Den weiblichen Koran entdecken
Das Kölner Zentrum für islamische Frauenförderung und Frauenforschung (ZIF) versucht, Frauen einen selbständigen Umgang mit dem Koran zu vermitteln. Sie sollen lernen, eine kritische Haltung gegenüber Aussagen zu entwickeln, die in Moscheen über Frauen im Islam verbreitet werden.
In Sure 4, Vers 34 heißt es: "Und wenn ihr fürchtet, dass Frauen sich auflehnen, dann vermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie! Wenn sie euch daraufhin wieder gehorchen, dann unternehmt weiter nichts gegen sie! Gott ist erhaben und groß."
Gewalt gegen Frauen
Dieser Koranvers stand im Mittelpunkt einer Veranstaltung, die das Zentrum für Islamische Frauenforschung und Frauenförderung (ZIF) in Köln organisiert hat.
Das Thema Gewalt gegen Frauen sollte dabei nicht nur aus islamischer Sicht diskutiert werden. Schnell wurde klar, dass das Phänomen länder- und religionsübergreifend ist.
Ein geringer Trost für die muslimischen Frauen in der Runde. Sie verstehen sich als emanzipierte Frauen, die dennoch vom Koran, in dem so ein Vers vorkommt, überzeugt sind.
Für Fatma Sagir, Islamwissenschaftlerin und Mitarbeiterin von ZIF, steht der zitierte Vers im Widerspruch zu anderen Stellen im Koran, die von der Gerechtigkeit Gottes sprechen.
Die junge Muslimin empfindet es als hilfreich, dass auch andere Frauen mit der Erlaubnis, Frauen zu schlagen, ein Problem haben: "Das hat mir geholfen zu sagen: Ich nehme das erst mal als Vers hin. Und verstehe es als eine Sache, die ich untersuchen muss."
Seit einigen Jahren steht das Zentrum jungen muslimischen Frauen mit Rat zur Seite. Rabia Müller vom ZIF hat immer wieder festgestellt, dass die herkömmliche Interpretation des Korans junge Musliminnen in Deutschland in große Konflikte stürzt.
Männerfreundliches Gottesbild
Es werde ihnen ein Gottesbild vermittelt, das Männer eindeutig bevorzugt. Sie müssten so den Eindruck bekommen, dass sie zweitrangige Wesen seien: "Sie sagen, ich kann doch nicht zu jemandem beten, der mich für minderwertig hält." Das sei mit ihrem Bild einer gerechten Gottheit nicht zu vereinbaren und führe oft zu seelischen Belastungen bei den jungen Frauen.
Müller versucht, Mädchen und Frauen in Beratungsgesprächen einen selbständigen Umgang mit dem Koran zu vermitteln. Sie sollen lernen, eine kritische Haltung gegenüber Aussagen zu entwickeln, die in hiesigen Moscheen und im Familienkreis über Frauen im Islam verbreitet werden.
In einem Studienkreis wird, wie Rabia Müller es nennt, 'feministische Theologie' betrieben. Koranverse, mit denen man die Benachteiligung von Frauen über Jahrhunderte legitimiert hat, werden unter die Lupe genommen.
Zum Beispiel bei der Erbschaftsregelung. In einem Vers wird festgelegt, dass der Sohn den doppelten Anteil einer Tochter erbt. Von den meisten Muslimen wird diese Regelung kaum hinterfragt. Für Rabia Müller ist der Vers jedoch ein Ansporn weiterzudenken.
Denn es war der Islam, der die Frau im 7. Jahrhundert überhaupt erst zu einer erbberechtigten Person gemacht hat. Und weil die Umstände heute völlig anders seien als vor 1400 Jahren, könne man getrost davon ausgehen, dass Frauen bei der Erbschaft gleichberechtigt seien.
Eines stellen die ZIF-Frauen allerdings nicht in Frage: Auch für sie ist der Koran das geoffenbarte Wort Gottes. Aber sie betonen, dass die Instrumente ihrer Neuauslegung des heiligen Buches aus dem Fundus der islamischen Gelehrsamkeit stammen.
Mona Naggar
© Qantara.de 2003