Wenn die Wasserbüffel sterben
"Wenn die Wasserbüffel nicht mehr im Wasser stehen, dann sterben sie. Dann werden ihre Augen rot und sie können nicht mehr weiterleben." Hussam Qais Taha rudert mit dem schmalen Boot durch das Schilf des Marschlandes und zeigt auf einen Büffel, der tot im Wasser treibt. Wie viele dieser Tiere schon verendet sind, kann er nicht genau sagen, "aber es sind Hunderte“. Wenn der Wasserspiegel in dem Marschland im Südirak, das als Unesco Weltkulturerbe geschützt ist, weiter sinkt, werde es bald keine Tiere mehr geben.
Wasserbüffel müssen ihr Fell im Wasser kühlen, um der Hitze standzuhalten. Wenn der Wasserspiegel zu niedrig ist, breiten sich Bakterien und Viren aus. Die Tiere erblinden, bekommen Krankheiten und sterben. Wenn der König der Sümpfe, der seit Urzeiten hier lebt, wo das biblische Paradies vermutet wird, nicht mehr da ist, werden auch andere Tiere sterben.
"Schon jetzt", weiß Hussam Qais Taha, "gibt es nur noch zwei von ehemals fünf Arten von Fischen in den Sümpfen". Taha ist Sumpfaraber, wie man die Bewohner des Marschlandes nennt. Er ist 23 Jahre alt, hat Frau und Tochter, studiert Chemie an der Universität Basra und will die Sümpfe retten. Das Marschland bietet ihm und weiteren 10.000 Menschen im Gebiet Shafi im Nordosten von Iraks zweitgrößter Stadt Basra einen Lebensraum. Doch dieser ist so bedroht wie noch nie.
Jeder Sommer lässt mehr Gebiete austrocknen
Ungefähr zehn Wasserbüffel braucht eine Familie, um ihre Existenz zu sichern. Aus der Büffelmilch werden Joghurt, Käse und die im Irak legendäre Frühstücks-Creme "Gemar“ gemacht. Sie wird auf frischem Brot mit Honig gegessen.
Um Haider hat eine effektive Methode zur Vermarktung von Büffelprodukten gefunden. Mit Geld von der Europäischen Union hat sie eine Verkaufsstelle an der Hauptstraße nach Basra errichtet. Das Geschäft läuft gut. Jeder, der die Sümpfe besucht oder in die Nachbarprovinz Maisan im Südosten des Landes fährt, kauft bei Um Haider ein. Doch wenn der Wasserpegel weiter sinkt, wird auch Um Haiders Verkaufsstand nicht weiter bestehen können.
"Jeder Sommer lässt weitere Flächen austrocknen", erklärt Taha. Im letzten Jahr habe das Thermometer wochenlang auf über 50 Grad im Schatten gezeigt. Doch Schatten gebe es in den Sümpfen kaum. Bis zu Um Haiders Verkaufsstelle hätten sich die Feuchtgebiete einst ausgedehnt, jetzt beginne das Wasser erst acht Kilometer dahinter. Und selbst dort sei es nicht mehr flächendeckend feucht.
Bedrohlicher Salzgehalt des Wassers
Die Sumpfgebiete erstrecken sich auf einer Fläche von 211.544 Hektar und bilden ein Feuchtland-Ökosystem in einer extrem trockenen und heißen Umgebung. Dabei sind sie fast vollständig auf den Wasserzufluss von außen angewiesen, was zu ausgeprägten Schwankungen des Wasserstands im Jahresverlauf führt.
So werden die westlichen Ahwar – arabisch für Marschland - um die Stadt Nasseriya vom Euphrat gespeist, während die Sümpfe im Osten um Basra Wasser aus dem Tigris bekommen.
Weil aber beide Flüsse weniger Wasser führen und die steigende Hitze noch mehr Wasser verdunsten lässt, droht auch die Versalzung des Wassers. Menschliche Eingriffe in der Vergangenheit haben diesen Trend noch verstärkt. Die Wasserknappheit von Euphrat und Tigris ist auch auf Dammbauten an den Oberläufen, in der Türkei und den Nebenflüssen im Iran, zurückzuführen.
Die Salzlinie, so nennt es der Agrarwissenschaftler Sajid Saad Hasan, habe sich in den letzten 20 Jahren, seit dem Einmarsch der Amerikaner und Briten in den Irak, um etwa 100 Kilometer landeinwärts verschoben.
Mit der Salzlinie meint der Direktor der Fakultät für Landwirtschaft an der Universität Basra die Grenze, nach der der Salzgehalt des Wassers so hoch ist, dass kein Leben mehr möglich ist. Sie verlaufe jetzt in Abu al Khaseeb, knapp 25 Kilometer südlich von Basra.
Studien seiner Fakultät hätten ergeben, dass der Anteil von Salz am Wasser von ehemals 1,1 Prozent vor 2003 auf zwischen neun und 24 Prozent gestiegen sei.
Selbst die Dattelpalmen sterben
Die UN-Organisation World Food Programme (WFP) hat festgestellt, dass neun Milliarden Kubikmeter Grundwasser in der Provinz Basra versalzen sind. Damit würde jegliches pflanzliche Leben in den Böden ersticken, so der Professor, und Landwirtschaft sei nicht mehr möglich. Dabei war die Region landesweit einmal bekannt für ihre besonders schmackhaften Tomaten und belieferte den gesamten Irak mit dem aromareichen roten Gemüse. Heute käme alles aus dem Iran, sagt Sajid, "bei uns wächst nichts mehr".
Schuld daran sei, dass der Shatt al-Arab, der Euphrat und Tigris vereint, immer weniger Wasser führe. Daher reiche das Süßwasser des Flusses nicht mehr aus, um das Salzwasser des Meeres zurückzudrängen. Die Folge sind versalzenes Wasser und Böden. "Nicht einmal mehr die Dattelpalmen ertragen so viel Salz, obwohl sie als robust gelten. Auch sie sterben ab“.
Obwohl der Irak 2020 dem Pariser Klimaabkommen beigetreten ist und demnach alles tun müsste, um Treibhausgase zu reduzieren und gegen steigende Temperaturen vorzugehen, ist bis jetzt nichts Wesentliches geschehen. Zwar leistete sich das Land einen prestigeträchtigen Pavillon beim UN-Klimagipfel COP 28 im Dezember 2023 in Dubai und der Premierminister kündigte zeitnah an, eine Baumpflanzaktion im großen Stil zu starten.
Verseuchtes Grundwasser
Aber mehr tut die Regierung nicht. Nach wie vor wird das bei der Ölförderung anfallende Gas in die Luft gepustet, werden in den Städten die ohnehin spärlichen Bäume gefällt, um Wohnraum für vom Land in die Stadt Flüchtende zu schaffen und die Landwirtschaft hat keine Chance gegen die mächtige Öl-Lobby.
"Ich habe das geringste Budget der ganzen Uni", klagt Professor Sajid, "und nur 14 Studenten, die ihren Abschluss bei mir machen". Die Wirtschaftsfakultät hätte dagegen 4.000 Studenten.
Alaa Bedran sitzt bräsig auf seinem Stuhl in der Umweltabteilung der Provinzverwaltung von Basra. Seitdem Demonstranten 2018 das Gebäude des Provinzrats in Brand gesteckt und ihrem Ärger über untätige Regierungsbeamte, korrupte Abgeordnete und ideologisierte islamische Parteien Luft gemacht haben, muss Umweltdezernent Bedran mit einem Container vorliebnehmen, der provisorisch vor dem Gebäude der Hafenverwaltung platziert ist.
Dass das Grundwasser in der Provinz verseucht sei, stimme nicht, behauptet er. Nein, diese Verschmutzung habe es schon immer gegeben. Immerhin räumt der Beamte ein, dass durch die Erschließung und Ausweitung neuer Ölfelder derzeit 70 Prozent der Agrarflächen von den Ölgesellschaften benutzt würden, Tendenz steigend. Doch Bedran macht nicht den Eindruck, als ob sich daran jemals etwas ändern ließe.
Wenig Wasser und viele tote Tiere: Klimakrise extrem im Irak
Agrarwissenschaftler Sajid Saad Hasan in Basra und Hussam Qais Taha in den Sümpfen sind aber zumindest froh, dass die Verantwortung der Ölindustrie für den Klimawandel bei der Umweltkonferenz in Dubai zumindest auf der Tagesordnung stand.
Es war das erste Mal auf einer Klimakonferenz, dass dem Problem Raum eingeräumt wurde. Wie die Rettung des Klimas mit den wirtschaftlichen Interessen verbunden werden kann, das sei die Herausforderung der Zukunft für die ganze Region, meinen die beiden.
Denn auch das Zweistromland finanziert sich, wie die Golfstaaten, überwiegend durch Ölverkäufe – im Irak stammen über 90 Prozent des Staatshaushalts aus den Ölexporten. Andere Einnahmen sind marginal. Hussam Qais Taha zeigt auf eine Stelle neben seiner Schutzhütte für die Büffel: "Bis hierhin reicht Rumaila, das größte Ölfeld der Welt." Wenn sie hier anfangen zu bohren, müssten die Tiere weichen. "Wenn es die Wasserbüffel bis dahin überhaupt noch gibt."
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