Freude, die den Krieg überdauert

Der Gründer der sudanesischen Camirata-Truppe, Dafallah el-Hag, tritt während einer Show im russischen Kulturzentrum in Kairo, Ägypten, auf, Sonntag, 15. September 2024. (Foto: Picture Alliance /AP /Amr Nabil)
Der sudanesische Musiker Dafallah el-Hag bei einer Show im russischen Kulturzentrum in Kairo, 15. September 2024. (Foto: Picture Alliance /AP | Amr Nabil)

Zu Hause herrscht Krieg, im ägyptischen Exil sorgen sie für gute Stimmung: Sudanesische Hochzeitssänger in Kairo verstehen das Feiern auch als Form des Widerstands.

Von Mohamed Gamal

In einem Saal in Al-Salam, einem Viertel im Norden Kairos, warten die Gäste auf das Brautpaar. Trommelschläge und Flötenspiel erklingen, Feuerwerkskörper knallen. Letztere sind Ausdruck der Freude, manche Gäste versetzt das Knallen allerdings zurück in die Schrecken des Krieges, jenes Bürgerkriegs, vor dem sie fliehen mussten. Der ihr Land zerstört hat und der heute eine der schlimmsten humanitären Krisen weltweit darstellt.

Nun betritt das Brautpaar den Saal. Es will den Anwesenden einen Moment der Freude schenken, sei er auch nur vorübergehend. Viele der Gäste haben persönliche Tragödien erlebt. 

Bräutigam Mohammed* empfängt die Glückwünsche seiner Gäste. Er lebt schon seit über zwanzig Jahren in Kairo, doch auch seine Hochzeit hat der Krieg verzögert. Seine Braut Salma* musste monatelang in Khartum auszuharren, bevor sie ihm nach Kairo folgen konnte. Die Hochzeit ist ein langersehntes Fest.

Freude, die keine Grenzen kennt

Ein Großteil der Gäste filmt mit ihren Handys, sie übertragen die Feierlichkeiten live in den Sudan. So können auch die Verwandten, die zurückgeblieben sind, die Hochzeit mitverfolgen. 

Ägypten hat nach UN-Angaben seit Kriegsausbruch im April 2023 mehr als 1,5 Millionen sudanesische Geflüchtete aufgenommen. Im Sudan kam es zu zehntausenden Toten und die UN zählt die meisten Binnenvertriebenen weltweit.

Ein Mann, der ein Mikrofon in der Hand hält und dessen Körper mit einer weiß-rot-grün-schwarzen Flagge bedeckt ist.
Der sudanesische Sänger Amr Omar macht nach seiner Flucht nach Kairo weiter Musik. (Foto: Privat)

Als der Sänger Amr Omar den Saal betritt, erreicht die Begeisterung ihren Höhepunkt. Seine Stimme erfüllt den Raum mit den schönsten sudanesischen Liedern. Ein Moment der Unbeschwertheit, jede Sorge scheint vergessen. Auch Amr ist 2023 vor dem Krieg nach Ägypten geflüchtet. 

Er erinnert sich noch gut an den Moment, als das Leid begann: „Wir wurden in Omdurman von den Kämpfen überrascht. Es war mitten im Ramadan, während des Fastenbrechens. So begannen Flucht und Vertreibung. Die Feste, die wir einst feierten, verschwanden.“

„Ich hatte Glück“, fügt er hinzu. „Mein Bruder lebt schon seit 15 Jahren hier. Als ich nach Kairo kam, haben mir seine Netzwerke und Kontakte sehr geholfen. Nachdem ich die offizielle Genehmigung erhielt, nahm ich meine Arbeit wieder auf: Ich wollte sudanesische Feste wiederbeleben.“ 

Damit hatte er schnell Erfolg. Immer mehr sudanesische Geflüchtete ließen sich in den traditionell ärmeren Arbeitervierteln nieder, zum Beispiel in Al-Malik Faisal in Giza, einem Bezirk im Süden Kairos. Dort lebt nun auch Amr. Die Nachbarschaft erinnert ihn an Omdurman, eine Stadt, in der Ägypter:innen und Sudanes:innen zusammenleben.

Der Krieg befreit uns nicht von unseren Aufgaben

Doch Amrs Vorhaben war alles andere als einfach – die schlechten Nachrichten aus dem Sudan rissen nicht ab und lasteten schwer auf ihm. „Auf der Bühne habe ich gelernt, meine persönlichen Gefühle von der Arbeit zu trennen. In Kriegszeiten braucht jeder ein wenig Freude – auch wenn es sich nur um kurze Augenblicke handelt.“

Am 5. April 2024 griffen die Rapid Support Forces (RSF) das Gebäude des sudanesischen Musiker:innenverbands in Khartum an. Es wurde geplündert und zerstört und symbolisiert seither die Lage der Kulturschaffenden im Sudan. Auch sie wurden vielfach getötet, vertrieben oder zum Schweigen gebracht. 

Mit dem Krieg und dem Ende der öffentlichen Feiern fehlt ihnen zudem die Lebensgrundlage. Viele sahen sich gezwungen, in arabische Nachbarländer zu fliehen, um dort weiterzuarbeiten. Wer blieb, schaute in eine düstere Zukunft. Laut dem African Centre for Justice and Peace Studies (ACJPS) wurden zwischen Kriegsbeginn und September 2024 mehr als 55 Künstler:innen getötet.

„Ich kann meinen Beruf nicht einfach aufgeben, egal wie schwer die Umstände sind. Genauso wenig wie ein Ingenieur oder ein Journalist das kann“, sagt Amr. Auch er ist Mitglied im Musiker:innenverband. „Wir haben Familien und tragen Verantwortung.“

Die Sehnsucht nach einer Rückkehr in den Sudan lässt ihn nicht los – obwohl er sich in Ägypten nie wirklich fremd gefühlt hat und sogar auch schon zwei ägyptischen Hochzeiten als Sänger begleitet hat. Dort stellte er fest, wie sehr sich das ägyptische Publikum für sudanesische Musik begeistern lässt.

Wie Amr hat es auch Youssef Mansour, bekannt unter dem Namen „Kenan“, nach Ägypten veschlagen. Er ist im Sudan einer der bekanntesten Musiker. Drei Monate erlebte er die Brutalität des Krieges, bevor ihm die Flucht gelang.

Kenan hatte seine professionelle Musikkarriere 2019 begonnen, nach Jahren als Hobbysänger in seiner Heimatstadt Bahri. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits eine breite Fangemeinde – dann unterbrach der Krieg seinen Erfolg jäh.

Kurze Zeit nach seiner Ankunft in Kairo kehrte er zur Musik zurück. Bereits nach einer Woche trat er bei mehreren Abendveranstaltungen in Cafés auf, die in der sudanesischen Community beliebt sind. So schwer die Erfahrung seelisch auch ist, das Singen ist seine einzige Einkommensquelle. „Wir alle versuchen, unsere Wunden zu heilen“, sagt er. „Trotz Krieg wird geheiratet – das Leben wartet nicht.“

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Herausforderungen im Exil

Trotz aller Bemühungen, im Exil einen Neubeginn zu wagen, lässt der Kummer auch Kenan nicht los. Dreimal erreichen ihn Nachrichten über den Tod junger Männer aus seinem Viertel Al-Hilla. Das trifft ihn hart. 

Einmal erreichte ihn die Nachricht während eines Auftritts. „Sie schlug ein wie der Blitz“, erzählt er. „Aber das Brautpaar konnte ja nichts für meinen Schmerz. Ich brachte den Auftritt planmäßig zu Ende und ging dann nach Hause, um zu weinen.“

Im Gesang findet Kenan Trost und einen Weg, durchzuatmen. Er ist in den sozialen Medien aktiv und teilt regelmäßig Ausschnitte von seinen Auftritten – mit einem Repertoire, das von traditioneller bis hin zu moderner sudanesischer Musik reicht. „In den Jahren vor dem Krieg erlebte die sudanesische Musik einen echten Aufschwung und erfuhr breite Unterstützung“, sagt Kenan.

Doch das Leben als geflüchteter Künstler in Ägypten ist nicht einfach. Wie viele sudanesische Musiker:innen steht er vor dem Problem des fehlenden rechtlichen Rahmens für seine Arbeit. Um auftreten zu können, braucht er eine teure und befristete Genehmigung von der ägyptischen Kunstbehörde.

„Wir hoffen, dass unsere Lage als Geflüchtete berücksichtigt wird“, erklärt Kenan. „Ich fordere nicht, dass mir alles erlassen wird, sondern bloß die Einführung eines Arbeitsausweises, über den wir monatlich oder jährlich regulär Steuern zahlen können.“

Sowohl Kenan als auch Amr träumen davon, eines Tages wieder Hochzeiten und Feste im eigenen Land zu feiern. Hoffnung gibt die Rückkehr des sudanesischen Musiker:innenverbands. Der konnte seine Tore wieder öffnen, nachdem die sudanesische Armee im März 2025 die Kontrolle über Khartum zurückgewonnen hatte. Die Sehnsucht ist groß, dass das Leben – und mit ihm die Freude – auch im Sudan wieder aufblühen kann.

* Die Namen wurden auf Wunsch der Gesprächspartner:innen geändert.

Dieser Text ist eine bearbeitete Übersetzung des arabischen Originals. Übersetzung aus dem Arabischen von Serra Al-Deen.

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