Weniger islamische Leitkultur

Irans Bildungsministerium will den Kunstunterricht an Schulen und Universitäten reformieren. Dieser soll künftig nicht mehr nur ideologischen Kriterien folgen, sondern auch moderne, kreative Lehrmethoden beinhalten. Von Arian Fariborz

Schulklasse im iranischen Bam, Foto: &copy Canadian Relief Foundation
Durch die neuen Lehrpläne soll Schülern die Chance gegeben werden, bildende Kunst und Theater in allen Ausdrucksformen kennen zu lernen

​​Wenn sich Theaterregisseure und Schauspieler im Iran an die ersten Revolutionsjahre unter Chomeini erinnern, ist viel von der "bleiernen Zeit" die Rede – Jahre, in denen das vielfältige kulturelle Leben zum Stillstand kam.

Theater und Kinos wurden geschlossen, westlich-dekadent gebrandmarkte Theaterstücke von den Bühnen verbannt. Fortan beherrschten viele religiös-traditionelle Darbietungen des schiitischen Islams das kulturelle Leben im Iran – wie etwa die Ashura-Rituale oder verschiedene Formen des Straßentheaters ("tazieh", "roohozie", "pardeh-khani").

Kunst im Dienste der Staatsideologie

Diese Entwicklung hinterließ auch ihre Spuren im Bereich der Ausbildung von Schauspielern und bildenden Künstlern. So sei es bedauernswert, dass nach der Revolution so unüberlegt und nach ideologischen Kriterien gehandelt wurde, berichtet Ghotbedin Sadeghi, Theaterregisseur und Dozent der Theaterwissenschaft an der Uni Teheran:

"Viele Erzieher im Bildungsbereich wurden einfach entlassen, und man stellte sie nicht wieder ein", so Sadeghi. "Damit wurden aber auch deren fortschrittliche Lehrmethoden aufgegeben, was wiederum bedeutete, dass sich das iranische Bildungssystem nicht mehr weiter entwickelte."

Auch nach über zwei Jahrzehnten Islamischer Republik wird die Kunsterziehung und Theaterbildung nach wie vor in den Dienst der herrschenden Staatsideologie gestellt oder in bestimmten Bereichen, wie etwa dem Kindertheater, völlig vernachlässigt.

Stillstand und internationale Isolation

Dies wird sogar von den Machthabern in Teheran selbst eingeräumt. Bereits vor Jahren bedauerte der ehemalige, unter Präsident Khatami amtierende, stellvertretende Kulturminister, Morteza Kazemi, dass das iranische Theater international lange Zeit isoliert gewesen und kaum darüber informiert sei, wie das heutige Theater in der Welt funktioniere.

Und obwohl das Regime der Weltöffentlichkeit mit dem jährlichen internationalen Fajr-Theater- und Filmfestival das Bild einer lebendigen und vielfältigen Kunst- und Kulturwelt des Irans vermitteln möchte, fehlt dem Bildungssystem des Landes jegliche Form schulischer Kunsterziehung – bis auf die beiden Fächer Kalligraphie und Malerei, die sogar an vorrevolutionäre Traditionen anknüpfen und kaum im Unterricht behandelt werden.

Doch inzwischen scheint sich die Meinung durchzusetzen, dass im Bildungssystem nicht allein die Religion Maßstab der Erziehung von Kindern und Jugendlichen sein kann. Deshalb arbeitet das Bildungsministerium derzeit daran, den Kunstunterricht aufzuwerten und neue Lehrmethoden sowie Lehrfächer zu entwickeln.

Auch müssen Kunstlehrer und Dozenten künftig eine adäquate Berufsausbildung abschließen, bevor sie unterrichten dürfen. Berufsbegleitende Fortbildungen für Lehrer und Professoren sind ebenfalls vorgesehen.

Für Ghotbedin Sadeghi ist dies ein Schritt in die richtige Richtung: "Wichtig ist, dass nachdem die Kunsterziehung lange Zeit von religiösen Lehrkräften und Hezbollahis gestaltet wurde, der Unterricht nach langer Zeit endlich wieder den Kriterien wirklicher Kunst gerecht werden soll."

Zeitgemäße und kreative Unterrichtsgestaltung

Hadi Marsban, Theaterregisseur und Mitglied des Rates für bildende Kunst beim Bildungs- und Erziehungsministeriums, entwickelt seit drei Jahren zusammen mit seinen Kollegen in Teheran im Auftrag des Bildungsministeriums die Gestaltung des neuen Kunstunterrichts für den Bereich Malerei und Theater an Schulen.

Auch er ist optimistisch, dass durch die neuen Lehrpläne den Schulkindern künftig die Chance gegeben wird, bildende Kunst und Theaterschauspiel in all ihren Ausdrucksformen kennen zu lernen: "Jetzt arbeiten die Forschungsabteilungen des Bildungsministeriums daran, einen wirklich eigenständigen Kunstunterricht zu entwickeln, nachdem erkannt wurde, wie ineffizient die bisherige Praxis gewesen ist."

Das Bildungsministerium richtet sich mit der Konzeption und Neuauflage von Lehrplänen und Schulbüchern zum einen an Kinder und Heranwachsende, zum anderen werden spezielle Unterrichtsmaterialien und didaktische Lehrbücher entwickelt.

Doch nicht nur im Bereich der Grundschulen, sondern auch an den staatlichen Kunstakademien und Universitäten werden im kommenden Semester Lehrpläne für künstlerische Disziplinen wie Film, Malerei und Theater eingeführt. Diese sehen zeitgemäßere Erziehungs- und Lehrmethoden vor.

Da Studienanfänger vor Beginn ihrer universitären Ausbildung bisher nur mangelhaft mit bildender Kunst und Theater vertraut sind, plant das Erziehungsministerium zudem voruniversitäre Bildungsprogramme.

So hat man in der Islamischen Republik von einem längst überholten Bildungsmodell im künstlerischen Bereich offenbar endlich Abschied genommen, auch wenn sich an der schwierigen beruflichen Situation vieler Künstler im Spannungsfeld von Verboten, Zensur und Geschlechtertrennung im öffentlichen Leben künftig wohl kaum etwas ändern dürfte.

Arian Fariborz

© Qantara.de 2006

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