Blinde Solidarität
Verschiedene Organisationen, die sich dem Kampf gegen den Imperialismus verschrieben haben, haben zu einer Spendenkampagne zugunsten des "irakischen Widerstands" aufgerufen, ohne jedoch genauer zu hinterfragen, wer mit diesem Begriff eigentlich gemeint ist.
Folgende Gruppierungen finden sich unter den Unterstützern der Kampagne: die "Antiimperialistische Koordination" in Deutschland und Österreich, "Red Action" aus Nürnberg, die "Linke Front" aus Ungarn, ein Teil der Kommunistischen Partei Österreichs, einige Friedensgruppen sowie der "Arabische Palästina Club" in Wien.
Die Genfer Konvention
Durch Informationsveranstaltungen in verschiedenen deutschen Städten haben diese Organisationen versucht, weitere Unterstützer für ihre Kampagne zu gewinnen. Sie berufen sich auf die Genfer Konvention, die allen Völkern das Recht auf Widerstand gegen fremde Besatzung einräumt.
Gerechtfertigt wird die groß angelegte Spendenkampagne weiterhin mit der Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen. Dabei wird völlig ignoriert, dass Terrorismus gegen Zivilisten im Namen des Widerstandes gegen eine Besatzung dort ausgeschlossen wird. Auch wird einem Volk nicht die Art des Widerstandes vorgeschrieben, die es gegen seine Besatzer ausüben soll.
In einem Telefongespräch mit der Antiimperialistischen Allianz in Wien wurde gesagt, im Irak gebe es verschiedene Gruppierungen, die gegen die amerikanische Präsenz kämpften. Einige wählten den friedlichen Wege, andere den des Terrorismus. Auf die Frage, welche Gruppierungen denn von der Allianz unterstützt würden, kam die unmissverständliche Antwort: "Alle".
Mehrheit der Iraker gegen bewaffneten Widerstand
Natürlich ist der Irak - trotz der Zugeständnisse der USA und Großbritanniens - ein besetztes Land. Das irakische Volk hat daher das Recht auf Widerstand gegen diese Besatzung. Nur das irakische Volk selbst ist jedoch dazu berechtigt, in der jetzigen Phase die angemessenen Mittel für den Widerstand gegen die Besatzung zu wählen.
Und das Volk entschied sich mit deutlicher Mehrheit für einen politischen, diplomatischen Weg, um mit der Unterstützung durch die Vereinten Nationen und die internationale Staatengemeinschaft das Ende der Besatzung herbeizuführen. Auf meiner letzten Reise in den Irak – 25 Jahre nach meiner Ausweisung – wurde dies sehr deutlich. Auch das Mitwirken der wichtigsten politischen Kräfte in der Übergangsregierung ist ein Zeichen für diese Entwicklung.
Kriege, Terror, Wirtschaftsembargo
Dass die Iraker die politische Alternative bevorzugen, hat seine Gründe. Drei grausame Kriege zerstörten die Wirtschaft und brauchten die physischen und psychischen Kräfte des Landes vollständig auf.
Dazu kamen die grausamen inneren Kriege, die gegen verschiedene Volksgemeinschaften geführt wurden, der allgegenwärtige Terror, Todesurteile und Todesbrigaden sowie das Wirtschaftsembargo, durch das Jahre lang Millionen von Kindern schon allein der Anblick von Bananen vorenthalten worden war.
Das irakische Volk wurde vollständig aufgerieben. Jetzt von ihm zu verlangen, sich gegen die Amerikaner zu erheben und sie mit Waffengewalt zu bekämpfen, wäre wie von Sisyphus zu verlangen, den Felsbrocken gegen das Gesetz der Schwerkraft auf die Bergspitze zu rollen. Das Volk wünscht sich Frieden, Ruhe, Sicherheit und sein tägliches Brot. Ehemals all ihrer Rechte beraubt, versuchen die Menschen zunächst einmal, ihre Würde zu wahren, bevor sie die Waffen gegen irgendjemanden erheben.
Gewaltbefürworter isoliert
Die überwiegende Mehrheit der Iraker ist gegen die Besatzung und fordert deren Beendigung, sobald das irakische Volk die Macht zurückerhalten und sich die Sicherheitslage stabilisiert hat. Selbstmordattentate und Anschläge auf Zivilisten, Telefon– und Stromleitungen, internationale Menschenrechtsorganisationen und die Vereinten Nationen werden entschieden abgelehnt.
Wer sich zu der Zeit, in der Saddam Hussein festgenommen wurde, in irakischer Gesellschaft befand, konnte die große Freude darüber miterleben und feststellen, wie stark sich diejenigen innerhalb der Gesellschaft isoliert haben, die auf Terror und Selbstmordattentate setzen.
Wer ist der "irakische Widerstand"?
Was jetzt als "irakischer Widerstand" bezeichnet wird, ist im Grunde eine Art geheimer "Teufels"-Pakt zwischen den verbliebenen Schergen Saddams, den geheimen Sicherheitsorganen des alten Systems, Teilen der ehemaligen Präsidialgarde, von Al-Qaida, Ansar al-Islam und Dschihad.
Dazu gesellen sich Kriminelle, die Saddam Hussein in der Nacht vor den Angriffen auf Bagdad zu Tausenden aus den Gefängnissen entlassen hat, ebenso die Militärs, die auf ihre Privilegien verzichten mussten und die Baathisten, die durch den Wechsel ihre Macht eingebüßt haben.
Natürlich gibt es auch kleinere nationalistische Gruppierungen, die die alliierten Streitkräfte mit Waffen bekämpfen. Sie zielen jedoch auf die Amerikaner und die Briten, nicht auf Zivilisten oder Mitarbeiter ausländischer Organisationen. Dennoch wurden auch derartige terroristische Aktionen in der Vergangenheit von Vielen verurteilt.
Selbstmordattentäter sind keine Iraker
Auch Selbstmordattentate hat es im Irak, anders als in Palästina, Libanon, Iran und Japan, in der Vergangenheit nicht gegeben. Wir haben von keinem Iraker gehört, sei er Schiit, Sunnit, Kurde oder Turkmene, der zum Selbstmordattentäter wurde.
So schlug die republikanische Armee den Aufstand im März 1991 gnadenlos nieder, wobei mehr als 100.000 Iraker ums Leben kamen. Die Aufständischen wurden bis zum Tode bekämpft, dabei ahnten sie, dass der Tod unausweichlich war. Trotzdem wurde kein einziges Selbstmordattentat verübt.
Täglich zeigt sich, dass die Selbstmordattentäter Algerier, Palästinenser, Syrer und Saudis (Wahhabiten) sind, die über die lange Grenze Iraks mit Iran, Syrien und Saudi-Arabien ins Land gelangen. Derzeit sitzen über 300 Ausländer, die mit den Terrornetzwerken in Verbindung stehen, in amerikanischen Gefängnissen im Irak ein.
Das Bindeglied zum "irakischen Widerstand"
Man rühmt sich damit, dass Abdel Jabbar Al-Kubaisy die Verbindung zum "irakischen Widerstand" sei, ehemals Mitglied der regionalen Führungsgremien der irakischen Baathpartei. Er gehörte mit zu den Anführern des "blutigen Putsches vom 8. Februar 1963", nach dem hunderttausende Kommunisten und Demokraten in Gefängnissen verschwanden und mehr als 5.000 Menschen zu Tode gefoltert worden waren.
Nach Informationen eines altgedienten Funktionärs der irakischen kommunistischen Partei war Al-Kubaisy Brigadeführer einer Einheit der Nationalgarde, die an diesem 8. Februar 1963 die Kommunisten liquidieren sollte. Al-Kubaisy und seine Einheit gelten als verantwortlich für die Tötung von 126 Menschen während dieses blutigen Putsches.
Später flüchtete Al-Kubaisy nach Syrien und schloss sich der Führung des irakischen Flügels der dortigen Baath-Partei an, der Syrien loyal gegenüberstand. Er blieb dort, bis der zweite Golfkrieg ausbrach und er des Landes verwiesen wurde, da er der Besetzung Kuwaits zustimmte.
Al-Kubaisy ließ sich zunächst in Frankreich nieder und nahm dann seine geheimen Verbindungen zu Saddam Hussein wieder auf. Einige Wochen vor Beginn des letzten Krieges reiste er schließlich in den Irak, wo er von Saddam Hussein als "Oppositioneller" persönlich empfangen wurde – als Teil einer demagogischen Kampagne, mit der Saddam versuchte, von der drohenden Kriegsgefahr abzulenken.
In Syrien lebende Iraker erzählen, dass sich Al-Kubaisy dort einen Ruf als "Kommunistenfeind" erworben hat, nachdem er auf verschiedenen Veranstaltungen mehrmals wiederholt hatte: "Was Saddam mit den Kommunisten getan hat, war nicht genug. Wartet ab, bis ich im Irak an der Macht bin, dann werdet Ihr sehen, was ich mit den Kommunisten tun werde".
Iraker sind Opfer des Terrors
Jüngsten Statistiken zufolge forderten die bewaffneten und selbstmörderischen Anschläge des "irakischen Widerstandes" über 3.000 Todesopfer, darunter nur 300 amerikanische oder britische Soldaten, alle anderen waren Iraker. Neben 700 irakischen Polizisten traf es Zivilisten, Frauen und Kinder.
Eine weitere internationale Statistik beziffert die aktuelle irakische Bevölkerung auf 21 Millionen Menschen, darunter 700.000 Kriegsinvaliden, 750.000 Kriegswitwen und 5 Millionen Waisen.
Für die Opfer spenden!
Es gibt nun zwei Möglichkeiten für die Unterstützer des "irakischen Widerstandes" in Deutschland und Österreich: Entweder sammeln sie Spenden für die Angehörigen der Opfer der Massengräber, die Kriegsversehrten, Witwen und Waisen, um der Pflicht nachzukommen, deren Leid zu mindern.
Oder sie sammeln weiterhin Spenden für diejenigen, die mit ihren Selbstmordattentaten Zivilisten treffen und damit die Zahl der Invaliden, Witwen und Waisen noch erhöhen.
Eine letzte Frage: Wir haben mehr als 30 Jahre lang gegen das Regime von Saddam Hussein gekämpft. Warum wurde für uns während dieser Zeit kein einziger Pfennig gesammelt?
Magid Al-Khatib
Aus dem Arabischen von Helene Adjouri
© Qantara.de 2004