"Arabische Musik kann universell sein"
In mittlerweile sieben Alben versuchen Sie, einen für Sie charakteristischen musikalischen Weg zu gehen. Was sind die grundlegenden Eigenschaften Ihrer Musik?
Adel Salameh: Mein erstes Album "Solo" erschien 1994 in Japan. 1995 folgte "Mediterraneo", ein Album, das ich zusammen mit dem Musiker Eduardo Niebla aufgenommen habe und auf dem arabische Musik begleitet von Flamenco-Melodien zu hören ist. Danach erschien "The Arab path to India", auf dem ich eine weite Reise durch die indische Musiklandschaft unternahm und dabei Elemente arabischer Musik eingeflochten habe.
"Kanza", das vierte Album, ist eine Reise durch über vierzig Länder. Die Algerierin Naziha Azzouz singt auf der CD, Barbaros Erkose aus der Türkei spielt die Klarinette, begleitet von dem marokkanischen Tamburin-Spieler Abdel Rhani Krija. "Kanza" ist eine Vertonung von Gedichten von Nizar Qabbani und Abi Qassem Shabi, wobei wir auf klassische Tonarten, also "Maqamat", und Rhythmen zurückgegriffen haben.
"Kanza" hat einen sufistischen Charakter und ist von dunklen Tönen geprägt. Mit Sufismus bezeichne ich hier eine Musik, die sehr langatmig ist. Die Sängerin singt konstant eine Note, was in Begleitung der Ud und des warmen Klarinettenklanges sehr anspruchsvoll ist.
Auf dem Album "Hafla" ist die Stimme wie ein musikalisches Instrument. Hier stehen Rhythmus, Klarinette, Schlagzeug, Geige und die Tonlagen von Naziha Azzouz' Stimme im Vordergrund. Auf "Hafla" habe ich mich auf die Stimme und nicht auf Worte konzentriert. Allein die Stimme ist hier die musikalische Philosophie.
Mein Ziel war es, Formen des musikalischen Ausdrucks außerhalb des Wortes zu schaffen, um damit die Zuhörer in der Vielfältigkeit ihrer Sprachen und musikalischen Prägungen zu erreichen. In meinem letzten Album kehrte ich zum musikalischen Erbe und zur Musik in Reinform zurück. Den Wurzeln der arabischen Musik entnahm ich den Maqam des Hizam, eine seltene Tonart, die ich wieder zum Leben erwecken wollte.
Ihre erste musikalische Station war Deutschland. Wie kam es zu Ihrem ersten Konzert in Deutschland?
Salameh: Seit meiner Kindheit höre ich Ud-Musik. Meine Mutter sang und mein Vater liebte es, dem Gesang von Farid al-Atrasch zu lauschen. Ich habe Musik in Jordanien studiert, nicht in Ägypten, da mir die ägyptischen Behörden die Einreise verweigert haben, weil ich einen palästinensischen Pass habe. Als Palästinenser konnte ich auch nicht in andere arabische Staaten reisen.
Während des Studiums habe ich meine Fähigkeiten weiter verfeinert. Nach dem Studium ging ich in den Irak, wo ich bis 1990 in Bagdad am Institut der Schönen Künste bei Munir Baschir und Muataz al-Bajati mein Studium fortsetzte. Ich habe den Irak nur wenige Tage vor dem irakischen Überfall auf Kuwait verlassen.
Ich wollte immer weiter lernen und alles mitnehmen, wollte aber nichts weitergeben. Bis ich als palästinensischer Ud-Spieler die Einladung erhielt, ein Konzert in Saarbrücken zu geben. Eigentlich war Munir Baschir als Gast vorgesehen, er durfte den Irak jedoch nicht verlassen. Also lud man mich als seinen Schüler ein. Es war mein erstes Konzert, und der Abend wurde überraschenderweise ein großer Erfolg. Das Ereignis, zum ersten Mal vor einem westlichen Publikum zu spielen, wird mir stets in Erinnerung bleiben.
Sie greifen in all Ihren Kompositionen auf die Ud zurück. Welche musikalischen Spielräume können sich der Ud in Beziehung mit anderen Musikgattungen noch eröffnen?
Salameh: Die Ud ist das arabische Instrument, es ist das Wesentliche der arabischen Musik. Ein Ud-Spieler entwickelt eine sehr intime Beziehung zu seinem Instrument, er umarmt es förmlich. Man kann die Ud zum Flamenco, zum Jazz, zu indischer Musik oder in Begleitung eines europäischen Orchesters spielen.
Wenn man manchmal sagt, dass die Möglichkeiten der Ud begrenzt seien, so liegt es an dem, der sie spielt und nicht an dem Instrument selbst. Ich habe die Ud mit vielen nicht-arabischen Musikarten erfolgreich kombinieren können, wobei sie von allen möglichen Instrumenten begleitet wurde. Die Ud ist ein Instrument, das den Charakter der Araber und ihr Gefühlsleben erfasst.
Sie haben mit Musikern zusammengearbeitet, die nicht aus der arabischen Musikkultur stammen. Haben Sie von der Zusammenarbeit mit anderen Musikern profitieren können?
Salameh: Die Arbeit mit Anderen erfordert nicht nur ständige musikalische Offenheit, man muss sich auch auf kultureller Ebene dem Anderen gegenüber öffnen und den Willen haben, ihn kennen zu lernen und sich ihm nicht zu verschließen. Wie kann man mich auf musikalischer Ebene akzeptieren, wenn man mir kulturell gegenüber nicht aufgeschlossen ist? Nur wenn dies geschieht, kann man gemeinsam an der Musik arbeiten.
Ich habe mit Jazzgruppen zusammengearbeitet, in denen sehr fähige Musiker spielten. Sobald arabische Musiker mit Kollegen aus anderen Kulturen zusammenarbeiten, ist ihre Bereitschaft zum gegenseitigen Verständnis die wichtigste Vorraussetzung.
Wenn ich in Begleitung eines Pianos, eines Akkordeons oder einer Gitarre spiele, trete ich dem Instrument und dem kulturellen Hintergrund, den es repräsentiert, vollkommen offen gegenüber. Bei der Zusammenarbeit haben weder ich noch die anderen Musiker versucht, uns in irgendeiner Weise ein musikalisches Diktat aufzuzwingen. Auf der Ebene der Musik konnten wir einen Dialog führen; der Dialog ist es, der den künstlerischen Geist ausmacht und für den ich mich in meiner musikalischen und kulturellen Arbeit in Europa einsetze.
Ist es möglich, Tonarten der traditionellen Musik in der modernen Musik umzusetzen?
Salameh: Arabische Tonarten und Rhythmen sind für die Ewigkeit gemacht. Sie geben das Ausmaß des arabischen Hörvermögens wider, sind zwar für das fremde Ohr schwierig, nicht jedoch für das arabische. Die Rhythmen können mit der Zeit erlernt werden, was aber das Komponieren von arabischen Melodien angeht, so muss man dazu in der arabischen Welt aufgewachsen sein. Wir verwenden Hunderte von Tonfolgen, wohingegen die Europäer nur über eine begrenzte Anzahl von Tonarten verfügen. Ein Europäer vermag es nicht, so zu singen oder zu komponieren wie wir.
Ihre Kompositionen wenden sich an ein westliches Publikum. Wie reagieren die Zuhörer, die einer anderen Musikkultur angehören, auf die arabische Musik, die sie bei Ihnen hören?
Salameh: Die arabische Musik drückt eine starke Sehnsucht nach der Seele, nach Empfindungen und Unverkrampftheit aus. Hört das Publikum diese Musik, gerät es in einen rauschähnlichen Zustand. Diese Verzückung hängt damit zusammen, dass die arabische Musik den Menschen im Innersten bewegt. Gut möglich, dass wir diese Berührung auch Wehmut nennen können. Arabische Musik kann universell sein. Ich habe in mehr als vierzig Ländern vor Zuhörern mit unterschiedlichen musikalischen Hintergründen gespielt, und es war stets ein großer Erfolg.
Dabei konzentrierte ich mich immer auf die Ud und habe mit ihr diese Konzerte gestaltet. Der arabische Musiker kann keinen Erfolg haben, wenn er die Musik seines traditionellen Erbes außer Acht lässt. Vom Erbe auszugehen, ist die Voraussetzung für die Universalität. Spiele ich nicht-arabische Musik, so kann ich den Anderen nicht in Erstaunen versetzen. Der Andere kann sich mit seiner Musik über mich stellen. Wenn ich jedoch unsere Musik auf ihre ursprüngliche Art spiele, kann sich das Publikum daran berauschen. Nur dann erhalte ich seine Zustimmung, es genießt die Musik und zollt mir Respekt.
In ihren Werken kommen keinerlei Slogans vor. Palästina erwähnen Sie selten. Verstehen Sie sich nicht als einen palästinensischer Musiker?
Salameh: Ein Stück auf meinem letzten Album heißt "Die Tore Jerusalems". Ich schrieb hier über die Tore einer Stadt mit einer tragischen Geschichte. Musiker aus verschiedenen Ländern spielten bei diesem Stück mit. Ich möchte Palästina in meiner Musik repräsentieren, nicht durch reißerische Losungen. An Palästina hängt mein Herz. Meine Melodien und meine Musik stehen für mich, nicht aber Slogans oder politische Haltungen. Letztendlich bestreite ich jedes Konzert als Palästinenser. Palästina ist ein Teil der arabischen Welt und als solches untrennbar mit ihr verbunden, sowohl in der Musik als auch in der Kultur.
Interview Saleh Diab
Aus dem Arabischen von Helene Adjouri
© Qantara.de 2006
Qantara.de
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Website von Adel Salameh