Dramatisch gewachsener Missbrauch
Berichte und Statistiken aus dem Iran legen nahe, dass die Regierung damit gescheitert ist, die Eskalation einer Krise abzuwenden. Das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) hält die Situation im Iran für eine der bedenklichsten weltweit. Vor allem der Missbrauch von Opiaten gibt Anlass zur Sorge.
Irans Drogenprobleme sind komplex. Hin und wieder sorgen sie im eigenen Land, mitunter auch international für Aufsehen. Im Juni 2017 gab Irans Zentrale Drogenkontrollstelle bekannt, dass einer repräsentativen Studie zufolge 2,8 bis 3 Millionen Iraner zwischen 15 und 65 Jahren drogenabhängig seien. Beobachter schätzen ihre Zahl noch höher. Doch schon die offiziellen Daten zeigen, dass sich der Drogenmissbrauch innerhalb von sechs Jahren verdoppelt hat. Im August 2016 deckte ein Mitglied des Sozialausschusses des Parlaments auf, dass manche Abhängige gerade einmal 11 Jahre alt sind.
Phänomen Drogenmissbrauch unter Frauen
Ein besonders beunruhigender Trend ist der zunehmende Drogenmissbrauch unter Frauen und Kindern. Mitunter bringen drogensüchtige Mütter abhängige Babys zur Welt. Diese Neugeborenen haben eine kurze Lebenserwartung oder müssen einen schwierigen Entzug durchleben.
Ältere drogensüchtige Kinder kommen typischerweise aus mittellosen Familien, die in den heruntergekommenen Gegenden am Rande der Städte leben. Sie sind dort ständig Betäubungsmitteln ausgesetzt. Manche verkaufen Drogen im Auftrag ihrer Familie oder beschaffen sie für ihre Eltern.
Vermutlich ist Armut ein wichtiger Grund für Drogenmissbrauch, aber nicht alle Abhängigen sind arm. Die Eskalation gleicht einer nationalen Epidemie und betrifft Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund. Die Mittelschicht mag illegale Substanzen als Freizeitdrogen nutzen. Hoffnungslosigkeit scheint für den wachsenden Missbrauch jedoch eine bedeutende Rolle zu spielen.
Verzweiflung ist im Iran weit verbreitet und wächst mit fehlenden ökonomischen Perspektiven und politischen Alternativen. Wirtschaftliche Not – das Resultat von jahrzehntelangem Missmanagement und Korruption – sowie internationale Sanktionen haben einen starken psychologischen Effekt auf die Gesellschaft.
Verhängnisvolle Nähe zu Afghanistan
Ein weiterer wichtiger Punkt ist Irans geografische Nähe zu Afghanistan, dem Zentrum der Opiumproduktion. 90 Prozent der weltweiten Schlafmohnernte stammt aus dem Nachbarland, das eine 921 Kilometer lange Grenze mit dem Iran hat. Die Schmuggelrouten führen durch den Iran, und verschiedenste Rauschmittel sind dort leicht zu haben.
Laut Parviz Afshar, Sprecher der Zentralen Drogenkontrollstelle, ist Opium das am häufigsten gebrauchte Rauschgift im Iran und macht etwa zwei Drittel der Gesamtmenge des Drogenkonsums aus. An zweiter Stelle stehen heute mit etwa 12 Prozent Marihuana und dessen Derivate. Sie haben die Methamphetamine abgelöst.
Es wird angenommen, dass Cannabisprodukte vor allem von Jüngeren konsumiert werden, die auch freier darüber sprechen als andere Drogenkonsumenten. Offener Austausch in sozialen Netzwerken und die Legalisierung von Cannabis in Teilen der westlichen Welt haben zu dessen Popularität im Iran beigetragen, glaubt Abbas Deylamizadeh, der Chef der regierungsunabhängigen Rebirth Charity Society. Hanfplanzen lassen sich außerdem zu Hause anbauen.
Politikwechsel
Seit der Revolution von 1979 versuchte die iranische Regierung, Drogenanbau und -konsum sowie Alkoholkonsum zu unterbinden. Nach dem im Iran geltenden islamischen Recht ist all das verboten. Die Gesetze sind streng und wurden energisch durchgesetzt.
Bis zum letzten Jahr zeigte die Politik keine Toleranz gegenüber Drogentätern. Auf den Besitz selbst kleinster Mengen harter Drogen wie Heroin oder Kokain stand die Todesstrafe. In den vergangenen Jahrzehnten wurden tausende Drogendelinquenten verhaftet und hingerichtet. Doch jüngste Statistiken zeigen, dass die rigide Politik nicht erfolgreich war. Die Drogenkrise hat sich verschlimmert.
Statt sich auf die rechtlichen Verstöße zu konzentrieren, begannen regierungsunabhängige Organisationen in den späten 1990er Jahren, soziale und medizinische Aspekte von Drogensucht in den Blick zu nehmen. Damals war der reformorientierte Präsident Mohammad Khatami im Amt. Seit Kurzem verfolgt die jetzige Regierung einen ähnlichen Ansatz. So stellt sie beispielsweise ein Budget zur Verfügung, um Entzugszentren für Kinder aufzubauen. Auch wenn der Iran mehr solcher Einrichtungen brauchte, ist es ein Schritt in die richtige Richtung.
Die Regierung von Präsident Hassan Rohani hat Parlament und Wächterrat im vergangenen Jahr zu einer Änderung der Drogengesetze bewogen. Durch die Reform entfällt die Todesstrafe für bestimmte Drogendelikte. Schätzungen zufolge rettete das bereits an die 4.000 Häftlingen im Todestrakt das Leben. Nicht abgeschafft wurde die Todesstrafe für den Besitz von oder den Handel mit mindestens zwei Kilogramm harter Drogen oder 50 Kilogramm Opium oder Cannabis. Auch für Wiederholungstäter gilt sie weiterhin.
Ersatzdrogen an Abhängige
Staatliche Stellen dürfen nun außerdem Ersatzdrogen an Abhängige ausgeben. Hassan Norouzi, Sprecher des Rechtsausschusses des Parlaments, unterstreicht die Notwendigkeit, "die Verbindung zwischen Drogenabhängigen und Drogenhändlern zu unterbrechen". Die Idee dahinter ist, dass Abhängige sukzessive ihre Sucht aufgeben, statt von Kriminellen abhängig zu bleiben. Ähnliche Grundsätze gab es Norouzi zufolge bereits vor der Revolution.
Insgesamt scheinen die Wurzeln der Drogenkrise im Iran in wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Problemen zu liegen. Diese muss die Regierung zuerst angehen, um die Krise in den Griff zu bekommen. Saeid Sefatian, ein Mitglied des Schlichtungsrats, der den obersten geistlichen Führer Ajatollah Khamenei berät, sagte: "Drogenabhängigkeit ist Irans ernstestes gesellschaftliches Übel, und die Regierung sollte es mit ernsteren und professionelleren Methoden behandeln."
Mitra Shahrani
© Zeitschrift Entwicklung & Zusammenarbeit 2018
Mitra Shahrani ist freie Journalistin und macht derzeit ihren Master in internationaler Migration und ethnischen Beziehungen an der Universität Malmö in Schweden.