Reformen durch Facebook?

Die Diffamierung einer indonesischen Muslima wurde durch die sozialen Medien publik und löste eine Debatte über das indonesische Strafrecht aus. Genauso schnell wie das Interesse erzeugt wurde, war es auch schon wieder verflogen.

Von Arjuna Dibley

Am Tag nach Indonesiens letzter Präsidentschaftswahl-Kampagne, die am 3. Juni 2009 begonnen hatte, machte die damalige Kandidatin Megawati Sukarnoputri gemeinsam mit ihrem Vizekandidaten Prabowo Subianto einen überraschenden Zwischenstopp in der Stadt Tangerang in West-Java.

Dort besuchten sie Prita Mulyasari, eine junge Mutter, die sich gegen zwei Anzeigen rechtswidriger Verleumdung zur Wehr setzte. Kurze Zeit später bezogen der damalige Vize-Präsident Jusuf Kalla, General Wiranto und Präsident Susilo Bambang Yudhoyono – der gewöhnlich nicht in Diskussionen um Rechtsangelegenheiten eingreift – öffentlich Stellung zu dem Verleumdungsfall.

Mit ein Grund für dieses bisher nie da gewesene Ausmaß an politischer Verurteilung, Medienschelte und öffentlicher Debatte über die Gesetzgebung zur rechtswidrigen Verleumdung war eine Kampagne in den sozialen Medien, die sich mit dem Fall Mulyasari befasste. Aktivisten nutzten die sozialen Medien, um auf die Probleme der indonesischen Strafgesetze hinzuweisen.

Prita Mulyasari vor dem Gerichtsgebäude in Tangerang, Foto: AFP
Opfer einer überkommenen Justiz und einer veralteten Strafgesetzgebung: Die 34jährige Prita Mulyasari wurde wegen Diffamierung vom Obersten Gericht in Jakarta zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt, Foto: AFP

​​Doch obwohl es den Meinungsmachern der sozialen Medien gelang, die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Problematik zu lenken, so vermochten sie es bis heute nicht, langfristige Gesetzesreformen herbeizuführen. Was war geschehen?

Eine E-Mail wie ein Virus

Der Fall Mulyasari begann 2008 mit einer E-Mail, die sie an eine Gruppe von etwa 20 Freunden und Arbeitskollegen versandte, und in der sie sich über die Behandlung in einem Privatkrankenhaus in Tangerang beschwerte. In der E-Mail behauptete sie, im Krankenhaus falsch diagnostiziert worden zu sein und vom Krankenhaus unnötige Behandlungen erhalten zu haben, welche allein dem Zweck dienten, die Arztrechnung zu erhöhen.

Ferner berichtete Prita Mulyasari in ihrer Mail, dass sie auf Unverständnis stieß, als sie sich bei der Krankenhausleitung über die Behandlung beschwert hatte. In den folgenden Monaten verbreitete sich Mulyasaris private E-Mail wie ein Virus über das Internet, kursierte auf Blogs und neuen Webseiten und wurde sogar in voller Länge auf der bekannten Nachrichtenseite detik.com veröffentlicht.

Anfang 2009 wurden schließlich Mulyasaris behandelnde Ärzte auf die Mail aufmerksam. Neben dem bereits angestrengten Verleumdungsprozess zeigten die Ärzte sie bei der Polizei in Tangerang wegen rechtswidriger Verleumdung an. Im April 2009 erhob schließlich die Staatsanwaltschaft der Provinz Banten Anklage gegen Mulyasari wegen Verleumdung in zwei Fällen.

Mulyasari hätte innerhalb von 24 Stunden nach ihrer Verhaftung vor einen Richter gebracht werden sollen. Stattdessen missbrauchte die Staatsanwaltschaft ihre Macht: Mulyasari kam mit Verweis auf die indonesische Strafprozessordnung für 21 Tage in Untersuchungshaft.

Über zehn Jahre nach dem Ende der indonesischen "Reformasi"-Bewegung wirft der Fall Mulyasari ein Schlaglicht auf die nach wie vor bestehenden Schwächen der indonesischen Demokratie. Nach dem Sturz Suhartos wurden in der indonesischen Verfassung von 1945 die Bürgerrechte um das Recht der freien Meinungsäußerung erweitert. Der Fall Mulyasari zeigte jedoch, dass es nach wie vor eine Reihe rechtlicher Hindernisse zu überwinden gibt, die Reform des veralteten Strafgesetzbuches eingeschlossen.

Neue und alte drakonische Strafen

Indonesiens Strafgesetzbuch (das während der Kolonialzeit eingeführt worden war und sich am niederländischen Gesetzbuch orientierte) sieht Haftstrafen und/oder Bußgelder für jede Person vor, die bewusst Diffamierungen oder Unwahrheiten aufstellen, die die Reputation der betreffenden Person oder Institution schädigt.

Aufgrund eines neuen, sehr umstrittenen Gesetzes von 2009 wurden rechtswidrige Verleumdungen im Internet oder in elektronischen Medien verstärkt geahndet. Diesbezügliche Rechtsübertritte können mit einem Bußgeld von bis zu 123.000 US-Dollar geahndet werden oder mit einer Haftstrafe von bis zu sechs Jahren. Mulyasari wurde sowohl unter dem alten als auch unter dem neuen Gesetz wegen rechtswidriger Verleumdung angeklagt.

Geldsammeln für Prita Mulyasa imm Rahmen der Coin Prita-Kampagne; Foto: ADEK BERRY/AFP/Getty Images
"Solidarität mit Prita Mulyasari!": Im November 2009 hatte die Facebook-Seite "Eine Münze für Prita" (Koin Peduli Prita) fast 400.000 Unterstützer. Im Dezember 2009 beendeten die Organisatoren die Spendenaktion, nachdem sie umgerechnet mehr als 98.584 US-Dollar gesammelt hatten; Foto: ADEK BERRY/AFP/Getty Images

​​Mulyasaris Fall wurde über einen langen Zeitraum verfolgt, denn die Ankläger legten mehrfach Berufung ein. Die erste Gerichtsverhandlung gegen Mulyasari fand im Juni 2009 in Tangerang statt, wo der Vorsitzende Richter die Anklagen gegen sie aufgrund unzureichender Beweislage abwies.

Auf diese Entscheidung folgte eine Berufung durch die Banten-Ankläger. Das staatliche Gericht hörte den Fall Mulyasari im September 2009 erneut an, sprach sie jedoch wiederum von beiden Verleumdungsklagen frei. Der Freispruch wurde von Aktivisten für Pressefreiheit und freie Meinungsäußerung, die Mulyasari über die sozialen Medien unterstützten, als voller Erfolg gefeiert.

"Eine Münze für Prita"

Der Fall der jungen muslimischen Mutter, die aufgrund einer E-Mail, die sie an Freunde geschrieben hatte, inhaftiert wurde, verursachte große Aufregung in der indonesischen Öffentlichkeit. Noch während sie in Untersuchungshaft saß, wurde eine Kampagne zu ihrer Unterstützung gestartet: "Eine Münze für Prita" (Koin Peduli Prita) hieß die Online-Initiative, die vor allem über Facebook lanciert wurde.

Ziel der Kampagne war es, das Bewusstsein für Mulyasaris Notlage zu wecken und die Menschen aufzufordern, Geldmünzen zu spenden, die der jungen Frau helfen sollten, ihren geschädigten Ruf aufzubessern und die geforderten Bußgelder zu zahlen.

In dieser Hinsicht war die Kampagne gewiss ein schneller und überwältigender Erfolg: Viele indonesische und internationale Medien berichteten über sie und bereits im November 2009 hatte die Facebook-Seite fast 400.000 Unterstützer. Hinzu kamen Fundraising-Veranstaltungen, beispielsweise ein Konzert im Hard Rock Café in Jakarta, das berühmte indonesische Politiker, Geschäftsleute und Musiker anlockte und für das die in Indonesien bekannte Band Nidji eigens ein Lied schrieb.

Im Dezember 2009 beendeten die Organisatoren von "Eine Münze für Prita" die Spendenaktion, nachdem sie umgerechnet mehr als 98.584 US-Dollar gesammelt hatten – ein Berg von Münzen, der insgesamt fünf LKW-Ladungen fasste. Die Münzen wurden schließlich in einen Scheck umgewandelt und an Mulyasari übergeben, die einen Teil des Geldes dazu nutzte, die Gerichtskosten zu decken.

Dank der Initiative wurde der Fall auch in politischen Kreisen bekannt: Führende Vertreter verurteilten die Verleumdungskampagne gegen Mulyasari und kündigten Konsequenzen an. Zudem entbrannte eine Debatte zur Situation der Meinungsfreiheit im Schatten rechtswidriger Diffamierungen wie im Fall Mulyasari.

Erstaunlich ist dennoch, dass weder die Kampagne in den sozialen Medien, noch die nachfolgende Debatte eine Reform der betreffenden Gesetze nach sich zogen. Trotz des großen Widerstands auf dem Höhepunkt des Mulyasari-Rechtsstreits blieben die Gesetze (sowohl die im Strafgesetzbuch als auch die neuen Regelungen von 2009) weitestgehend unverändert.

Gesetze gegen die freie Meinungsäußerung

Tatsächlich werden sie weiterhin genutzt, um Blogger und andere Internet-Nutzer in Indonesien anzuklagen. Beispielsweise wurde im März 2010 Muhammad Wahyu, ein Universitätsstudent aus Ost-Java, gleich zwei Mal wegen rechtswidriger Verleumdung angeklagt, nachdem er geringschätzige Kommentare auf der persönlichen Facebook-Seite einer Mitstudentin hinterlassen hatte. Wahyu wurde zu drei Monaten Gefängnis verurteilt.

Hinzu kommt, dass die Kampagne im Fall Mulyasari am Ende wenig Erfolg hatte, um das Schicksal der Frau doch noch abzuwenden: Nachdem der erste Rummel abgeklungen war wurde im Juli 2011 erneut eine Berufungsklage eingelegt. In einem kaum beachteten Verfahren wurde Mulyasari schließlich vom Obersten Gerichtshof verurteilt, und auch ihrer Beschwerde vor Gericht wurde nicht stattgegeben. In den sozialen Netzwerken fand das Thema plötzlich kaum mehr Beachtung, das Interesse war verpufft.

Indonesiens Präsident Yudhoyono; Foto: dapd
Besorgt um den gesellschaftlichen Frieden der Inselrepublik: Indonesiens Präsident Susilo Bambang Yudhoyono bezog öffentlich Stellung im Fall Prita Mulyasari und kündigte rechtliche Konsequenzen an; Foto: dapd

​​Mulyasaris Erfahrung zeigt, dass die neuen sozialen Medien Fälle von Ungerechtigkeit allein durch einfache Nachrichten und Bilder in sehr schneller Zeit in das Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit bringen können. Viele Indonesier greifen mittlerweile auf soziale Medien zurück, die es ihnen ermöglichen, Informationen in Rekordzeit über das Internet zu vermitteln und somit politischen Druck erzeugen zu können.

Dennoch mangelt es den sozialen Medien in Indonesien an nachhaltigen Aktivitäten – denn oft beschränken sie sich nur auf kurzlebige Nachrichten und wenden sich schnell neuen Themen zu. Allerdings ist gerade diese Beharrlichkeit und Nachhaltigkeit notwendig, um Gesetzesreformen erreichen zu können. Der Fall Mulyasari macht dies nur allzu deutlich.

Arjuna Dibley

© Inside Indonesia 2012

Übersetzt aus dem Englischen von Laura Overmeyer

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de