Neustart in die Vergangenheit

Irans Präsident Peseschkian, umringt von Parlamentsmitgliedern, winkt und lacht
Irans Präsident Peseschkian am Mittwoch im Parlament in Teheran, Foto: Picture Alliance / Anadolu | Fatemeh Bahrami.

Das Kabinett des neuen iranischen Präsidenten Massud Peseschkian enttäuscht alle, die auf Veränderung gehofft haben: auf weniger Unterdrückung der Frauen und leichteren Internetzugang etwa. Doch in der Islamischen Republik bleibt alles beim Alten, kommentiert der Iran-Experte Ali Sadrzadeh.

Von Ali Sadrzadeh

Er werde sein Kabinett genau nach dem Willen von Revolutionsführer Ali Khamenei zusammenstellen, verkündete Massud Peseschkian unmittelbar nach seiner Wahl im Juni unmissverständlich für jeden, der es hören wollte. Nun hat der neue iranische Präsident sein Versprechen eingelöst. Das iranische Parlament billigte am Mittwoch das von ihm vorgeschlagene Kabinett. Die Abgeordneten segneten alle 19 Ministerposten ab. Ohne selbst im Parlament zu erscheinen, hatte Peseschkian zuvor eine Liste mit den Namen geschickt. Diese sind ein Zeugnis seiner Vergesslichkeit: Peseschkian hat offenbar vergessen, dass er im Wahlkampf etwas anderes gesagt hatte, weswegen er schließlich gewählt wurde.

Die große Mehrheit der Iranerinnen und Iraner war im ersten Wahlgang den Urnen ferngeblieben. Peseschkian, der als vertrauenswürdig galt und mit einer neuen Sprache antrat, konnte die Wahlbeteiligung um einige Prozentpunkte steigern. Er wurde schließlich mit den Stimmen von etwa einem Drittel der Wahlberechtigten gewählt. Das sind zwar alles offizielle Zahlen, für deren Wahrheitsgehalt niemand garantieren kann. Aber es ist immerhin ein kleiner Erfolg, der Peseschkians zaghafter Kritik am Bestehenden zugeschrieben wird.

Sehr vorsichtig hatte er den Umgang mit den Frauen kritisiert, ohne den Kopftuchzwang infrage zu stellen, die Außenpolitik und die Isolation des Landes angeprangert, ohne auf antiisraelische Tiraden zu verzichten, und die grassierende Korruption angesprochen, ohne die Korruptionsquellen auch nur anzudeuten. Seine Wählerinnen und Wähler hatten sowieso nur sehr bescheidene Erwartungen. Man hoffte auf etwas weniger Gewalt gegen Frauen, eine kleine Verbesserung der Lebensverhältnisse und leichteren Internetzugang; kurzum: ein bisschen mehr Luft zum Atmen. Denn niemand zweifelt daran, dass Khamenei der eigentliche Herrscher im Land ist.

Unterstützer des iranischen Präsidenten Peseschkian schwingen blaue Fahnen und zeigen das "Victory"-Zeichen während seines Wahlkampfes
Peseschkian-Unterstützer während seines Wahlkampfes in der Innenstadt von Teheran am 23. Juni 2024, Foto: Picture Alliance / NurPhoto | Morteza Nikoubazl.

Eine Frau im Kabinett

Doch mit seinem Kabinett diagnostiziert der Chirurg Peseschkian nicht nur seine eigene Vergesslichkeit, sondern auch die Unheilbarkeit der gesamten Ordnung. Dies zeigt, dass mit Khamenei ein Unverbesserlicher an der Spitze dieses Systems thront, ein fanatischer Starrkopf, der glaubt, so fest auf seinem Stuhl zu sitzen, dass ihn nichts und niemand bewegen kann. Mit seiner Kabinettsliste beweist Peseschkian, dass Khamenei machen kann, was er will – egal, was andere ihm diagnostizieren oder raten wollen.

Wenige Stunden nach Bekanntwerden der Liste mit den Ministernamen hatte Javad Zarif vergangene Woche per Twitter seinen Rücktritt als Vizepräsident mitgeteilt. Der ehemalige Außenminister, der das Atomabkommen mit den Weltmächten ausgehandelt hatte, war Peseschkians Zugpferd. Er sollte verschiedene Zirkel und Gruppen konsultieren und mit ihnen gemeinsam Vorschläge für eine Kabinettsliste machen. Zarif hatte für jeden Ministerposten fünf Namen präsentiert, darunter wie versprochen auch Frauen, Angehörige nationaler Minderheiten und vor allem auch Sunniten, die mehr als ein Viertel der iranischen Bevölkerung stellen. Doch kaum etwas von alldem wurde umgesetzt. Mit der Ministerin für Stadtentwicklung, Farsaneh Sadegh, gehört der Regierung nur eine Frau an, was allerdings bereits ein Novum ist in der Geschichte der Islamischen Republik.

Mullahs in den Schlüsselministerien

Zarif hatte bei seinen Vorschlägen auch auf die „Sensibilität“ Khameneis Rücksicht genommen. Denn es gilt als ungeschriebenes Gesetz, dass dieser die Schlüsselministerien, also das Außen- und Innenressort sowie das Geheimdienst- und Verteidigungsministerium, selbst besetzt. Doch Peseschkians Kabinettsliste besteht offenbar nur aus Schlüsselministerien. Khamenei lässt sich nichts entgehen.

Die Liste zeigt zudem, dass man falsche Hoffnungen in Peseschkian gesetzt hatte. Sie macht klar, dass die Erwartungen, die manche an ihn hatten, Wunschdenken waren, dass dieser Chirurg zuallererst ein tiefgläubiger Mensch ist, dessen Weltbild sich nicht wesentlich von dem des Revolutionsführers unterscheidet. Es genügt, einen kurzen Blick auf die Namen jener zu werfen, die er für die Posten Kultur, Bildung und Hochschulbildung ausgewählt hat. Sie offenbaren, dass Peseschkian tief in der Vergangenheit lebt und denkt.

Im Wahlkampf rezitierte er ständig aus dem Koran und wiederholte religiöse Überlieferungen, auch wenn er etwas zu kritisieren hatte. Jetzt zeigt seine Ministerliste, dass er mehr Prediger als Politiker ist, mehr in der schiitischen Gelehrsamkeit verankert als in der modernen Bildung, die er an der Universität genossen hat. Alle drei Minister, die Peseschkian für Hochschulbildung, Kultur und Schulwesen ausgewählt hat, sind Mullahs. Sie tragen zwar keine Turbane, haben aber ihre Bildung in den schiitischen Seminaren genossen.

Ihre Karriere in den dunklen, mafiösen Kanälen der Macht verdanken sie ihrem Aufstieg in jenen Seminaren, die ausschließlich dafür eingerichtet sind, politisierte Geistliche heranzuzüchten, damit diese als Staatsfunktionäre den wahren islamischen Staat realisieren – koste es, was es wolle.

Warum künftig ein Mullah die Hochschulpolitik des Landes bestimmen soll, versteht man erst, wenn man bedenkt: Über 60 Prozent der Studierenden im Iran sind Frauen und die Frauenfrage überschattet spätestens seit Beginn des Zeitalters „Frau, Leben Freiheit“ (Slogan der Proteste nach dem Tod der Studentin Jina Mahsa Amini im September 2022) die Gesamtpolitik dieser „Republik“. Warum ein Mullah die künftige Film-, Theater- und Buchpolitik bestimmen soll, erklären die diversen Filmfestivals dieser Welt, auf denen exilierte Filmemacher aus dem Iran regelmäßig und reihenweise ihr Schicksal beklagen. Und um zu verstehen, warum ein Mullah künftig die gesamte Schulbildung des Landes bestimmen soll, dafür genügt ein Blick auf die renitente Atmosphäre an den Schulen.

Blick auf den voll besetzten Parlamentssaal in Teheran, Iran
Die iranischen Parlament prüfte am 18. August die vom neuen Präsidenten Massud Peseschkian vorgeschlagenen Minister, Foto: Picture Alliance / NurPhoto | Morteza Nikoubazl.

Begrenzter Spielraum

Das neue Kabinett zeigt aber auch, wie begrenzt Khameneis Handlungsspielraum ist. Nur ein Beispiel: Sein neuer Geheimdienstminister Ismail Khatib ist der alte. Nach der Verfassung dieser „Republik“ muss der Geheimdienstminister ein hochrangiger Geistlicher, ein Mojtahed – also eine „Quelle der Nachahmung“ – sein. Ob das, was sich in den Folterkammern des Geheimdienstministeriums abspielt, nachahmenswert ist, sei dahingestellt. Khatib trägt zwar einen Turban, hat aber sein ganzes Erwachsenenleben im Geheimdienst verbracht. Als Chef der Spionageabwehr hat er die größte Peinlichkeit und Bloßstellung dieser Republik zu verantworten: die Tötung von Hamas-Führer Ismail Hanijeh in einem der bestgeschützten Viertel Teherans. Eine beispiellose Schande, die den Iran an den Rand eines großen Krieges katapultiert hat.

Doch Khatib bleibt. Wenige Stunden nachdem bekannt wurde, dass auch er auf Peseschkians Kabinettsliste steht, brüstete er sich mit zahlreichen konterrevolutionären Verschwörungen, die er vereitelt habe. Und sein neuer Staatspräsident muss möglicherweise einen Waffengang mit Israel managen, der die Existenz des Ganzen gefährdet. Seltsame Maßstäbe in dieser seltsamen „Republik“.

© Iran Journal

Ali Sadrzadeh ist langjähriger Iran-Experte des Hessischen Rundfunks (hr). Er arbeitete für DPA und die Frankfurter Rundschau, seit 1984 für den hr. Ali Sadrzadeh war von 1990 bis 1994 ARD-Korrespondent in Nordafrika.