zeit liegen", sagt Projektkoordinator Hanstein.

Auch für die Historie und Kultur der Sultanshöfe selbst sind die Schriften eine unschätzbare wissenschaftliche Fundgrube. Pardiyono, ein schlanker Mann mit Brille, arbeitet seit 20 Jahren im Museum. Neben dem Computer des 54-Jährigen liegt ein Buch, dessen aufgeschlagene Seiten prächtige Zeichnungen von Sonnenschirmen zieren.

"Das sind die Schirme der Palastangestellten" erklärt Pardiyono. "Jeder Beamte hatte eigene Farben und Muster, so dass sein Gegenüber sofort wusste, wen er vor sich hatte." Pardiyono schwärmt vom Wissen, das in den Büchern schlummert, von Astronomie bis Literatur. Er ist froh, dass er "seine Schätze" nach der Digitalisierung nicht mehr in fremde Hände geben muss.

"Der größte Feind dieser Bücher ist der Mensch", sagt Projektkoordinator Muhammad Wildan von der UIN und verweist auf die oft unachtsame Behandlung der alten Werke im Lesesaal des Museums. Schaut man sich in dessen Gängen um, scheinen noch viele neue Aufgaben auf die Bewahrer des Kulturerbes zu warten.

Entlang der Treppen zum Museumsausgang stapeln sich Tausende alter vergilbter Zeitungen in der feuchtwarmen Tropenluft.

Anett Keller

© Qantara.de 2011

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de