Kriminelle Symbiose
"Veränderung liegt in der Luft", sagt Amir Hassan Cheheltan. "Jetzt im Frühling kann man sich das gut vorstellen. Eine Wolke zieht auf, aus der ein Schauer prasseln oder ein Gewitter donnern könnte." Der Schriftsteller deutet auf den Berliner Frühlingshimmel, aber er meint das politische Klima in seiner Heimat Iran. Die Spannungen seien mit Händen zu greifen, die Zerwürfnisse zwischen verfeindeten Lagern innerhalb des Regimes hätten eine ungekannte Schärfe und Tiefe erreicht.
Cheheltan, 56, ist zu einem Kurzbesuch in Berlin, wo er seinen auf Deutsch erschienenen Roman "Amerikaner töten in Teheran" vorgestellt hat. Seine Worte lassen aufhorchen. Denn der Schriftsteller ist nicht zu vergleichen mit den notorischen iranischen Exiloppositionellen, die seit 33 Jahren "den inneren Zerfall" und "den nahen Zusammenbruch der Islamischen Republik" verkünden.
Cheheltan ist ein stiller Beobachter ohne politische Zugehörigkeit, dessen Erzählungen und Psychogramme sich vor der Kulisse der iranischen Geschichte des 20. Jahrhunderts und bis in die Gegenwart entfalten. Weil ihm historische Authentizität wichtig ist, hat er die Polit- und Gesellschaftsgeschichte seines Landes akribisch studiert, in Dokumenten und als Zeitzeuge.
Worin die zu erwartenden Veränderungen genau bestehen werden, kann und will Cheheltan nicht sagen. Aber er will andeuten, dass das politische Kräftemessen zwischen Präsident Ahmadinedschad und Revolutionsführer Khamenei und ihren jeweiligen Gefolgschaften eine Qualität erreicht hat, die es trotz der durchaus konfliktreichen Geschichte des Regierungssystems bislang nicht gab. Und dass sich da folgerichtig etwas entladen muss.
Rückkehr ins Ungewisse
Er ist im Winter nach Teheran zurückgekehrt, nach zweieinhalb Jahren in Deutschland und den USA. Seine Heimkehr hatte er hinausgezögert, denn er fürchtete, dass die Behörden ihn schlecht behandeln würden. "Probleme gab es keine", sagt er jetzt in ruhiger Zurückhaltung. "Nur ein Beamter des Kulturministeriums rief mich zu Hause an und sagte, dass die Druckgenehmigung für meine früheren Romane nicht mehr gelte. Da wusste ich, dass es sinnlos ist, für meine neuen Bücher überhaupt eine Druckerlaubnis zu beantragen. Ich bekäme sowieso keine."
Mit den "neuen Büchern" ist eine Romantrilogie gemeint – "Teheran, Revolutionsstraße", "Amerikaner töten in Teheran" und "Teheran, Stadt ohne Himmel", die ein bemerkenswertes Kapitel der persisch-deutschen Literaturgeschichte schreibt.
Im persischen Original existieren diese Romane wegen der Zensur in der Islamischen Republik seit Jahren nur auf Cheheltans Computerfestplatte und als Ausdruck in seiner Schublade. In der deutschen Übersetzung haben die ersten beiden das Licht der Welt erblickt und vom Feuilleton die Einstufung "Weltliteratur" erhalten, der dritte wird noch dieses Jahr folgen.
Klar könnte Cheheltan zwischen Los Angeles, Stockholm und Berlin einen persischen Verlag im Exil finden, der die Originale druckt. Aber das widerspräche seinem Lebensentwurf. Er würde das Regime offen herausfordern, weil er die Entscheidungshoheit der Zensurbehörde umginge. Und, was noch mehr zählt: er würde es dem Regime einfach machen, ihn als Verräter zu brandmarken.
Der Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan gehört, wie der Ausnahmesänger der klassischen persischen Musik Mohammad Reza Schadscharian und der Filmemacher Mohammad Rasoulof zu einer Kategorie international bekannter iranischer Künstler, die ihrem Land auf keinen Fall den Rücken kehren, die sich von den Machthabern nicht hinausdrängen oder –ekeln lassen wollen.
Sie sind keine trotzigen Kinder, die nur deshalb im Iran bleiben, weil es dem Regime am liebsten wäre, sie gingen für immer. Sie haben die Überzeugung verinnerlicht, dass sie die Inspiration der Heimat brauchen, um Kunst schaffen zu können und dass sie eine Botschaft für die Gesellschaft haben, deren Teil sie sein wollen. "Der Mensch lebt am liebsten in seinem Land", sagt Cheheltan – und es klingt nicht banal.
Verstrickt in die eigene Geschichte
In seiner Trilogie zeigt Cheheltan, wie tief die iranische Nation sich seit fünf Generationen in ihre Geschichte verstrickt hat, wie die Abfolge von diktatorischen Regimes, der immer wieder aufflammende Kampf dagegen und die Selbstbehauptung gegen den Griff der Großmächte, vor allem der USA, den einzelnen geprägt hat, wie moralische Maßstäbe und rationales Urteilsvermögen verloren gegangen sind.
Die Machthaber der Islamischen Republik kommen in der Trilogie nicht vor, sondern Gefängniswärter, Polizisten, kleine Angestellte. "Die Gesellschaft" ist diesem Apparat ausgeliefert, einerseits. Andererseits rekrutiert sich der Apparat genau aus dieser Gesellschaft. Diese Wechselwirkung scheint bei Cheheltan immer wieder auf.
Intensiv, fast obsessiv befasst sich der Autor in der Trilogie mit Gestalten der Halb- und Unterwelt. Er steigt in die Seelen dieser Halunken- und Verbrecherfiguren – "lat" nennt er sie auf persisch – hinab und kehrt sie in all ihren Facetten nach außen.
Eine gewisse Komik kommt auf, wenn man sich überlegt, dass das Psychogramm des Gefängniswärters, der seine unerreichbare Geliebte hinter Gitter bringt, weil er sonst keinen Zugriff auf sie hätte, der Phantasie dieses zurückhaltenden Bürgers der Teheraner Mittelschicht entsprungen ist.
Aber Cheheltan will auf ein in seinen Augen wichtiges, fatales Muster der iranischen Zeitgeschichte aufmerksam machen: Immer wieder bedienen sich die Machthaber der Schläger- und Mörderbanden aus der Unterwelt und spannen sie ein, um rücksichtslos ihre politischen Ziele durchzusetzen. Der Wärter im Evin-Gefängnis hat diesen kriminellen Hintergrund ebenso wie der organisierte Mob, der im Auftrag einiger Schah-treuer Generäle und der CIA im Jahre 1953 Premierminister Mosaddegh aus dem Amt putscht.
Das alles kommt in der Trilogie vor. Wenn Cheheltan dann weiter erzählt über gedungene Mörder, die während der "konstitutionellen Revolution" (enghelab-e mashruteh) Anfang des 20. Jahrhunderts mitten in Teheran mit Messern Männer abschlachteten, weil diese Anzug und Krawatte trugen und dadurch angeblich als Anhänger des politischen Wandels weg von der absoluten Monarchie erkennbar waren, spürt man, dass er noch mehr Romane schreiben wird.
Reformen in Verruf
Die Geschichten der Trilogie sind Fiktion. Aber wer wissen will, was wirklich in der Islamischen Republik los ist, kann sich kaum ein genaueres Bild machen als bei dieser Lektüre. Insofern hat Cheheltan für die Entlarvung des Regimes eine ähnliche Bedeutung wie Alaa al-Aswani für das Ägypten Mubaraks und Yasmina Khadra für das von Militärdiktatur und Bürgerkrieg geschundene Algerien der neunziger Jahre.
Es fällt auf, dass Cheheltan an der Geschichte seines Landes leidet, weil einfach zu viel Gewalt geschehen ist. Er reibt sich auf an dem unlösbaren und hierzulande nicht unbekannten Paradox, dass diese Gewalt sich aus einer im Grunde zivilisierten Nation entfesselt.
Wohl deshalb ist er gegen eine neue Revolution, die in seinen Augen nur eine neue Gewaltorgie heraufbeschwören würde. Cheheltan hält eine solche gewaltsame Erhebung gegen das Regime auch für unwahrscheinlich, weil die Mehrheit die Folgen fürchte. "Einen militärischen Angriff von außen lehnen die Leute ebenso ab", fügt er hinzu. "Insofern bleibt nur ein Weg: Reformen."
Wie schlecht die Aussichten auf friedlichen Wandel sind, weiß Cheheltan allerdings auch, ist die iranische Reformbewegung mit ihrer Linie der allmählichen gesellschaftlichen Öffnung doch vor drei Jahren gescheitert, als die friedlichen Massenproteste gegen die Wiederwahl Ahmadinedschads brutal niedergeschlagen wurden. Bei vielen Gegnern des Regimes ist deshalb der Begriff "Reform" in Verruf geraten. "Die Anführer der Reformbewegung haben enttäuscht", relativiert Cheheltan. "Aber die Idee der Reform hat immer noch viele Anhänger."
Ende Mai beendet der Schriftsteller seine Lesereise durch Deutschland und kehrt in den Iran zurück. Wir dürfen gespannt sein, welches Szenario der Veränderung sich entfalten wird.
Stefan Buchen
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de