Friedenskämpfer und Stimme der Vernunft
Als Amos Klausner erblickte Amos Oz am 4. Mai 1939 in Jerusalem das Licht der Welt. Der Junge wuchs in einem von osteuropäischen Juden geprägten Stadtviertel auf. Die Familie seines Vaters war nach der russischen Revolution 1917 von Odessa nach Vilnius geflüchtet und 1933 nach Palästina ausgewandert. Ein Teil seiner Familie kam im Holocaust ums Leben.
Nach dem tragischen Selbstmord seiner Mutter trat Amos im Alter von nur 15 Jahren dem Kibbuz Chulda bei. Zum Leidwesen seines Vaters legte er dort seinen Familiennamen ab und nahm den Namen Oz an, was auf Hebräisch soviel wie Kraft oder Stärke bedeutet. Jetzt ist Amos Oz im Alter von 79 Jahren gestorben - im Kreise seiner Familie.
Umgeben von vielen Sprachen
Der Vater von Amos Oz stammte aus einer Gelehrtenfamilie und sprach als Bibliothekar und Literaturwissenschaftler zwölf Sprachen, die Mutter von Amos Oz sieben Sprachen. Ihren Sohn lehrten sie trotzdem nur Hebräisch. Ironischerweise kehrte Oz später in die Vielsprachigkeit zurück: Seine Werke wurden in knapp 40 Sprachen übersetzt, was ihn zum am meistübersetzten israelischen Autor machte.
Von 1960 bis 1963 studierte Amos Oz an der Hebräischen Universität von Jerusalem Literatur und Philosophie. Nach seinem Studium kehrte er in den Kibbuz zurück, 1986 siedelte er mit seiner Familie nach Arad in der Negev-Wüste über. An der Ben-Gurion Universität des Negev, Beesheba, lehrte er von 1987 bis 2005 Hebräische Literatur und erhielt dort 1993 den begehrten Agnon-Lehrstuhl für moderne hebräische Literatur.
2014 wurde ihm vom Trinity College in Dublin die Ehrendoktorwürde verliehen. "Der große Charakterschriftsteller unserer Zeit"- so nannte ihn einmal die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" - wurde mit Auszeichnungen überschüttet, von deutscher Seite erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, den Goethe-Preis, den Heinrich-Heine-Preis und den Siegfried-Lenz-Preis.
Schreiben im politischen Spannungsfeld
Der soziale Mikrokosmos im Kibbuz, die vielfältigen Spannungen und Unsicherheiten im noch jungen Staat Israel, sowie die andauernden Konflikte zwischen Israelis und Palästinensern, sind Hauptthemen im umfangreichen Werk des Amos Oz. Schon mit seinem ersten Erzählband "Wo die Schakale heulen" tauchte er 1965 in der Literaturwelt auf.
Weltberühmt wurde Oz 1968 durch seinen zweiten Roman "Mein Michael", der auf Deutsch erst 1976 erschien. Im Mittelpunkt steht eine junge Frau, die sich nach dem Scheitern ihrer Ehe in ihren Träumen zu zwei arabischen Zwillingsbrüdern flüchtet.
Seine Romanfigur interessiert sich nicht sonderlich für Politik, aber dennoch spiegelt sich in ihrem Schicksal der Prozess der Identitätsfindung des jungen jüdischen Staates wieder. In Amos Oz' Roman wurde erstmals das Tabu von Beziehungen zwischen Juden und Arabern gebrochen.
Seine zahlreichen, von seinem Leben im Kibbuz inspirierten Romane – darunter der Bestseller "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis", "Der perfekte Frieden", "Eine Frau erkennen", "Der dritte Zustand", "Wenn die Nacht nicht Nacht", "Ein anderer Ort", "Verse auf Leben und Tod", "Allein das Meer" und "Judas" - waren alle autobiographisch grundiert.
Friedens-Rebell aus der Wüste
Nach dem Sechs-Tage-Krieg war Amos Oz Mitbegründer und international bekannter Vertreter der seit 1977 bestehenden Friedensbewegung "Schalom Achschaw" (Peace Now). Oz machte sich mit seinem politischen Engagement nicht überall beliebt. Bevor er 1998 den Israel-Preis für Literatur verliehen bekam, brach deshalb in Israel eine hitzige Kontroverse über seinen politischen Standpunkt los.
In drei Vorlesungen, die Amos Oz 2002 an der Universität Tübingen hielt und die später in dem Buch "Wie man Fanatiker kuriert" veröffentlicht wurden, räumte er bewusst einige Missverständnisse aus: Die israelische Friedensbewegung sei "keine Zwillingsschwester" der deutschen Friedensbewegung. Und er sei kein Pazifist im sentimentalen Sinn des Wortes, sondern ein Verfechter politischer Kompromisse.
Amoz Oz kämpfte selbst während des Sechs-Tage-Krieges auf dem Sinai, und während des Jom-Kippur-Krieges auf den Golan-Höhen. Als aktiver Soldat hat er immer wieder das Recht Israels auf Selbstverteidigung betont, was ihm wiederum Kritik von anderer Seite einbrachte. Gleichzeitig verurteilte er die Siedlungspolitik der israelischen Regierung.
Den pazifistischen Slogan "Make love not war" hielt Oz für unrealistisch. Es solle besser "Make peace not love" heißen, betonte Oz in zahlreichen Interviews, aber das ginge nur über politische Kompromisse. Fanatismus, auch das Thema seines Romans "Black Box", könne man nicht heilen, sondern nur in Grenzen halten.
Literatur ist mehr als Politik
Im israelisch-palästinensischen Konflikt befürwortete Oz immer eine Zwei-Staaten-Bildung, wie er 2014 betonte: "Mein Vorschlag ist, die Bedingungen für eine Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israel und dem Westjordanland zu akzeptieren: Zwei Hauptstädte in Jerusalem, beidseitig akzeptierter Landtausch, Beseitigung der Siedlungen. (…) Aber ich werde Ihnen sagen, was meine Hoffnung und mein Gebet für die Zukunft von Israel ist. Ich würde Israel gerne für alle Zeiten von den Titelseiten der Zeitungen weltweit verschwinden sehen und möchte stattdessen sehen, wie es Siedlungen in den Literatur-, Kunst-, Musik- und Architektur-Beilagen erobert, besetzt und baut. Das ist mein Traum für die Zukunft."
Amos Oz wurde Zeit seines Lebens als politischer Intellektueller und als Friedenskämpfer wahrgenommen, und als Vermittler zwischen den Israelis und den Palästinensern. Aber Oz selbst wollte sein literarisches Werk nicht auf eine politische Botschaft reduzieren lassen.
Er wies in seinen Reden und Publikationen immer wieder drauf hin, dass die Problematik zwischenmenschlicher Beziehungen nicht auf die Lebensbedingungen in einem konkreten politischen Kontext zurückführen sei, sondern auf tieferliegende Abgründe der menschlichen Seele - eine Seele, die nur zufälligerweise in einem bestimmten Land zu einer bestimmten Zeit lebt.
Der deutsche Außenminister Heiko Maas würdigte Amos Oz als "mutigen, unerschrockenen Verfechter eines Friedens im Nahen Osten". Maas betonte, Oz habe mit seinen "außerordentlichen literarischen Werken" auch ein Stück israelische Zeitgeschichte beschrieben und scheinbare Gewissheiten in Frage gestellt. "Er hat uns immer wieder mit seinen klugen, mahnenden Worten zum Nachdenken gebracht und uns daran erinnert, dass der Frieden nur kommt, wenn wir dafür kämpfen", erklärte der SPD-Politiker.
Angelika Ditscheid
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