Männer müssen draußen bleiben
"Die eigenen vier Wänden bieten Mädchen kaum Möglichkeiten, sich zu treffen", meint Filiz. Sie ist eine der jungen, schick aussehenden, viel Fröhlichkeit ausstrahlenden Betreuerinnen bei MaDonna. "Zum einen sind die Wohnungen überbelegt. Manche Eltern haben aber auch Angst, dass die Freundinnen die Töchter zur Rebellion anstiften. Dass die Freundin sagt: 'Du hast es aber schwer hier. Warum lässt du dir das alles gefallen?'"
Die Straße hingegen wird schon von den Jungen okkupiert. Überall in Neukölln und Kreuzberg kann man kleinere Gruppen von ihnen an den Ecken stehen sehen. Sie unterhalten sich, rauchen, knacken Sonnenblumenkerne. Mädchen haben da nichts verloren. Viele Söhne sehen sich zudem als verlängerter Arm ihrer Eltern und meinen, über den "Anstand" ihrer Schwestern wachen zu müssen.
"Die Eltern fürchten, dass ihre Tochter einen schlechten Ruf bekommt, dass es heißt, wir haben eure Tochter da und da gesehen", erklärt Filiz. Der Phantasie von Eltern sind da bekanntlich keine Grenzen gesetzt. Ihre türkisch traditionell gekleidete Kollegin Cigdem glaubt aber, dass viele Mädchen dramatisieren: "Mein Vater sagt auch öfter, er würde mich umbringen, wenn ich dieses oder jenes täte. Aber ich bin mir sicher, er würde es nicht tun."
Zwangsheirat ist immer wieder Thema
Im Foyer von MaDonna liegen Postkarten aus. "Bis dass der Tod uns scheidet", steht da drauf, und sie zeigen eine erhängte Braut in einem Keller oder ein Brautpaar nebst einer Kiste voller Geld und Gemüse. "Zwangsheirat ist ein Verbrechen", ist auf der Rückseite zu lesen. An der Wand ein Zettel: "Wenn die Jungs wieder nerven ..." und eine Telefonnummer.
Geschichten wie die folgende kennen fast alle: Die ältere Schwester war in einen Klassenkameraden verliebt. Doch die Eltern zwangen sie, einen Mann zu heiraten, "dessen Namen sie nicht mal kannte". Sie wurde sehr krank, bekam psychische Probleme. Jetzt hat sie drei Kinder "und ist glücklich". Aber dem Vater hat sie das nie verziehen.
"Auch ich wurde gezwungen, meinen Cousin zu heiraten", berichtet Filiz. "Es war schrecklich. Ich wollte nicht, und er wollte auch nicht. Nach drei Monaten bin ich zu meinen Eltern gegangen und habe gesagt: Entweder ihr nehmt mich zurück, oder ich hau ab, und ihr seht mich nie wieder. Danach waren die Eltern sehr streng zu mir. Ich durfte niemanden treffen. Drei Jahre später habe ich einen anderen Mann geheiratet."
Für niemanden bei MaDonna ist das eine ungewöhnliche Geschichte. Auch nicht, dass es Prügel von Brüdern oder Vätern setzt, wenn "frau" sich mit einem Freund erwischen lässt. "Aber es ist ein Fehler von den Eltern, wenn sie uns zwingen", findet Filiz. "Alle Probleme werden auf sie zurückkommen. Man muss sich wehren." Dann fügt sie noch hinzu: "Ich will, dass meine Kinder wie Freunde werden."
Der Neid der Jungs
Viele Eltern seien auch schon lockerer geworden, hat Hülya beobachtet. Sie wurde früher verprügelt, wenn sie fünf Minuten zu spät aus der Schule kam. "Meine kleine Schwester darf alleine ins Kino gehen." Cigdem hat sogar durchgesetzt, dass sie eine eigene Wohnung mieten konnte. Diese Tatsache in Verbindung mit ihrem konservativen Kleidungsstil belustigt eine ihrer Kolleginnen: "Was für eine Familie! Sie darf nicht raus, aber sie darf alleine wohnen!"
Ein Mädchentreff, in den sie nicht hineindürfen, dass ist für die pubertierenden Jungen im Viertel eine Provokation. Als Huren- und Nuttentreff beschimpfen sie bisweilen die Einrichtung, und es kursieren die abenteuerlichsten Geschichten unter ihnen, was sich da drinnen abspielt.
Dahinter stecken wohl Neid und Begehren, aber auch die Absicht, die Besucherinnen zu diskreditieren und ihnen verbal deutlich zu machen, dass "mann" ihren Platz woanders sieht. Daran ändert auch keine transparente Selbstdarstellung etwas: "Wenn die dann hier reinkommen und sehen, dass es hier Internet für Mädchen gibt, dann ist das für die schon zu krass", so eine der Betreuerinnen.
Eine "Politik der offenen Tür" bringt auch andere Probleme: Eine Zeitlang versuchte MaDonna, die Einrichtung temporär für ausgewählte Jungen zu öffnen. Das hatte zur Folge, dass einige arabische Mütter ihre Töchter nicht mehr an den Freizeitaktivitäten oder der Hausaufgabenbetreuung teilnehmen ließen.
Also bleiben die Herren der Schöpfung weiterhin vor der Tür, und wenn bei MaDonna abends die Streetdance-Gruppe probt, werden zur Sicherheit auch noch die Jalousien herunter gelassen.
Lennart Lehmann
© Qantara.de 2006
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