Gefühlte Muttersprachen

Ein freigeistiges Instrumentalquartett und eine herausragende Männerstimme sind die Zutaten für die vielleicht glücklichste Verbindung von Jazz und arabischer Färbung, die sich derzeit in Deutschland finden lässt. Das Quartett Masaa ist auf seinem dritten Album "Outspoken" zur Meisterschaft gereift. Stefan Franzen sprach mit Sänger Rabih Lahoud.

Von Stefan Franzen

Rabih Lahoud, das dritte Masaa-Album heißt "Outspoken". Das könnte implizieren, dass auf den Vorgängern manches nicht so direkt ausformuliert wurde...

Rabih Lahoud: Der Titel "Outspoken" signalisiert eine Weiterentwicklung von uns als Musikern, und auch von mir selbst als Sänger und Texter. Ich habe das im Rückblick wahrgenommen: Nach der Einspielung habe ich die älteren Aufnahmen angeschaut und auf meine Stimme, auf die Art des Zusammenspiels geachtet. Und da hatte ich sofort den Eindruck, dass jetzt alles klarer ist - wie ein Spiegel, der sauber gemacht wurde. Der Titel hat aber auch damit zu tun, dass durch die unterschiedlichen Sprachen die Möglichkeit entsteht, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln das sagen zu können, was einen bewegt.

Ihre Texte sind manchmal nur Dreizeiler. Würden Sie sie als in Worte gefasste, Gefühlszustände, Traumbilder, Aphorismen bezeichnen?

Lahoud: Mich hat die japanische Form des Haiku immer beeindruckt. Sie bedeutet ein Innehalten. Ich habe mein Leben als eine Reihung von Stressmomenten erlebt, als Rennen zu etwas oder jemandem hin. Ich habe mich immer danach gesehnt, bei einem Wort oder Gefühl stehen zu bleiben und ihnen die Zeit zu geben, die sie brauchen. Es ist diese Sehnsucht, nicht mehr rennen und viel sagen zu müssen, sondern zu schauen, was aus einem Wort alles herauskommen kann.

Haben Sie bei dieser Arbeitsweise Vorbilder, möglicherweise aus der arabischen Dichtung?

Lahoud: Nicht absichtlich. Natürlich kenne ich das, als Jugendlicher habe ich viel gelesen und Musik gehört, aber das geschieht unbewusst. Khalil Gibran ist ein wichtiger Autor für mich, durch seine Art tief nachzudenken und Dinge so auszudrücken, wie es niemand anders macht.

Ist die arabische Sprache für Sie nach wie vor die Muttersprache oder ist durch das Deutsche, das seit langer Zeit schon Ihren Alltag prägt, eine gewisse Distanz da?

Cover of Masaa's latest album "Outspoken" (released by Traumton)
Masaa-Album „Outspoken“: Spielerisch bewegt sich Masaa zwischen Orient und Okzident, zwischen Vertrautem und Fremden. Mit Reiseeindrücken und Erinnerungen im Gepäck, werden die Musiker im kammermusikalischen Rahmen zu Grenzgängern zwischen traditioneller arabischer Musik und zeitgenössischem Jazz.

Lahoud: Ich habe mich nie einem Land oder einer Kultur zugehörig gefühlt. Das Gefühl der Zugehörigkeit oder einer Vergangenheit war für mich immer schwer zu verstehen. Ich hatte immer Sehnsucht, zu vielen unterschiedlichen Richtungen und Denkarten zu gehören, viele unterschiedliche Leute kennenzulernen.

Und das kommt jetzt mit den verschiedenen Sprachen raus, in denen ich singe. Jede Sprache, in der ich Freundschaften aufgebaut habe, wird für mich zu einer Muttersprache. Die Beziehungen, die in dieser Sprache entstanden sind, führen mich durch das Sprechen und die Wortwahl zu einem emotionalen Ursprung.

Ich empfinde mich nicht als Arabisch sprechenden Menschen, das ist fast ein Zufall. Als Hauptsprache hatte ich Französisch ohnehin auch parallel, damit bin ich genauso aufgewachsen. Für mich ist das ein Appell an meine Umgebung, dass die eigene Kultur eine Möglichkeit der Kommunikation ist, dass man aber als Mensch die Fähigkeit hat, sich zu öffnen.

Wenn ein Text sich in Ihrem Kopf formt, wissen Sie dann schon: Dieses Gedicht muss ich in einer bestimmten Sprache schreiben?

Lahoud: Ich empfinde eine musikalische oder melodische Atmosphäre, die mich dann zu einer Sprache hinzieht. Zum Beispiel war es bei dem französischen Titel "Ta Voix" so, dass Markus, unser Trompeter, eine Idee mitgebracht hat und ich sofort gefühlt habe, dass das Französisch werden muss.

Vor dem deutschen Titel hatte ich am meisten Respekt, ich fragte mich, ob ich das überhaupt kann. Der Text war schon vorher da, und hier bin ich vielleicht am ehesten ein Dichter gewesen. Ich habe die deutsche Sprache wirklich mit Büchern gebüffelt und Prüfungen abgelegt. Daher ist sie für mich mit Gedankentiefe verbunden, auf einer intuitiv-intellektuellen Ebene.

Das Französische ist sehr wichtig in Ihrem Repertoire. Wie ist Ihr Verhältnis zum Chanson?

Lahoud: Jacques Brel ist auf jeden Fall jemand, der mich beeinflusst hat, den habe ich privat, während meines Studiums und auch in kleinen Konzerten gesungen. Ebenso Edith Piaf. Die Art der französischen Stimme hat etwas, was mich sehr berührt. Ich empfinde mich anders klingend, wenn ich Französisch singe. Seit ich Kind bin, haben mich Chansons geprägt. Diese zwei Persönlichkeiten, die arabische und die französische, sind gleichzeitig in mir aufgewachsen. Sie verändern sich nicht durch Integration, im Gegenteil, sie werden immer stärker in ihren Eigenheiten. Das Chanson-Gefühl, das mich als Kind bewegt hat, ist immer noch da, wenn ich es abrufe.

Inzwischen hat Masaa auch im Libanon getourt. Wie ist Ihre Musik dort angekommen?

Lahoud: Wir waren im Libanon an den Universitäten mit jungen Menschen in Kontakt, und ich hatte das Gefühl, dass unsere Musik dort eher als europäisch empfunden wird. Ich hatte das auch so erwartet, denn sie ist kein Puzzlestück, das dort in die Kultur reinpasst. Als die Texte dann im Raum gewirkt haben, hat man gemerkt, wie die Leute emotional wurden. Das ist das, was meine erste Heimat braucht: Eine neue Sprache auf neuen musikalischen Wegen zu entwickeln. Sie leben dort schon so lange in Zusammenhängen, die sich kulturell nicht weiterentwickeln. Man merkte diese Sehnsucht nach neuen Straßen für die Sprache und die Musik.

Das Interview führte Stefan Franzen.

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