Den Lebensunterhalt improvisieren

Schon vor Beginn des aktuellen Krieges im April 2023 hatte die sudanesische Bevölkerung mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Jahrzehntelange Misswirtschaft, bewaffnete Konflikte und über 25 Jahre andauernde Sanktionen führten zu immer höheren Preisen, maroder Infrastruktur und wenig Perspektive. Der Lebensstandard sank stetig.
Der aktuelle Konflikt hat die Not jedoch noch verschärft. Er führt zu Massenvertreibungen, einem Rückgang der Erwerbsbevölkerung und Schäden an wichtiger industrieller und landwirtschaftlicher Infrastruktur. Öffentliche Gelder werden für Militäroperationen und nicht mehr für Gesundheit oder Bildung aufgewendet.
Parallel dazu ist eine großflächige Kriegswirtschaft entstanden: Wichtige Güter wie Treibstoff werden ins Land geschmuggelt, die Konvois müssen für die freie Durchfahrt Gebühren zahlen oder selbst bewaffnete Gruppen anheuern. Gleichzeitig werden landwirtschaftliche Erzeugnisse häufig geplündert, Bargeld ist knapp, und lokale Märkte geraten ins Kreuzfeuer oder werden gezielt angegriffen.

Angeheizt vom Klimawandel und den Emiraten
Nachdem jahrzehntelange Dürren in der Westregion Darfur der Katalysator für gewaltsame Verteilungskämpfe waren, ist der Konflikt nunmehr auch im Zentrum des Sudan voll entbrannt. Die Emirate gießen buchstäblich Öl ins Feuer.
Beide Kriegsparteien verschärfen das Leid der sudanesischen Bevölkerung. So haben die Rapid Support Forces (RSF) den Export von zwölf Gütern nach Ägypten eingeschränkt, da diese durch SAF-kontrollierte Gebiete transportiert werden. In der Folge sanken die Preise und die Produzent:innen können ihre Produktionskosten nicht mehr decken.
Gleichzeitig gab die von der sudanesischen Armee (SAF) kontrollierte Zentralbank neue Banknoten aus und verbot gleichzeitig deren Nutzung in von den RSF kontrollierten Gebieten. Große Teile der Bevölkerung sind dadurch wirtschaftlich isoliert.
Im Sudan ist es so in den letzten zwei Jahren extrem schwer und oft gefährlich geworden, seinen Lebensunterhalt zu sichern. Trotz dieser immensen Herausforderungen zeigen Millionen von Menschen weiterhin bemerkenswerte Widerstandskraft und Entschlossenheit, um sich und ihre Familien und Gemeinden über Wasser zu halten.
Fernsehbildschirme und Treibstoff
Vor dem Krieg betrieb der 22-jährige Adam Musa* einen kleinen Laden auf dem Zentralmarkt seiner Heimatstadt in Nord-Darfur, wo er kleine Haushaltsgeräte und Fernsehbildschirme verkaufte. Seine Lieferanten schmuggelten die Waren aus Libyen durch die Wüste. Doch nach Kriegsbeginn geriet Adams Geschäft durch den Überfluss an gestohlener Ware aus der Hauptstadt Khartum unter Druck, und es dauerte nicht lange, bis er sich auf ein Produkt mit größerer Nachfrage konzentrierte: Treibstoff.
Seit Kriegsbeginn fielen die fünf Dieselkraftwerke in der Region Darfur nach und nach aus, durchschnittlich produzierten sie zuvor sechs Stunden Strom pro Tag. Stetig erhöhte sich so der Bedarf an Dieselkraftstoff für den Betrieb von Generatoren, die Strom für den privaten Gebrauch, öffentliche Dienste wie Krankenhäuser und Satelliten-Internetdienste liefern. Der anhaltende Krieg steigert den Bedarf zusätzlich, da die RSF, SAF und Milizen große Mengen Treibstoff verbrauchen.
Adam nutzt seinen Lastwagen heute, um die Wüste bis zu den nächstgelegenen Städten jenseits der libyschen Grenze zu durchqueren und Treibstoff zu kaufen. Auf libyscher Seite liefern ihn bewaffnete Gruppen. Anschließend fährt Adam entweder nordwärts zum SAF-kontrollierten Handelszentrum Al-Dabbah, um Treibstoff gegen andere wichtige Güter einzutauschen, oder ostwärts in die von der RSF kontrollierten Gebiete in Nord-Kordofan.
Unterwegs bezahlt Adam bewaffnete Männer in den unterschiedlichsten Uniformen. Je nach Route begegnet er RSF, SAF oder lokalen Milizen, die an Kontrollpunkten Abgaben verlangen oder in manchen Fällen den Treibstoff konfiszieren. Bei Bedarf bezahlt er bewaffnete Eskorten, die ihn durch die Wüste begleiten. Was nach diesen Zahlungen übrig bleibt, ist sein Einkommen.
Die Belagerung durchbrechen
Seit Mai 2024 belagern die RSF al-Fascher, die Hauptstadt Nord-Darfurs; Handelswege und humanitäre Hilfe in die Stadt sind seitdem abgeschnitten. Es herrscht ein gravierender Mangel an Nahrungsmitteln und lebenswichtigen Gütern. Viele Menschen sind vom Hungertod bedroht. Berichten zufolge starben in al-Fascher innerhalb einer Woche über 60 Menschen an Hunger.
Da Männer oft kämpfen, vermisst werden oder auch weil sie ein höheres Risiko tragen, inhaftiert zu werden, übernehmen Frauen wie Kaltum Ischag* Aufgaben, die einst als zu gefährlich galten.
Kaltum kennt sich mit Handel aus. Sie wuchs in einer halbnomadischen Hirtengemeinschaft in einem Dorf südlich von al-Fascher auf. Ihre Familie besuchte regelmäßig die lokalen Wochenmärkte, wo sie Milchprodukte ver- und Haushaltswaren einkaufte. Nach Angriffswellen auf Dörfer in ganz Darfur zog Kaltum 2004 in das Lager Zamzam in al-Fascher. Dort lebt sie noch heute mit ihrer betagten Mutter und sechs kleinen Kindern
Aufgrund der dramatischen Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen und der wachsenden Hungersnot reiten Kaltum und andere Frauen heimlich auf Eseln aus der belagerten Stadt hinaus in die umliegenden Dörfer, um Lebensmittel zu kaufen. Sie gehen dabei ein erhebliches Risiko ein und navigieren auf verlassenen Pfaden, wobei sie sich auf das Wissen aus ihrer Kindheit als Hirtinnen verlassen. Kaltum bringt normalerweise Zutaten für Balila Adasiya mit, ein Gericht aus gekochten roten Bohnen. Es ist relativ günstig, sättigt und erfordert wenig Zubereitung – ideal in Zeiten extremer Knappheit.
Um die Waren zu kaufen, benötigt Kaltum Bargeld, das in den letzten zwei Jahren selten geworden ist. Viele erhalten finanzielle Unterstützung von Verwandten im Sudan oder aus dem Ausland in digitaler Form. In al-Fascher tauschen die Menschen ihr Guthaben zu exorbitanten Kursen in Bargeld um und verlieren dabei oft bis zu 50 Prozent. Doch Kaltum hat keine Wahl: Die Händler:innen akzeptieren nur Bargeld.
Für Kaltum besteht nicht nur die ständige Gefahr, erwischt oder ausgeplündert zu werden, sie hat auch Angst, sich auf den abgelegenen und selten genutzten Routen zu verirren. „Ich kann in der Nacht vor meinen Reisen nicht schlafen“, sagt Kaltum. „Aber wenn ich nicht gehe, haben meine Kinder nichts zu essen.“ Was sie auf ihrem Esel schmuggelt, ernährt nicht nur ihre Familie, sondern ist auch für ihre Nachbar:innen zur Lebensader geworden. Sie weiß, dass jede Reise ihre letzte sein könnte und trotzdem macht sie weiter.
Seit dem Gespräch mit Kaltum hat sich die Lage in al-Fascher dramatisch verschlechtert. Berichten zufolge ist die Hauptnahrungsquelle vieler Familien mittlerweile das sogenannte Ambaz, ein aus Erdnussschalen hergestelltes Produkt, das normalerweise als Tierfutter verwendet wird.
Von der Viehzucht zum Starlink-Anbieter
Ahmed al-Tom*, ein Händler in seinen Vierzigern, musste sich nach Kriegsausbruch ebenfalls neu orientieren. Sein Handel mit Vieh und landwirtschaftlichen Produkten sowie sein Handel mit dem Südsudan waren nicht mehr möglich, unter anderem durch Handelsembargos, Angriffe auf Märkte und Beschränkungen der Zentralbank wurde solcher Handel stark beeinträchtigt. Zudem machten zahlreiche Checkpoints entlang der Handelsrouten sein Geschäft unrentabel, dort verlangen lokale Milizen Geld für die Durchfahrt.
Ahmed sah sich nach Alternativen um und beschloss, den Einwohner:innen seiner Stadt al-Daein, Hauptstadt des Bundesstaates Ost-Darfur und seit November 2023 unter der Kontrolle der RSF, einen Internetdienst bereitzustellen. Wie viele Gebiete im Sudan wurde die Stadt absichtlich vom nationalen Telekommunikationsnetz abgeschnitten, die Einwohner:innen sind für Kommunikation und mobile Geldtransaktionen auf Starlink angewiesen.

Revolutionäre Hilfe von unten
Von Freiwilligen betriebene Notfalleinrichtungen – sogenannte ERRs – sind im Sudan zum Rettungsanker für Millionen von Menschen geworden. Ihr Ursprung liegt in der Revolution von 2018/19. Das Credo: dezentral und nah dran an der lokalen Bevölkerung.
Ahmed lieh sich Geld von seinem in Großbritannien lebenden Bruder und investierte es in einen Starlink-Satellitenempfänger. Diese Geräte werden normalerweise über Libyen, den Tschad oder den Südsudan geschmuggelt. Ahmed kaufte sein Gerät aus Dubai via Dschuba im Südsudan. Dort kostet der Standardtarif 295 Dollar pro Monat, hinzu kommen einmalige Hardwarekosten von 2.500 Dollar.
In al-Daein zahlen Besitzer:innen von Starlink-Geräten der RSF jeden Monat eine Betriebsgebühr von bis zu 50.000 sudanesische Pfund (SDG), etwa 20 Dollar. Für ein Gigabyte verlangt Ahmed an einem guten Werktag 1.000 SDG (0,004 Dollar-Cent). Wenn er über einen längeren Zeitraum eine stabile Anzahl an Nutzer:innen hat, kann er seine täglichen Ausgaben decken und vielleicht ein oder zwei Dollar sparen, in der Hoffnung, seinem Bruder eines Tages das Geld zurückzahlen zu können.
Nachfrage nach Solarenergie
Ein Bild, das sieben Ziegen unter Solarmodulen zeigt, wurde von sudanesischen Nutzer:innen auf Social Media mit dem Titel „Vorteile der Solarenergie“ viel geteilt. Obwohl sich später herausstellte, dass das Bild nicht aus dem Sudan stammt, sahen es viele als Symbol dafür, wie wichtig Solarenergie für viele Haushalte geworden ist.
Mosab Anwar*, 32, war in den ersten Kriegsmonaten aus dem Land geflüchtet, kehrte dann jedoch nach Port Sudan zurück, um mit seinem Wissen über Solarenergie ein Unternehmen zu gründen. Der Sudan litt bereits vor dem Krieg unter chronischen Stromproblemen, doch der Konflikt verschärfte die Situation: Ständige Drohnenangriffe zerstörten die Energieinfrastruktur des Landes, darunter die Energiesysteme für Wasserwerke, Wohngebiete und andere wichtige Sektoren.
Infolgedessen stieg die Nachfrage nach alternativen Energiesystemen – darunter Solarmodule, Batterien und Wechselrichter – und damit auch deren Preis. Viele neue Anbieter seien auf den Markt gekommen und hätten ihn mit minderwertiger Ausrüstung überschwemmt, beklagt Mosab. Diese ginge schnell kaputt und beschere den Verbraucher:innen große Verluste.
Im November 2024 kündigte die Regierung eine zollfreie Einfuhr für Solaranlagen in der Landwirtschaft an, die Entscheidung wurde jedoch noch nicht umgesetzt. Da seit der Rückeroberung Khartums durch die SAF im Mai 2025 Vertriebene in die Stadt zurückkehren, sieht Mosab in Verbindung mit der Zollerleichterung Chancen auf ein weiteres Marktwachstum.
Improvisation ist keine nachhaltige Lösung
Trotz der immensen Herausforderungen, die das Leben in einem Kriegsgebiet mit sich bringt, zeigen die Geschichten von Adam, Kaltum, Ahmed und Mosab, dass viele Menschen im Sudan nicht nur überleben; sie haben auch ihre bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit unter Beweis gestellt und auf höchst unkonventionelle Weise wirtschaftlichen Gewinn erzielt. Sie versuchen, das Vakuum zu kompensieren, das durch den institutionellen Zusammenbruch und die wirtschaftlichen Verwüstungen des Krieges entstanden ist.
Es bedarf jedoch dringend nachhaltigerer, langfristiger Lösungen. Dazu müssen institutionelle Akteure im Sudan und die internationale Gemeinschaft einbezogen werden, um Sicherheit zu gewährleisten, Ressourcen zu mobilisieren und die Bereitstellung wichtiger öffentlicher Güter zu unterstützen. Ohne diese Unterstützung werden informelle Systeme weiterhin dominieren, bewaffnete Akteure werden sich bereichern und das durch den Krieg verursachte Elend wird verstärkt.
* Die Namen wurden geändert, um die für diesen Artikel interviewten Personen zu schützen.
Dieser Artikel wurde ursprünglich auf Englisch vom Tahrir Institute for Middle East Policy veröffentlicht. Aus dem Englischen von Clara Taxis.
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